»So? das nennt Ihr also nicht Diebstahl?«
»Nein! wer einer armen Witwe oder einem armen Menschen die Kuh nimmt, der ist ein Dieb. Wer aber einen Sassenach-Freisassen dadurch, daß er ihm die Kühe raubt, zur Zahlung des Schutzgelds zwingt, das die Unterländer für das Vorrecht, die bessre Weidegerechtigkeit zu besitzen, an den auf den kargeren Boden angewiesenen Hochländer mit Fug und Recht zu entrichten haben, das ist kein Dieb, sondern ein vornehmer Viehtreiber. Kein Hochlandsschotte wird es für schimpflich erachten, den Baum aus dem Walde zu holen, den Lachs aus dem Flusse zu angeln, das Wild auf der Höhe zu schießen, die Kuh aus dem Unterlande zu rauben!«
»Aber was kann das Ende sein, wenn er über solchem Delikt ergriffen wird?«
»Dann findet er eben auf grund des selbstischen Gesetzes den Tod, wie schon mancher wackre Kerl vor ihm!«
»Des selbstischen Gesetzes!« wiederholte Edward.
»Ja, das heißt, er muß eben an den Galgen, wie es dem Vater und dem Großvater auch gegangen ist und wo er hoffentlich auch mal das Ende findet, sofern er nicht in einem Creagh erschossen oder erschlagen wird!«
»Und solchen Tod erhofft Ihr für Euren Freund, Evan?«
»Allerdings! Wollt Ihr denn haben, ich soll ihm wünschen, daß er auf seinem Strohlager verrecke wie ein räudiger Hund?«
»Aber was soll dann aus Alice werden?«
»Fürwahr, wenn sich solcher Fall zutragen sollte, daß ihr Vater sie nicht mehr selbst braucht, so wüßte ich nicht, was mich hindern sollte, sie selbst zu heiraten!«
»Ein Entschluß, der sich hören läßt,« sagte Edward, »und ein Entschluß, der Euch Ehre macht, Evan! Aber nun sagt mir, was hat Euer Schwiegervater, denn er wirds doch einmal, da er der Ehre, gehangen zu werden, doch sicher nicht entgeht, mit den Kühen des Barons von Bradwardine gemacht?«
»O, die sind schon vor Eurem Burschen auf dem Marsche gewesen,« sagte Evan, »ehe die Sonne über den Ben Lawers blickte, und werden zurzeit wohl schon unterwegs sein nach dem Parke von Tully-Beolan, durch den Engpaß von Bally-Brough, allesamt bis auf zwei, die leider schon abgestochen waren, als ich gestern nacht wieder zurückkam.«
»Und wohin begeben wir uns, Evan, wenn ich so kühn sein darf, zu fragen?«
»Wohin sonst als in das Haus des Lairds von Glennaquoich? Ihr denkt doch nicht daran, sein Gebiet wieder zu verlassen, ohne ihm die Aufwartung gemacht zu haben?«
»Sind wir noch weit von Glennaquoich?«
»Fünf knappe Stunden, und Vich-Ian-Vohr wird uns entgegengezogen kommen.«
Binnen einer halben Stunde waren sie am obern Ende des Sees, wo Waverley von den Hochländern ans Land gesetzt wurde. Dann wurde das Boot in einer schmalen Bucht unter Binsen und Rohr geborgen. Die Ruder wurden an einer andern Stelle in Sicherheit gebracht, beides jedenfalls zu dem Zwecke, daß Donald Bean Lean Boot und Ruder fände, wenn ihn seine neue Unternehmung in die Nahe dieser Stelle bringen sollte.
Eine Zeitlang durchwanderten nun die Schotten mit Edward ein liebliches Tal, das sich zwischen den Bergen erschloß und das von einem Bächlein durchströmt wurde, das seinen Lauf nach dem Bergsee hinüber nahm.
»Ist denn die Schlucht, von der Ihr mir sagtet, sein ständiger Aufenthalt?« fragte Waverley, die Rede wieder auf den Wirt in der Höhle bringend.
»Durchaus nicht,« erwiderte Evan. »Wenn man erzählen wollte, wo er überall zu finden ist, so ginge das über den menschlichen Verstand. Es gibt kein finstres Loch, keine Schlucht und keine Höhle im ganzen Lande, in der er nicht bekannt und zu Hause wäre.« »Beschützen ihn denn noch andre außer Eurem Herrn?«
»Mein Herr? ... Mein Herr ist im Himmel,« versetzte Evan stolz, nahm aber bald seine gewohnte artige Weise wieder an und sagte:
»Ihr meint doch bloß meinen Häuptling! ... Nein, er beschützt weder Mac Donald Bean Lean, noch einen andern seinesgleichen, er gewährt ihm nur,« setzte er mit Lächeln hinzu, »Holz und Wasser.«
»Das wäre doch eben nicht viel, Evan, denn beides scheint ja in reichlichem Maße da zu sein.«
»Ihr versteht nicht recht, was ich meine,« versetzte Evan. »Holz und Wasser bedeutet See und Land, und ich meine doch, daß es um Donald geschehen sein möchte, wenn es dem Laird einfallen sollte, ihm mit einem Paar Dutzend Mannen im Kailichat-Holze einen Besuch zu machen in andrer als freundlicher Absicht, und wenn unsre Kähne mit zehn oder besser noch zwanzig Mann den See hinunter nach seinem Uaimb an Ri steuern wollten unter Führung von mir oder eines tapfern Mannes aus dem Clan.«
»Aber wenn nun wieder einmal ein starker Trupp aus dem Unterlande ihm auf den Leib rückte? Wird ihn Euer Häuptling dann auch verteidigen und beschützen?«
»Nein! keinen einzigen Funken würde er aus einem Feuerstein um seinetwillen schlagen, sobald sie mit dem Gesetz anrückten.«
»Und was würde Donald dann beginnen?«
»Er müßte halt aus dem Lande und versuchen, sich über die Berge nach Letter-Scriver zu werfen.«
»Und wenn er auch bis dorthin verfolgt würde?«
»Dann müßte er zu seinen Vettern nach Rannoch ziehen!«
»Und wenn man ihn auch nicht in Rannoch in Ruhe ließe?«
»Das ist nicht anzunehmen!« rief Evan, »doch um Euch die Wahrheit zu sagen, es darf kein Unterländer Schotte um Fehden halber auf Schußweite über den Bally-Brough dringen, sofern er nicht die »Sidier-Dhu« zu Hilfe hat.«
»Was meint Ihr damit?«
»Die schwarzen Soldaten, das heißt die Freikompagnien, die in Schottland ausgehoben werden, Ruhe und Ordnung zu halten bei uns in den Hochlanden. Vich-Ian-Vohr hat eine Kompagnie fünf Jahre lang kommandiert und ich war sein Sergeant. Sidier Dhu heißen sie, weil sie die Tartane tragen, zum Unterschiede von den Sidier Roy, wie im Hochlande die Rotröcke König Georgs heißen.«
»Schön, Evan! aber so lange Ihr im Solde König Georgs, standet, so lange waret Ihr doch auch König Georgs Soldat?«
»Darüber müßt Ihr Euch mit Vich-Ian-Vohr selbst unterhalten! Jedenfalls sind wir aber jetzt nicht mehr in königlichem Dienste, denn wir haben schon ein volles Jahr lang königlichen Sold nicht mehr bekommen.«
In diesem Augenblick knallte ein Schuß, und am Ausgang des Tals kam ein Jäger in Sicht.
»Da kommt der Häuptling,« sagte Dugald Mahony.
»Das ist er nicht,« rief gebieterisch Evan Mac Dhu; »meinst Du, er käme einem englischen Edelmann auf solchem Wege entgegen?« Aber nach einer Weile setzte er mit sichtlichem Verdruß hinzu: »und doch ist ers! und hat seine Garde nicht bei sich; keine lebendige Seele ist bei ihm als Callum-Beg!«
Aber Fergus Mac Ivor hatte nicht vor, sich in eines jungen Engländers Augen durch eine müßige Schar von Hochländern in Ansehen zu setzen, wußte er doch viel zu gut, daß solche überflüssige Eskorte ihn in Edwards Augen weit eher lächerlich machen müßte. Anders wäre es gewesen, wenn er einen andern Clanshäuptling zu begrüßen gehabt hätte, da wäre er allerdings mit all seinen Mannen und Hörigen, erschienen, die Evan in so beredter Weise geschildert hatte. Waverley gegenüber meinte er besser zu tun, wenn er so einfach wie möglich, also bloß in Begleitung eines einzigen seiner Mannen, und zwar eines recht schmucken, jungen Hochländers, auftrat.
Als Fergus und Waverley einander gegenüberstanden, nahm der letztere mit Ueberraschung die auffällige Anmut und Würde in der Gesamterscheinung des hochländischen Häuptlings wahr. Fergus war übermittelgroß, und die Hochlandstracht verlieh ihm trotz ihrer Einfachheit ein äußerst vorteilhaftes Aussehen. Er trug ein enges Beinkleid aus rot und weiß gewürfeltem Tartan; alle übrigen Stücke seines Anzugs glichen durchaus denen, die Evan Mac Dhu trug. Bloß sah man an ihm außer dem mit Silber reich plattierten Dolch keine Waffe. Das Schwert wurde von einem Pagen getragen, dessen wir schon erwähnten, und die Flinte, die er in der Hand hielt, schien nur für die Jagd bestimmt zu sein.