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Dick Francis

Rivalen

Kapitel 1

Leim schnüffelnde Rennreiter gewinnen das Derby nicht. Ich hatte noch nie im Leben Leim geschnüffelt.

Trotzdem, da stand ich vor dem Mann, dessen Pferde ich ritt, und mußte mir von ihm sagen lassen, er habe keine Verwendung mehr für mich.

Er saß hinter seinem großen, von Papieren übersäten Schreibtisch und befaßte sich mit seinen Fingernägeln. Gelblichweiße, glatte Hände.

»Ich habe das aus glaubwürdiger Quelle«, sagte er.

»Aber es stimmt nicht«, widersprach ich entgeistert. »Ich habe noch nie Leim geschnüffelt. Erst recht kein Kokain geschnupft. Ich hab noch nicht mal Pot geraucht. Das ist nicht wahr.«

Er betrachtete mich mit erfahrenen Augen, ein massiger, ebenso macht- wie selbstbewußter, wohlhabender Mann, der von Haus aus einen klaren Kopf und Anteile an einer Bank besaß und aus Leidenschaft sehr erfolgreich Rennpferde trainierte.

Ich war noch keine achtzehn und, wie ich jetzt im Gegensatz zu damals weiß, unreif für mein Alter. Seine falsche Überzeugung machte mich einfach hilflos, und ich hatte keine Ahnung, wie ich dagegen angehen sollte.

»Sir Vivian ...«, setzte ich verzweifelt an, doch er brachte mich mit seiner gewichtigen, gebieterischen Stimme mühelos zum Schweigen.

»Packen Sie Ihre Sachen, Benedict«, sagte er. »Ich lasse meinen Stall nicht von einem Reiter, der Drogen nimmt, ins Gerede bringen, auch wenn es nur ein Amateur ist, der nicht viel taugt.«

Er sah, wie ich zusammenzuckte, sprach aber unbeirrt weiter. »Aus Ihnen wird nie ein Klassereiter. Schon weil Sie zu groß sind oder es in spätestens ein, zwei Jahren sein werden, und ehrlich gesagt machen Sie im Sattel keine gute Figur. Sie zappeln. Bei Ihnen fällt der ausgeglichenste Springer auseinander. Und dann so ein schlechter Ruf ... da soll man Sie mit meinem Stall lieber nicht in Verbindung bringen.«

Ich schaute ihn benommen an; sein abfälliges, vielleicht aber vertretbares Urteil über mein Reitvermögen hatte mich mehr getroffen als die unhaltbaren Drogenvorwürfe.

Die vertrauten Wände seines Büros schienen sich von mir zu entfernen, so daß ich verloren, mit klopfendem Herzen in der Mitte zurückblieb und die Füße nicht mehr spürte, auf denen ich stand. Die bekannten Fotos einstiger Sieger, die Bücherregale und die olivgrüne Tapete verschwammen. Ich sah nur das unbewegte Gesicht des Mannes, der unter meinen langgehegten Traum, einmal alle Rennen vom Grand National an abwärts zu gewinnen, den Schlußstrich gezogen hatte.

Wahrscheinlich ist man noch ganz gut bedient, wenn man mit siebzehn auf das rechte Maß gestutzt wird. Es fühlte sich nur in dem Augenblick, als mich der Hammer traf, nicht so an.

»Vor dem Fenster dort«, Sir Vivian Durridge deutete hinaus, »wartet ein Wagen auf Sie. Der Fahrer sagt, er habe Ihnen etwas auszurichten. Er wartet schon seit gut einer Stunde, Sie waren noch beim Arbeitsgalopp, als er kam.«

Ich blickte seinem Finger nach und sah unten an der geharkten Kiesauffahrt zum eindrucksvollen, säulengetragenen Vorbau seiner Villa eine große schwarze Limousine stehen, in der lediglich ein Chauffeur mit Schirmmütze saß.

»Wer ist das?« fragte ich verwirrt.

Vivian Durridge konnte oder wollte es mir nicht verraten. Er meinte nur: »Fragen Sie ihn, wenn Sie gepackt haben.«

»Aber, Sir ...«, versuchte ich es noch einmal, blieb aber, von seiner ablehnenden Haltung entmutigt, wiederum stecken.

»Schauen Sie, daß Sie mit sich ins reine kommen«, sagte er und bedeutete mir, ich solle gehen. »Ich habe jetzt zu tun.«

Er blickte beharrlich auf seinen Schreibtisch, ohne mich noch zu beachten, und nach ein paar Sekunden ging ich unsicher zu der hohen, blanken Tür mit dem vergoldeten Griff und ließ ihn allein.

Es war ungerecht. Ich hatte selten im Leben geweint, aber jetzt fühlte ich mich klein und den Tränen nah. Noch nie hatte mir jemand knallhart etwas vorgeworfen, was ich nicht getan hatte. Nie hatte sich jemand so abfällig über meine reiterlichen Fähigkeiten geäußert. Ich hatte immer noch eine dünne Haut.

Kein Trainer von Format würde jemanden, der bei Vivian Durridge rausgeflogen war, unter seine Fittiche nehmen.

Wie vor den Kopf gestoßen und von einem diffus elenden Gefühl ergriffen, durchquerte ich Durridges Eingangshalle, öffnete die schwere Haustür und ging über den knirschenden Kies zu der Limousine mit dem Chauffeur.

Ich kannte weder Wagen noch Fahrer.

Die Augustsonne blitzte auf der spiegelblanken Karosserie, und der schwarz uniformierte Fahrer mit dem glänzenden Mützenschild ließ das Fenster herunter, streckte den Arm heraus und hielt mir wortlos einen unbeschrifteten weißen Briefumschlag hin.

Der Umschlag war nur leicht zugeklebt. Ich riß ihn auf, fand eine weiße Karte darin und las die kurze Mitteilung.

Steig ein.

Darunter war nachträglich ein Wort hinzugefügt.

Bitte.

Ich blickte zu dem großen Haus zurück, aus dem ich so unsanft entlassen worden war, und sah, daß Vivian Durridge mich beobachtete. Er rührte sich nicht: kein Einlenken, kein Abschiedsgruß.

Ich begriff das alles nicht.

Die Schrift auf der Karte war die meines Vaters.

Fast eine Stunde saß ich im Fond, während der Chauffeur mich in langsamem Tempo durch das südenglische Sussex fuhr und schließlich den Badeort Brighton ansteuerte.

Auf meine Fragen hatte er nur geantwortet, er befolge Anweisungen, und nach einer Weile hatte ich es aufgegeben. Wie es aussah, hätte ich an einer der wenigen Ampeln aus dem Wagen springen und türmen müssen, um nicht dahin zu kommen, wo mein Vater mich hinhaben wollte, doch da ich keine Angst vor ihm hatte, gehorchte ich ihm wie üblich.

Hauptsächlich dachte ich ebenso zornig wie zerknirscht an die Szene in Durridges Büro, und Sir Vivians Worte gingen mir immer wieder im Kopf herum, ohne dabei schmackhafter zu werden.

Die schwere Limousine glitt vorbei an Regency-Häusern und Andenkenläden, an alter Pracht und neuem Kommerz, und hielt schließlich auf der Seeseite vor dem Haupteingang eines großen Hotels altfranzösischer Bauart, auf dessen schmiedeeisernen Balkons bunte Badetücher zum Trocknen hingen.

Sogleich erschienen Gepäckträger. Der Chauffeur kam um den Wagen herum und öffnete mir feierlich den Schlag, worauf ich ausstieg und frische Meeresluft mir um die Nase wehte: Möwen schrien, Stimmen riefen vom Ebbstrand her, und der Salzgeruch hob unvermittelt meine Stimmung wie in den Sandburgen-Ferien meiner Kindheit.

Der Chauffeur deutete eine Verbeugung an, wies auf den Eingang des Hotels, setzte sich, ohne etwas erklärt zu haben, wieder hinters Steuer, fädelte sich bei der ersten Gelegenheit in den Verkehr ein und fuhr zügig davon.

»Gepäck, Sir?« fragte einer der Dienstleute. Er war kaum älter als ich.

Ich schüttelte den Kopf. Mein Gepäck, auf die Morgenarbeit mit Durridges erstem Lot zugeschnitten, trug ich am Leib: Reithose, Stiefeletten, kurzärmeliges Sporthemd und eine leichte, gemusterte Jacke mit (offenem) Reißverschluß. Meine glänzend blaue Sturzkappe hielt ich am Kinnriemen in der Hand. Ich gab mir einen Ruck und betrat in diesem unpassenden Aufzug das Grandhotel, aber ich hätte unbesorgt sein können: Die einst auf Form bedachte Halle summte wie ein Bienenstock von Leuten in abgeschnittenen Jeans, Strandsandalen und sloganbefrachteten T-Shirts. Die Frau am Empfang betrachtete meine Reitkleidung gelassen und ohne Neugier, steckte mich aber eindeutig in eine Schublade und beantwortete meine etwas heiser vorgebrachte Frage.

»Mr. George Juliard?« wiederholte sie. »Wen darf ich ihm melden?«

»Seinen Sohn.«

Sie griff zum Telefon, drückte eine Nummer, sagte etwas, hörte zu, wandte sich an mich.

»Bitte fahren Sie nach oben. Zimmer 412. Der Lift ist dort links.«

Mein Vater stand in einer offenen Tür, als ich auf der Suche nach Nummer 412 den Gang entlang kam. Ich blieb stehen und sah, wie er mich getreu seiner Gewohnheit musterte, vom dunklen, wasserunempfindlichen Lockenschopf, den braunen Augen, dem schmalen Gesicht bis zu dem dünnen Gestell von rund einem Meter achtzig mit den langen Beinen, die in ungeputzten Stiefeln steckten: kein erhebender Anblick für einen ehrgeizigen Erzeuger.