Louis überlegte. Sie waren bereits wie Vögel geflogen — dieser Trick würde kein zweites Mal Eindruck erwecken. Vielleicht Manna aus den Ausgabeschlitzen des Küchenautomaten? Aber selbst Erdgeborene besaßen verschiedene Geschmäcker. Der Unterschied zwischen Nahrung und Abfall wurde größtenteils durch Kultur bestimmt. Manche aßen Heuschrecken mit Honig, andere brieten Schnecken. Der Käse des einen war die faule Milch des anderen. Besser, es nicht auszuprobieren. Vielleicht die Flashlaser?
Louis öffnete das Gepäckabteil seines Rads, als der Rand der Sonne von einer ersten Ecke einer Schattenblende berührt wurde. Dunkelheit würde seine Vorführung noch beeindruckender erscheinen lassen.
Mit weiter Streuung und geringer Intensität richtete er das Licht zuerst auf den Sprecher, dann auf seine vier Mitregierenden, und zuletzt auf die Gesichter der Menge. Wenn sie beeindruckt waren, verbargen sie es jedenfalls gut. Louis ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken und zielte mit dem Laser nach oben.
Er zielte auf eine Figur, die vom Dach des Turms vorsprang wie ein surrealistischer Wasserspeier. Louis bewegte den Daumen, und der Wasserspeier leuchtete gelb-weiß auf. Louis bewegte den Zeigefinger, und der Strahl verengte sich zu einem grünen Bleistift. Der Wasserspeier hatte plötzlich einen weißglühenden Bauchnabel.
Louis wartete auf den Applaus.
»Ihr kämpft mit Licht, Baumeister!« sagte der Sprecher mit der tätowierten Hand. »Wißt ihr nicht, daß das verboten ist?«
»…!« rief die Menge und verstummte genauso plötzlich wieder.
»Das wußten wir nicht«, erwiderte Louis. »Wir entschuldigen uns.«
»Das wußtet ihr nicht? Wie konntet ihr das nicht wissen? Habt ihr nicht selbst den Bogen errichtet, als Zeichen eures Bundes mit den Menschen?«
»Welchen Bogen meinst du?«
Das Gesicht des Mannes war unter Haaren verborgen, doch sein Erstaunen war unübersehbar. »Den Bogen über der Welt, o Baumeister!«
Louis verstand mit einem Mal. Er brach in Lachen aus.
Der haarige Mann boxte ihn ungeschickt auf die Nase.
Es war ein leichter Schlag, denn der haarige Mann war schwach, und seine Hände waren zart. Aber es tat trotzdem weh.
Louis war nicht an Schmerz gewöhnt. Die meisten Leute seiner Generation hatten niemals stärkeren Schmerz empfunden als einen angestoßenen Zeh. Anästhetika waren zu weit verbreitet, und medizinische Hilfe war stets in der Nähe. Der Schmerz eines beim Skifahren gebrochenen Beins dauerte in der Regel nur Sekunden, keine Minuten, und die Erinnerung daran wurde häufig auch noch als nicht tolerierbares Trauma unterdrückt. Kampfkünste wie Karate, Judo, Jiu-Jitsu oder Boxen waren schon lange vor Louis’ Geburt illegal gewesen. Louis Wu war ein lausiger Kämpfer. Er konnte dem Tod ins Gesicht sehen, doch Schmerzen ertragen konnte er nicht.
Der Schlag schmerzte. Louis schrie auf und ließ seinen Flashlaser fallen.
Die Menge schoß vor. Zweihundert aufgebrachte haarige Gestalten wurden zu tausend Dämonen, und die Dinge waren nicht mehr annähernd so lustig wie noch eine Minute zuvor.
Der gertenschlanke Sprecher hatte beide Arme um Louis geschlungen und umklammerte ihn mit hysterischer Kraft. Louis, der nicht weniger hysterisch war, befreite sich mit einem heftigen Ruck. Er war auf seinem Flugrad, die Hand am Lenker, als die Vernunft zurückkehrte.
Die anderen Flugräder waren mit seinem gekoppelt. Wenn er jetzt startete, würden sie ebenfalls starten, mit oder ohne Passagiere.
Louis blickte sich um.
Teela Brown war bereits in der Luft. Aus sicherer Distanz beobachtete sie mit besorgt erhobenen Augenbrauen den Kampf. Sie hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, den anderen zu helfen.
Der-zu-den-Tieren-spricht wütete unter den Angreifern. Er hatte bereits ein halbes Dutzend Feinde niedergestreckt. Während Louis hinsah, schwang der Kzin seinen Flashlaser und zerschmetterte einem Mann den Schädel.
Die haarigen Angreifer umkreisten ihn unentschlossen.
Langfingrige Hände streckten sich Louis entgegen und versuchten, ihn von seinem Flugrad zu zerren. Sie drohten die Oberhand zu gewinnen, obwohl sich Louis mit aller Macht am Sattel festklammerte. Fast zu spät dachte er daran, die Schallfalte zu aktivieren.
Die Eingeborenen kreischten, als sie weggeschleudert wurden.
Irgend jemand war noch immer hinter Louis. Louis stieß ihn weg, ließ ihn fallen und schaltete das Schallfeld aus und wieder ein, um sich seiner zu entledigen. Er suchte den einstigen Parkplatz nach Nessus ab.
Der Puppenspieler bemühte sich, sein eigenes Flugrad zu erreichen. Die Eingeborenen schienen sich ob seiner fremdartigen Gestalt vor ihm zu fürchten. Nur ein einziger stellte sich dem Puppenspieler in den Weg, doch dieser eine war mit einer Eisenstange von irgendeiner alten Maschine bewaffnet.
In dem Augenblick, als Louis die beiden erblickte, schwang der Haarige seinen Stab gegen Nessus Kopf.
Nessus riß den Kopf zurück. Er wirbelte auf den Vorderbeinen herum und wandte der Gefahr den Rücken zu. Allerdings nicht die beiden Köpfe.
Der eigene Fluchtreflex des Puppenspielers würde ihn umbringen, wenn Louis oder Der-zu-den-Tieren-spricht ihm nicht rechtzeitig helfen konnten. Louis öffnete den Mund, um eine Warnung zu rufen, und der Puppenspieler vervollständigte seine Bewegung.
Louis schloß den Mund wieder.
Der Puppenspieler wandte sich seinem Flugrad zu.
Niemand versuchte mehr, ihn aufzuhalten. Der Hinterhuf hinterließ blutige Abdrücke auf dem festgetrampelten Schmutz.
Der Kzin war von Eingeborenen umzingelt, doch sie hielten sich sorgfältig aus seiner Reichweite. Er spuckte ihnen vor die Füße — keine Kzinti-Geste, sondern eine menschliche —, wandte sich ab und stieg auf sein Flugrad. Sein Flashlaser und seine linke Hand waren bis zum Ellbogen hinauf blutbesudelt.
Der Eingeborene, der Nessus aufzuhalten versucht hatte, lag noch immer dort, wo er gefallen war. Eine Blutlache hatte sich rings um ihn gebildet.
Die anderen waren bereits in der Luft. Louis startete ebenfalls. Als er sah, was Der-zu-den-Tieren-spricht vorhatte, rief er: »Lassen Sie das! Es ist nicht nötig!«
Der Kzin hatte das modifizierte Slaver-Grabwerkzeug gezogen. »Muß es immer nötig sein?«
»Lassen Sie das!« bat Louis inständig. »Es wäre Mord. Wie können sie uns jetzt noch schaden? Vielleicht Felsbrocken hinter uns herschleudern?«
»Sie könnten Ihren Flashlaser gegen uns richten.«
»Sie wissen überhaupt nicht, wie er funktioniert. Außerdem ist Licht tabu.«
»Das hat ihr Sprecher behauptet. Glauben Sie ihm?«
»Ja.«
Der Kzin steckte die Waffe zurück. (Louis seufzte erleichtert auf. Er hatte befürchtet, daß der Kzin die ganze Stadt einebnen würde.) »Wie mag sich so ein Tabu entwickelt haben? Ein Krieg mit Energiewaffen?«
»Vielleicht ein Bandit mit der letzten funktionierenden Laserkanone der Ringwelt. Zu schade, daß wir jetzt niemanden mehr danach fragen können.«
»Ihre Nase blutet.«
Nachdem er darauf aufmerksam gemacht worden war, brannte Louis’ Nase schmerzhaft. Er übergab die Kontrolle seines Gefährts dem Kzin und machte sich daran, seine Wunden zu verarzten. Unter ihnen schwärmte ein verwirrter, wutschäumender Mob über die Ränder von Zignamucklickklick aus.
KAPITEL DREIZEHN
STERNSÄERLOCKVOGEL
»Sie hätten eigentlich niederknien müssen«, beschwerte sich Louis. »Das hat mich zum Narren gehalten. Und der Translator hat immer wieder ›Baumeister‹ gesagt, wenn ›Schöpfer‹ gemeint war.«
»Schöpfer?«
»Sie haben die Erbauer der Ringwelt zu Göttern erhoben. Die Stille hätte mir auffallen müssen. Tanj, niemand außer dem Priester gab auch nur den kleinsten Laut von sich! Sie verhielten sich, als lauschten sie irgendeiner uralten Litanei. Und ich gab ständig die falschen Antworten!«