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»Aha.« Mein Vater packte alles Verständnis der Welt in das eine Wort. »Sie haben also Paul Bethune mit Dreck beworfen, damit sie freie Bahn hat?«

Usher Rudd war wütend. »Sie wiegt zehn von Ihrer Sorte auf.«

»Und sie kann sich vor Fans kaum retten.«

»Sie hätte gewonnen.« Usher Rudd bebte vor Wut. »Sie werden verlieren.«

»Mal sehen.« Mein Vater ging mit mir im Schlepptau an ihm vorbei, und Usher Rudd schrie uns eine Frage nach, die ich niemals gestellt hätte, obwohl sie mich selbst brennend interessierte. »Wenn Ihre Frau schon lange tot ist, wie halten Sie’s dann mit Sex?«

Mein Vater hatte das zweifellos gehört, kam aber keinen Moment aus dem Tritt. Ich warf einen Blick auf sein Gesicht, ohne dadurch schlauer zu werden; es verriet weder Unruhe noch Verlegenheit, höchstens - Belustigung.

Das Mittagessen war eine beschwingte Angelegenheit, denn die Helfer waren noch aufgedreht vom morgendlichen Programm. Am Nachmittag besichtigten wir eine Möbel- und danach eine Farbenfabrik, wobei der Kandidat (am Stock gehend) ganz Ohr für die Lokalprobleme war und Abhilfe versprach, falls er gewählt wurde. Er schüttelte unzählige Hände, gab zahllose Autogramme und hinterließ Hoffnung.

Mervyn Teck war bei seiner Planung noch davon ausgegangen, daß Orinda die Holzarbeiter und die Farbenmischer umgarnen würde, und in der einen oder anderen Werksabteilung stieß der vermeintliche Thronräuber auf Widerstand. Mein Vater entschärfte die Lage, indem er Orindas Verdienste lobte, ohne sich dafür zu entschuldigen, daß man ihn ihr vorgezogen hatte.

»Ein geborener Politiker«, flüsterte eine der Wahlhelferinnen mir ins Ohr. »Bei der gegenwärtigen Stimmung würden wir den Wahlkreis hier mit Orinda verlieren, obwohl sie das natürlich nicht wahrhaben will. Mit Ihrem Vater steigen die Chancen, aber Wähler sind unberechenbar, oft sogar richtig nachtragend, und sie stimmen eher für eine Partei als für Einzelpersonen; deshalb können die Schmuddelvorwürfe Paul Bethune auch nicht viel anhaben, zumal unter den männlichen Wählern ein Seitensprung nicht als große Verfehlung gilt, die wünschen ihm deshalb doch gerade, daß er’s schafft. Und wenn Sie meinen, Frauen würden keinen Ehebrecher wählen, sind Sie auch im Irrtum.«

»Hat Usher Rudd keinen Einfluß auf die Wählerentscheidung?«

»Weniger, als er meint, der kleine Heimtücker. Die Leute hier achten längst nicht so auf ihn wie die hohen Tiere im Parlament. Die haben alle Schiß, daß er in ihrem Vorleben wühlt, und je weiter sie nach oben kommen, desto mehr hassen sie ihn. Es ist ja bekannt, wie schnell Abgeordnete, die ins Gerede kommen, bei ihrer Partei abgemeldet sind.«

Mir war das neu, da ich mich darum noch nie gekümmert hatte.

Auf der Rückfahrt nach Hoopwestern fragte ich meinen Vater, was er von Usher Rudd halte, aber er sagte nur gähnend, er sei k. o. und sein Fuß tue weh, dann schlief er ein. Ich fuhr vorsichtig, weil ich den Straßenverkehr noch nicht gewohnt war, und weckte den Kandidaten durch jähes Bremsen an einer roten Ampel auf.

»Usher Rudd«, sagte er ohne Vorrede, als zählten die zwanzig Minuten zwischen Frage und Antwort überhaupt nicht, »wird sich die Finger am Paragraphen zum Schutz der Privatsphäre verbrennen.«

»Ich wußte gar nicht, daß es dafür Paragraphen gibt.«

»Die kommen.«

»Ach so.«

»Usher Rudd hat rote Haare unter der Baseballmütze.«

»Woher weißt du das?«

»Er war gestern abend auf der Versammlung nach dem Essen. Polly hat ihn mir gezeigt. Schwarzer Trainingsanzug, schwarze Turnschuhe. Hast du ihn nicht gesehen?«

»Nicht, daß ich wüßte.«

»Stell fest, ob er schießen kann.«

Ich war drauf und dran, »wau« oder »wie denn?« zu sagen, verkniff mir aber beides. Mein Vater sah mich schräg an, und ich spürte sein Lächeln.

»Ich glaube nicht, daß er es war«, sagte ich.

»Wieso nicht?«

»Seine Waffe ist die spitze Feder.«

»Und du willst wirklich Mathematiker werden? Hast du noch nie daran gedacht, zu schreiben?«

»Ich will Jockey werden.« Oder auf dem Mond landen.

»Die Uni Exeter hat sich erkundigt, wo du dein Zwischenjahr verbringen möchtest, wenn sie dich auf die Warteliste setzen. Falls du also nicht im Oktober, sondern nächstes Jahr dort anfängst. Von Pferderennen halten sie nicht so viel.«

»Exeter hat doch selbst eine Rennbahn.«

»Du weißt ganz genau, worum es geht.«

»Politik liegt mir nicht.« Schnell das Thema wechseln.

»Politik hält die Welt in Gang.«

»Du meinst, ohne Politik läuft nichts?«

Er nickte. »Wenn die Politik steckenbleibt, gibt es Krieg.«

»Vater -«, sagte ich.

»Dad.«

»Nein - Vater. Warum willst du unbedingt Politiker sein?«

Nach einer Pause sagte er: »Ich bin einer. Ich kann nicht anders.«

»Du bist aber nie ... naja .«

»Nie aktiv geworden? Im Kopf hatte ich das schon. Seit ich so alt war wie du, wenn nicht schon vorher, wußte ich, daß ich eines Tages versuchen würde, ins Parlament zu kommen. Aber ich brauchte eine solide Grundlage. Ich mußte mir selbst beweisen, daß ich Geld verdienen konnte. Ich mußte etwas von Wirtschaft verstehen. Vor einiger Zeit kam dann der Punkt, an dem ich mir sagte, jetzt oder nie. Für mich war klar: jetzt.«

Das war die längste Standorterklärung, die ich je von ihm gehört hatte, und ich nahm an, er hatte den Drang, der ihn zur Reife geführt und ihn im Schlafenden Drachen seine ganze Kraft hatte entfalten lassen, mir zuliebe vereinfacht dargestellt. Der Juliard-Drache war jetzt erwacht und kroch schnaubend via Whitehall in Richtung Downing Street.

In diese Gedanken vertieft verfuhr ich mich. Er enthielt sich jeder Stichelei, als ich anhielt, auf der Karte nachsah, wo ich falsch abgebogen war, und schließlich aus einer ungewohnten Richtung doch noch zum Parkplatz fand; und schon dieser Nachsicht wegen hätte ich ihm weiterhin gedient wie ein Knappe dem Ritter. Konnte man noch altmodischer sein?

Wir kamen erst lange nach sechs zurück, und der Parkplatz war entsprechend leer. Die umliegenden Geschäfte hatten geschlossen. Die Abendsonne schien matt golden, als ich Crystals Wagen parkte.

Das Büro war noch schwach beleuchtet, aber verlassen. Ich schloß die Tür auf, und eine große Notiz auf Mervyn Tecks Schreibtisch sprang uns ins Auge.

»Der Range Rover steht in Rudds Reparaturwerkstatt. Sie haben ihn gründlich überholt und nichts daran gefunden.«

Kapitel 4

Nach dem anstrengenden ganztägigen Gastspiel in Quindle hätte ich meinem Vater eine Verschnaufpause gegönnt, aber ich war mir noch nicht darüber im klaren, wieviel Ausdauer angehenden Volksvertretern ab verlangt wird. Statt in Ruhe seine Batterien aufladen zu können, mußte er zu einem weiteren Händeschüttel- und Lächelmarathon, nur diesmal nicht im Lüsterglanz des großen Saals des Schlafenden Drachen, sondern in viel einfacheren, normalerweise der Vorschulerziehung dienenden Räumlichkeiten in einem Außenbezirk von Hoopwestern.

An Korkbretter gepinnte Malversuche von Kindern schmückten die Wände, hauptsächlich Strichmännchen mit dicken Köpfen und abstehenden Zottelhaaren, die an Medusas Schlangenhaupt gemahnten. Einfache Schilder in kindgerechter Druckschrift forderten »Wir laufen nicht, wir gehen« und »Zum Melden heben wir die Hand«.

Von überall stürmten Grundfarben auf das arme Auge ein, und hätte ich mich nicht daran erinnert, wäre es mir kaum möglich erschienen, daß auch meine Erziehung auf dieser Ebene begonnen hatte. Eine andere Welt, weit zurück.

Zum Inventar gehörten mehrere Reihen Klappstühle, wie sie mit der Zeit für mich zum vertrauten Anblick wurden, und eine provisorische Rednertribüne mit einem Mikrophon, das bei jeder Probe und auch beim Ein- und Ausschalten pfiff