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Jenseits der Brücke erweiterte sich die Schlucht zu einem großartigen Waldtheater, und über ihm stiegen die kahlen Gipfel, stellenweis mit rotem Heidekraut malerisch bedeckt, in Riffe und Klippen zersplittert, zu gewaltiger Höhe auf. Eine Strecke lang verließ nun der Pfad den Bach, und plötzlich stand Waverley, als er um einen Felsen herumschritt, vor einem wunderbar schönen Wasserfall, der aus einer Höhe von über zwanzig Fuß in die Tiefe hinunter schoß.

Und am Fuße desselben, auf einem lieblich grünen Rasenfleck, saß mit ihrer Dienerin Flora, versenkt in das herrliche Naturbild, das sich Waverleys Augen hier offenbarte. Kathleen hielt die schottische Harfe in der Hand, deren Spiel Flora von Rory Dall, einem der letzten Harfner der Hochlande, erlernt hatte. Die Sonne, die jetzt im Westen stand, lieh allen Dingen ein lebhaftes Kolorit und schien Floras grellschwarze Augen mit überirdischem Glanze zu erfüllen, ihre Wangen in Glut zu tauchen, ihre schöne Gestalt mit würdevoller Anmut zu verklären. Flora kannte, wie jede schöne Frau, die Macht, die ihr innewohnte, recht gut, und sie freute sich der Wirkung, die sie übte; aber sie besaß ein zu lauteres Herz, um die Beweise von Ehrerbietung, die ihr der junge Kriegsmann gab, anders denn als vorübergehenden Tribut anzusehen, der auch einem weniger schönen Weibe in solch herrlichem Rahmen, wie ihn die wildromantische Umgebung abgab, gezollt worden wäre.

Sie führte ihn gelassen zu einem Plätzchen, weit genug abgelegen von dem Wasserfalle, daß sein Rauschen sie in ihrer Unterhaltung nicht stören konnte, ließ sich auf einem mit Moos übersponnenen Felsstück nieder und nahm die Harfe aus Kathleens Hand.

»Kapitän Waverley,« hub sie an, »ich habe Euch zu diesem beschwerlichen Gange veranlaßt, weil ich einesteils meinte, dieses Stück hochländischer Erde möchte Euch gefallen, anderseits weil ich Euch keinen Bardensang in meiner Übertragung bieten mochte ohne den Rahmen, der einigermaßen im stande sein dürfte, meine Schwächen bei solchem Beginnen zu verdecken. Keltische Muse ist ohne keltischen Nebel, wie er unsre heimischen Höhen umflutet, nicht recht faßlich, denn ihre Stimme erklingt aus des Gießbachs Getöse. Wer sich keltischer Muse weihen will, der muß den nackten Fels lieber haben als das gesegnete Tal, dem muß die Waldeseinsamkeit besser behagen als die Freuden rauschender Geselligkeit.«

Mit einer Freude ohnegleichen lauschte Waverley den ersten Akkorden der schönen Harfenistin, und nicht um eine Welt hätte er seinen Platz an ihrer Seite aufgeben mögen, und dennoch stieg in seinem Herzen eine Sehnsucht nach Einsamkeit auf, die ihm die heilige Ruhe schüfe, die durcheinander wogenden Empfindungen in seiner Brust zu klären und zu sondern.

In seltsamer Regellosigkeit, aber wunderbarem Einklange mit dem Rauschen des Wasserfalls und dem sanften Lispeln des Abendwindes im Espenlaub ertönte nun der Sang:

Ueber dem Berge schwebt Nebel, und Nacht herrscht im Tal,

Aber düsterer Schlaf hält die Söhne vom Gal.

Ein Fremdling gebot, und er drückte das Land,

Und erstarrte das Herz und lähmte die Hand.

Der Dolch und das Schild sind vom Staube entehrt.

Und rostrot feiert das blutleere Schwert;

Wenn auf Höhen, in Tälern das Feuerrohr knallt.

Nur hinterm Birkhuhn und Rotwild das Hifthorn schallt.

Soll der Barden Sang Taten der Ahnen erneu'n.

Laßt Scham und Geißel den Dank dafür sein!

Es verstumme die Saite, verhalle der Ton,

Wenn vom Ruhme sie singen, der auf ewig entfloh'n.

Der stolze Held Moray!   verbannt jetzt   so kann er

Im Glührot des Morgens nicht heben sein Banner!

Weit, weit laß er's wehen auf nordischem Pfad,

Wie der scheidende Strahl, wenn das Wetter sich naht!

Ihr Söhne der Schlachten, wann der Morgen bricht an,

Soll die Harfe des Greises Euch zeigen die Bahn?

Nie weckte die Väter solch Morgenrot,

Daß der Häuptling nicht aufstand zu Sieg oder Tod.

Ihr Söhne des Stammes, der Islay beherrscht,

Clanshäupter von Ranald, Glengary und Sleat!

Wie drei Ströme von einzigem Eisberg herab.

Wälzt hinunter den Feind in das düstere Grab!

Du wackrer Sohn Evan, Du furchtloser Lochiel!

Das Schild auf die Schulter, den Stahl poliert!

Held Keppoch, entsende dem Horne den Schall,

Daß Caryarrick vernehme den Todeshall!

Du rauher Sohn Kenneth, Du Haupt von Kentail,

Wild springe der Hirsch Deines Banners im Sturm!

Clan Gillean, Stamm du, so furchtlos und frei,

Gedenk an Glanlivet, an Harlan, Dundey!

Ihr Söhne Dermids, der den Eber bezwang,

Treu wie Callain-More, folget dem Waffenklang!

Mac-Neil von den Inseln und Moy von dem Meer,

Für Ehre, für Freiheit, für Rachel zur Wehr!

Hier kam ein großer Windhund aus dem Tale herauf mit ein paar wilden Sätzen bis zu Flora gesprungen; in der Ferne ertönte ein Pfiff, und der Hund war wieder unterwegs zum Tale hinunter.

»Das ist Fergus' Schatten!« sagte Flora, und sie hatte kaum ausgeredet, so stand Fergus vor ihnen.

»Ich wußte doch, daß ich Euch hier finden würde, auch ohne den Beistand meines vierfüßigen Gesellen. Der Platz hier ist Floras Parnaß, Kapitän Waverley, und die Quelle da ihr Helikon.« Er schöpfte mit der hohlen Hand Wasser aus einer Quelle, die dicht neben Flora aus einem Felsen rieselte. Dann sprach er mit theatralischem Pathos:

Heil, Jungfrau, Dir, am Felsenhang!

Dir Freundin von gälischem Harfenklang!

Du wählst zum Sitz dies schöne Land,

Wo nie mein Auge ein Hälmchen fand?«

[Für die Wiedergabe der gälischen Lieder ist die Verdeutschung Dr. Carl Müllers benützt worden.]

»Fergus, Fergus!« rief Flora, »verschone uns, bitte, mit derlei Reimgeklingel, wie Du es liebst. Es paßt nicht zu dieser Szenerie!«

»Nun, dann will ich Dir was singen von franzmännischem Geschmack! vielleicht von Corindon und Lindor, oder das Lied vom Käuzchen?«

»Fergus, Du bist, scheints, von anderm Genuß begeistert, als meiner gälischen Poesie!« meinte mit leisem Vorwurf die Schwester.

»Das laß ich nicht gelten, ma belle Demoiselle!« rief mit Lachen der Hochschotte. »Aber wenn Euch, Kapitän Waverley, gälischer Sang lieber ist, dann soll Euch Kathleen den Drimmindhu singen. ... Tritt her, Kathleen, und nimm die Harfe Deiner Herrin, und sing uns den Sang! Mut, Mut, mein Kind, keine Ziererei wegen des fremden Herrn!«

Kathleen sang mit Lebhaftigkeit das bekannte gälische Lied, und Waverley mußte herzliche lachen über die vielen Seitensprünge, die die Melodie machte.

»Hast Deine Sache gut gemacht, mein Dirndl,« sagte Fergus, als Kathleen ausgesungen hatte, »ich werde mich nächstens im Clan umschaun und Dir einen hübschen Jungen zum Manne aussuchen.«

Kathleen lachte und wurde rot bis über die Ohren, fand aber Raum hinter ihrer Herrin, sich zu verbergen.