»Ach!« Piper versuchte, sich begeistert anzuhören. »Wie interessant.«
Lits Lächeln war eher ein grausames Feixen. Jason war jetzt absolut sicher, dass er den Typen nicht leiden konnte, und er bereute schon, Hedge hinausgeschickt zu haben.
»Also«, sagte Jason, »dieses viele Gold …«
Die Augen des Königs leuchteten auf. »Seid ihr wegen des Goldes gekommen, mein Junge? Nimm dir doch bitte eine Broschüre.«
Jason sah sich die Broschüren auf dem Kaffeetisch an. Auf dem Titelblatt stand: »Gold: Investieren Sie für die Ewigkeit.«
»Äh, Ihr verkauft Gold?«
»Nein, nein«, wehrte der König ab. »Ich mache Gold. In unsichereren Zeiten ist Gold die klügste Investition, findest du nicht? Regierungen werden gestürzt. Die Toten erheben sich. Riesen greifen den Olymp an. Aber Gold behält seinen Wert!«
Leo runzelte die Stirn. »Den Werbespot habe ich schon mal gesehen.«
»Ach, lass dich nicht von billigen Imitatoren an der Nase herumführen«, sagte der König. »Ich versichere dir, für einen seriösen Investor kann ich jeden Preis unterbieten. Ich kann von einem Moment zum anderen eine große Auswahl an Goldgegenständen produzieren.«
»Aber …« Piper schüttelte verwirrt den Kopf. »Eure Majestät, Ihr habt das mit der goldenen Berührung doch aufgegeben?«
Der König machte ein überraschtes Gesicht. »Ach ja?«
»Ja«, sagte Piper. »Ihr hattet diese Gabe von irgendeinem Gott bekommen …«
»Dionysos«, sagte der König fröhlich. »Ich hatte einen seiner Satyrn gerettet und als Gegenleistung versprach der Gott, mir einen Wunsch zu erfüllen. Ich habe mich für die Fähigkeit entschieden, durch meine Berührung Dinge zu Gold machen zu können.«
»Aber ihr habt aus Versehen Eure eigene Tochter in Gold verwandelt«, sagte Piper. »Und Ihr saht ein, wie gierig Ihr gewesen wart. Also habt Ihr bereut.«
»Bereut!« König Midas sah Lit ungläubig an. »Siehst du, mein Sohn? Man braucht ihnen nur für ein paar Tausend Jahre den Rücken zu kehren, und schon wird die Geschichte auf den Kopf gestellt. Meine Liebe, behaupten diese Geschichten wirklich, ich hätte meine magische Fähigkeit wieder verloren?«
»Na ja, das nicht. Es heißt nur, Ihr hättet gelernt, wie ihr die Sache mit fließendem Wasser umkehren könnt, und Ihr hättet Eure Tochter ins Leben zurückgeholt.«
»Das stimmt ja auch. Manchmal muss ich meine Berührung noch immer umkehren. Es gibt hier im Haus kein fließend Wasser, weil ich keine Unfälle riskieren will« – er zeigte auf seine Statuen –, »aber für alle Fälle wohnen wir an einem Fluss. Manchmal vergesse ich die Sache und klopfe Lit auf die Schulter …«
Lit wich einige Schritte zurück. »Das finde ich schrecklich.«
»Ich hab dir doch gesagt, dass es mir leidtut, mein Sohn. Wie auch immer, Gold ist jedenfalls wundervoll. Warum sollte ich das aufgeben?«
»Na ja …« Piper wusste nicht mehr weiter. »Ist das denn nicht die Moral von der Geschichte? Dass Ihr Eure Lektion gelernt hattet?«
Midas lachte. »Meine Liebe, darf ich mal kurz in deinen Rucksack schauen? Wirf ihn doch mal her.«
Piper zögerte, wollte den König aber nicht verärgern. Sie leerte den Rucksack aus und warf ihn Midas zu. Sowie er den Rucksack auffing, verwandelte der sich in Gold, es sah aus, als bilde sich Reif auf dem Stoff. Der Rucksack sah noch immer flexibel und weich aus, war aber eindeutig aus Gold. Der König warf ihn zurück.
»Wie du siehst, kann ich noch immer alles in Gold verwandeln«, sagte Midas. »Außerdem ist der Rucksack jetzt magisch. Na, mach schon – steck eure kleinen bösen Sturmgeister da rein.«
»Echt?« Plötzlich war Leos Interesse geweckt. Er nahm Piper den Rucksack ab und hielt ihn vor den Käfig. Kaum hatte er den Reißverschluss geöffnet, da zitterten und heulten die Winde empört. Die Gitterstäbe bebten. Die Tür des Käfigs sprang auf und die Winde wurden in den Rucksack gesaugt. Leo zog den Reißverschluss zu und grinste. »Ganz schön cool. Muss ich zugeben.«
»Seht ihr«, sagte Midas. »Meine goldene Berührung ein Fluch? Also bitte. Ich habe meine Lektion nicht gelernt und das Leben ist keine Sage, Mädchen. Ehrlich gesagt war meine Tochter Zoe als Goldstatue viel angenehmer.«
»Sie hat sehr viel geredet«, sagte Lit zustimmend.
»Genau. Also habe ich sie wieder in Gold verwandelt.« Midas zeigte in eine Ecke. Dort stand die goldene Statue eines Mädchens mit schockierter Miene, als dächte sie: Aber Dad!
»Das ist doch schrecklich!«, sagte Piper.
»Unsinn. Ihr macht das nichts aus. Und außerdem, wenn ich meine Lektion gelernt hätte, hätte ich dann die hier?«
Midas zog seine überdimensionale Nachtmütze vom Kopf und Jason wusste nicht, ob er lachen oder sich übergeben sollte. Aus Midas’ weißen Haaren ragten lange graue Ohren hervor – wie Hasenohren, aber es waren keine. Es waren Eselsohren.
»Oh, Mann«, sagte Leo. »Das musste ich nicht unbedingt sehen.«
»Schrecklich, was?« Midas seufzte. »Einige Jahre nach der Sache mit dem Gold war ich Richter bei einem Wettsingen zwischen Apollo und Pan und ich habe Pan zum Sieger erklärt. Apollo, dieser schlechte Verlierer, sagte, ich hätte ja wohl Eselsohren, und voilà. Das war die Belohnung für meine Ehrlichkeit. Ich habe versucht, sie geheim zu halten. Nur mein Barbier wusste davon, aber der konnte den Mund nicht halten.« Midas zeigte auf eine andere goldene Statue – ein Mann in einer Toga mit einer Schere in der Hand. »Das ist er. Der verrät kein Geheimnis mehr.«
Der König lächelte. Plötzlich kam er Jason nicht mehr vor wie ein harmloser Opa im Bademantel. Seine Augen funkelten fröhlich – wie die eines Irren, der weiß, dass er irre ist, der sein Irresein akzeptiert und es genießt. »Ja, Gold ist überaus nützlich. Ich glaube, deshalb bin ich auch zum Leben erweckt worden, was, Lit? Um unsere Beschützerin zu finanzieren.«
Lit nickte. »Und wegen meines guten Schwertarms.«
Jason warf seinen Freunden einen Blick zu. Plötzlich wirkte die Luft im Saal viel kälter.
»Ihr habt also eine Beschützerin«, sagte Jason. »Ihr arbeitet für die Riesen.«
König Midas machte eine wegwerfende Handbewegung. »Na ja, natürlich habe ich nichts übrig für Riesen. Aber sogar übernatürliche Armeen wollen ihren Sold. Ich stehe tief in der Schuld meiner Beschützerin. Ich habe das auch der letzten Gruppe hier zu erklären versucht, aber die waren ziemlich unfreundlich. Gar nicht umgänglich.«
Jason schob die Hand in die Hosentasche und packte seine Goldmünze. »Die letzte Gruppe?«
»Jägerinnen«, fauchte Lit. »Verflixte ArtemisMädels.«
Jason spürte, wie ein elektrischer Funke – ein echter Funke – sein Rückgrat hinabjagte. Er nahm einen Hauch von elektrischem Feuer wahr, als hätte er soeben einige Federn im Sofa geschmolzen.
Seine Schwester war hier gewesen.
»Wann?«, fragte er. »Was ist passiert?«
Lit zuckte mit den Schultern. »Vor ein paar Tagen. Ich durfte sie leider nicht umbringen. Sie suchten irgendwelche Wölfe oder so. Behaupteten, einer Witterung zu folgen, die nach Westen führte. Irgendwas mit einem verschollenen Halbgott – ich weiß es nicht mehr genau.«
Percy Jackson, dachte Jason. Annabeth hatte erwähnt, dass die Jägerinnen nach ihm suchten. Und in Jasons Traum von dem ausgebrannten Haus im Wald hatte er feindliche Wölfe heulen hören. Hera hatte sie als ihre Bewacher bezeichnet. Da musste es irgendeinen Zusammenhang geben.
Midas kratzte sich die Eselsohren. »Sehr unangenehme junge Damen, diese Jägerinnen«, sagte er nachdenklich. »Sie wollten sich um keinen Preis in Gold verwandeln lassen. Ich habe einen Großteil des Sicherheitssystems draußen installiert, damit so was nicht wieder vorkommt, wisst ihr. Ich kann meine Zeit nicht mit Leuten verschwenden, die keine seriösen Investoren sind.«