»Warum sollte das nötig sein? Ihr Glück wird sie vor Notfällen schützen.«
»Sie hat nicht einmal gewußt, daß sie dazu imstande ist, Sprecher. Sie hat nie einen Grund gehabt, Selbstvertrauen zu entwickeln.«
»Ehrlich, Louis, ich begreife nichts.«
»Es gehört zum Erwachsenwerden, daß man seine Grenzen kennenlernt. Teela konnte nicht Erwachsen werden, ohne irgendwelchen physischen Notfällen ausgesetzt zu sein.«
»Es scheint eine sehr menschliche Angelegenheit zu sein«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht.
Louis interpretierte seinen Kommentar als Eingeständnis völliger Verwirrung. Er machte keinen Versuch zu antworten.
»Ich habe mir überlegt, ob es eine gute Idee war, die Unwahrscheinlich höher zu parken als das Gebäude, das die Eingeborenen Himmel nennen«, sagte der Kzin. »Vielleicht betrachteten sie es als Gotteslästerung. Wenn allerdings das Glück von Teela Brown die Ereignisse steuert, dann sind meine Überlegungen sinnlos.«
Louis hatte noch immer nicht gesehen, was der Kzin so vorsichtig in den Händen hielt. »Sind Sie zurückgegangen, um den Kopf zu holen? Dann haben Sie Ihre Zeit verschwendet. Wir haben keine Möglichkeit, ihn rasch und kalt genug einzufrieren.«
»Nein, Louis.« Der-zu-den-Tieren-spricht zeigte ihm einen faustgroßen Gegenstand von der Form eines Kinderkreisels. »Fassen Sie es nicht an. Sie könnten Ihre Finger verlieren.«
»Finger? Oh.« Das spitze Ende des Kreisels lief unendlich fein aus und endete in dem schwarzen Draht, der die Schattenblenden untereinander verband.
»Ich wußte, daß die Eingeborenen einen Weg gefunden hatten, um mit dem Draht zu hantieren«, erklärte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Es mußte so sein, weil sie sonst nicht die Falle hätten spannen können, in die Nessus gelaufen ist. Also ging ich zurück, um zu sehen, wie sie es gemacht hatten.
Sie haben einen der Endpunkte gefunden, Louis. Ich nehme an, das andere Ende ist nicht mehr da. Der Draht ist in der Mitte durchgerissen, als das Stasisfeld der Lying Bastard ihn rammte. Dieses Ende hier hat sich beim Aufprall wahrscheinlich aus seiner Verankerung in der Schattenblende gelöst. Wir haben Glück, daß wir dieses eine Ende gefunden haben.«
»Das stimmt allerdings. Wir können den Draht hinter uns herziehen. Er ist so scharf, daß es wahrscheinlich nichts gibt, das ihn aufhalten könnte.«
»Wohin gehen wir von hier aus, Louis?«
»Steuerbord. Zurück zur Lying Bastard.«
»Natürlich. Wir müssen Nessus in die medizinische Abteilung der Liar bringen. Und dann?«
»Wir werden sehen.«
Er ließ den Kzin mit dem tränenförmigen Ende des Schattenblendendrahts zurück, während er nach oben ging und nach dem Rest des elektrisch aushärtenden Schaumstoffs suchte, den sie zum Verankern von Nessus Flugrad benutzt hatten. Zwei Hände voll reichten, um das Endstück des Drahts an einer Wand zu befestigen — und dann fanden sie keinen Weg, Strom hindurchzuleiten. Die Slaverwaffe hätte vielleicht helfen können, doch sie war verlorengegangen. Es war frustrierend, bis Louis auf den Gedanken kam, daß die Batterie seines Anzünders genügend elektrische Energie gespeichert hatte, um den Kunststoff zu härten.
Damit hing das Drahtende von der Unwahrscheinlich herab und nach Backbord.
»Ich glaube, die Brücke liegt in Richtung Steuerbord«, sagte Derzu-den-Tieren-spricht. »Falls nicht, müssen wir das Endstück woanders anbringen. Der Draht muß auf jeden Fall hinter uns bleiben.«
»Vielleicht funktioniert es«, sagte Louis. Er war sich dessen gar nicht so sicher… Tragen konnten sie den Draht auf keinen Fall. Es mußte auch so gehen. Er konnte schließlich nirgendwo hängenbleiben, wenn er alles durchschnitt.
Sie fanden Teela und Sucher im Maschinenraum zusammen mit Halrloprillalar, die an den Kontrollen der Schwebemotoren arbeitete.
»Unsere Wege trennen sich hier«, sagte Teela freimütig. »Diese Frau hier sagt, daß sie am schwebenden Schloß anlegen kann. Wir klettern durch ein Fenster in die Banketthalle.«
»Und dann? Ihr würdet festsitzen, bis ihr die Schwebemotoren unter Kontrolle hättet.«
»Sucher sagt, daß er sich ein wenig mit Magie auskennt. Ich bin sicher, er findet einen Weg.«
Louis versuchte erst gar nicht, ihr die Idee auszureden. Er fürchtete sich davor, ihre Pläne zu durchkreuzen. Nur ein Verrückter käme auf den Gedanken, einen angreifenden Bandersnatcher mit bloßen Händen aufzuhalten. »Falls ihr Schwierigkeiten mit den Kontrollen habt, dann drückt einfach willkürlich auf die Knöpfe«, schlug er vor.
»Ich werd’s mir merken«, lachte Teela. Dann, ernsthaft: »Paß gut auf Nessus auf.«
Mehr an Abschied gab es nicht, als Teela und Sucher zwanzig Minuten später von Bord der Unwahrscheinlich gingen. Louis hatte ihr noch viel sagen wollen, doch dann hatte er geschwiegen. Was konnte er ihr über ihre eigene Macht verraten? Sie würde es selbst durch Versuch und Irrtum lernen müssen, während ihr Glück sie am Leben hielt.
Im Verlauf der darauffolgenden Stunden kühlte der Körper des Puppenspielers immer weiter ab und wurde totenstarr. Die Kontrolleuchten auf dem Medikit blieben aktiv, wenn Louis auch ihren Sinn nicht verstand. Wahrscheinlich wurde der Puppenspieler künstlich belebt.
Die Unwahrscheinlich flog nach Steuerbord, und der Draht schleifte hinter ihr her, manchmal schlaff, manchmal straff gespannt. Verlassene Bauwerke in der Stadt hinter ihnen fielen, Dutzende Male von Drahtschlingen durchschnitten, in sich zusammen. Doch das Endstück blieb fest in seinem Bett aus elektrisch gehärtetem Kunststoff.
Die Stadt unter dem schwebenden Schloß verschwand nicht hinter dem Horizont. Im Verlauf der nächsten Tage wurde sie kleiner und kleiner, bis man sie nur noch ahnen konnte. Schließlich löste sie sich ganz im Dunst auf.
Prill saß neben Nessus, unfähig, ihm zu helfen, und nicht willens, von seiner Seite zu weichen. Sie litt sichtlich.
»Wir müssen etwas für sie tun«, sagte Louis. »Sie ist süchtig nach dem Tasp, und er ist weg. Sie leidet unter totalem Entzug. Wenn sie sich nicht selbst umbringt, dann Nessus oder mich.«
»Louis, Sie wollen doch sicherlich keinen Rat von mir?«
»Nein. Ich schätze nicht.«
Wenn man einem leidenden menschlichen Wesen helfen wollte, spielte man den guten Zuhörer. Louis gab sich Mühe, doch er beherrschte ihre Sprache nicht genug, und Prill wollte nicht reden. Er biß die Zähne zusammen, wenn er allein war, doch wenn Prill zugegen war, versuchte er es weiter.
Sie war ständig in seinen Gedanken. Vielleicht hätte sich seine Schwermut gebessert, wenn er sich von ihr hätte fernhalten können. Doch sie blieb auf der Brücke.
Nach und nach lernte er ihre Sprache, und nach und nach fing sie an zu reden. Er erzählte ihr von Teela und von Nessus, der versucht hatte, Gott zu spielen…
»Ich denken, ich ein Gott«, sagte sie. »Ich denken wirklich sein ein Gott. Warum nur? Ich nicht gebaut Ring. Ring viel älter sein.«
Auch Prill lernte. Sie benutzte eine Art Pidgin, ein vereinfachtes Vokabular ihrer veralteten Sprache: zwei Zeitformen, so gut wie keine Satzpartikel, übertrieben deutliche Aussprache.
»Sie haben dich dazu gebracht«, sagte Louis.
»Aber ich glauben.«
»Jeder wünscht sich, ein Gott zu sein.« Jeder wollte die Macht, doch ohne die Verantwortung, und Louis kannte die Worte nicht.
»Dann kam Zweiköpfiger. Er hatte Maschine?«
»Er hatte den Tasp.«
»Tasp.« Sie sprach das Wort übertrieben genau nach. »Ich haben gedacht. Tasp machen ihn Gott. Er verloren Tasp, er nicht länger Gott. Sein Zweiköpfiger tot?«