Hier war Waverley gut aufgehoben während der Zeit, die Fergus zu seinem Abstecher gebrauchte. Als Fergus sich von ihm verabschiedete, gab er der Hoffnung Ausdruck, daß Waverley dann im stande sein werde, ihn auf einem Klepper des Patriarchen nach Glennaquoich zurückzubegleiten. Als der Morgen graute, brach Fergus auf mit seinen gesamten Mannen bis auf einen einzigen, Callum-Beg, den er zur Pflege Edwards zurückließ. Auf seine Frage, wohin sich der Häuptling gewandt habe, lächelte der Greis geheimnisvoll und sah Edward mit festem Blick an. Dann antwortete er mit einem gälischen Sprichworte:
»Warum die Boten zur Hölle mußten?
Weil sie fragten, was sie schon selber wußten.«
Er wollte weiter fragen, aber Calum-Beg sagte zu dem Greise, wie es Waverley vorkam, einigermaßen vorlaut, sein Häuptling habe gesagt, der englische Edelmann solle mit Reden so viel wie möglich verschont werden. Hieraus schloß Waverley, daß es seinem Freunde nicht angenehm sein möge, wenn er erführe, wohin sich derselbe gewandt habe.
Mit einem Haufen von etwa zwanzig Mann kam am Morgen des sechsten Tages Fergus zurück, und da Edward bereits so weit wiederhergestellt war, daß er am Stocke gehen konnte, meinte Fergus, er würde den Ritt nach Glennaquoich wohl aushalten können. Edward machte mit einer kurzen Strecke einen Versuch; er fand, daß es, wenn auch nicht ohne Mühe, ging, und so ritten die beiden Freunde, unter dem Geleit der zwanzig Mann, die Fergus wieder mitgebracht hatte, in fröhlichster Laune nach Glennaquoich.
Nicht lange währte es nun, so erblickte Waverley wieder die schöne Gestalt der von ihm vergötterten Flora, die ihm mit großer Herzlichkeit und lebhaftem Bedauern über das ihm widerfahrene Mißgeschick entgegenkam und ihm die inzwischen für ihn eingelaufenen Briefe behändigte. Dann übergab sie auch ihrem Bruder, was außer dem »Kaledonischen Kurier«, damals der einzigen Zeitung Schottlands, an Postsachen für ihn eingelaufen war. Hierauf zogen die beiden Männer sich zurück, um ihre Briefschaften zu lesen, und Edward ersah schnell, daß für ihn Mitteilungen recht belangreicher Natur eingelaufen waren.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Was Edward bisher von Briefen nach Glennaquoich bekommen hatte, war für den Verlauf unsrer Erzählung von keinem Belang, der Erwähnung also nicht wert. Anders heute. Es waren verschiedne Briefe auf einmal angelangt, und alle handelten von dem gleichen Thema. Die Partei, zu der sein Vater gehalten hatte, und der er sein Amt und seine Einnahmen verdankte, war gestürzt worden, und sein Vater war um Amt und Einnahmen gekommen.
Der erste Brief, den er las, war von seinem Vater. Es war ein Meisterstück in seiner Art, dieses Schreiben. Kein Aristides hätte das Thema mit traurigeren Worten schildern können. Am Schlusse jedes Satzes kamen die Klagen wieder über ein ungerechtes Vaterland und einen undankbaren Herrscher. Er betonte seine lange Dienstzeit, die freiwilligen Opfer, die er gebracht habe, wenngleich es ihm hätte schwer fallen sollen, dieselben nachzuweisen, sie hatten denn gerade darin gesucht werden müssen, daß er sich weniger aus Ueberzeugung als vielmehr, in der Hoffnung auf materielle Vorteile der Tory-Partei angeschlossen hatten im Gegensatz zu den alten Traditionen des Hauses.
Am Schlusse des Briefes verstieg sich sein Aerger so weit, daß er mit Rache drohte, trotzdem sie weder am Platze noch ausführbar für ihn war, und daß er seinem Sohne nahe legte, im Hinblick auf die ungerechte Behandlung, die man seinem Vater angetan hatte, ohne weiteres den Dienst beim Heere zu quittieren. Seines Wissens sei dies auch der Wunsch seines Bruders, also Edwards Oheims, worüber er sich vorbehalte, ihm noch in ehester Zeit zu schreiben.
Der zweite Brief war von Sir Everard. Das Mißgeschick, das dem Bruder widerfahren war, schien allen Groll aus seinem Herzen, getilgt zu haben, und da es ihm verschlossen war, Kenntnis davon zu bekommen, daß Richard nicht ohne Grund und Ursache in solches Mißgeschick geraten war, sondern es sich zum nicht geringen Teil selbst beizumessen hatte infolge von mancherlei Ränken, die er getrieben, so schilderte Sir Everard seinem Neffen die Sache als einen neuerlichen Beweis für den Undank und die Ungerechtigkeit der zurzeit im Lande am Ruder befindlichen Regierung. Freilich lasse sich eins dabei nicht verheimlichen, daß solche Unwürde dem Hause Waverley-Würden nie hätte widerfahren können, wenn Edwards Vater es sich überhaupt nie hätte einfallen lassen, seine Dienste dieser Regierung anzubieten. Indessen hege er nun keinen Zweifel mehr, daß sich sein Bruder seines Unrechts, vollständig klar sein und es billigen werde, daß sich nun er nach Möglichkeit bemühen wolle, Vorkehrungen zu treffen, daß dieses Mißgeschick nicht ökonomischen Nachteil für ihn habe, denn für das Haus Waverley-Würden sei es vollauf genug, solche Unwürde erlitten zu haben. Da nun Edward als Stammhalter des Hauses dastehe, sei es sowohl seine wie seines Vaters Meinung, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen dürfe, solcher Kränkung, wie der Vater, nun selbst noch ausgesetzt zu sein. Deshalb erachte er es für angezeigt, daß Edward jede schickliche Gelegenheit benutzen solle, dem Kriegsministerium den Dienst zu quittieren, wobei er am besten tun werde, die gleiche Rücksichtslosigkeit zu üben, die gegen seinen Vater geübt worden sei. Zum Schlusse bat er noch, dem Baron Bradwardine tausend beste Empfehlungen zu bestellen, und zwar an ihn persönlich wie sein Haus.
Ein Schreiben von Tante Rachel sprach sich noch deutlicher und kräftiger aus. In ihren Augen sei die Ungnade, die über den Bruder gekommen sei, eine ganz gerechte Strafe dafür, daß er dem, wenn auch in Verbannung befindlichen, so doch einzig legitimen Königshaus die Treue gebrochen habe dadurch, daß er bei dem Usurpator einen Dienst angenommen habe. Solcher Nachgiebigkeit habe sich ihr Großvater weder gegen das presbyterianische Parlament der Rundköpfe, noch gegen Cromwell selbst schuldig gemacht. Und dabei hätte doch sein Leben in höchster Gefahr gestanden. Darum hoffe sie, daß ihr treuer Edward in die Fußstapfen seiner Ahnen treten und das Joch der Sklaverei, in das ihn der Vater in seiner Verblendung gespannt habe, so schnell wie möglich von sich streifen werde. Sie schloß gleichfalls mit allen guten Wünschen für den Baron von Bradwardine und fragte an, ob seine Tochter Rosa nun groß genug sei, ein Paar hübsche Ohrringe zu tragen, die sie ihr zugedacht habe. Auch lasse sie den Baron fragen, ob er noch immer so flott und fleißig tanze wie vor dreißig Jahren, als er Gast in Waverley-Würden war.
Ueber diese Briefe war Edward, wie sich wohl denken läßt, äußerst erregt. Ihm, selbst mangelte es, infolge seiner blinden Lesewut, an einem festen Urteil über politische Grundsätze und Meinungen, und er war deshalb nicht in der Lage, zu der Kränkung, die seinem Vater vermeintlicherweise widerfahren, eine bestimmte Meinung zu fassen. Mit der eigentlichen Ursache, die dem Fall zu grunde lag, war er völlig unbekannt, er hatte keinen Einblick in die Intrigen, in die sein Vater sich verstrickt hatte, und sie entzogen sich seiner Beurteilung genau so, wie sie sich seinem Oheim verschlossen hätten. Er überließ sich mithin genau demselben Grade von Unwillen, der sich seiner Verwandten bemächtigt hatte, denen übrigens das beste Recht zustand, sein Verhalten zu beeinflussen und zu leiten. Kein Wunder, daß ihm in solcher Lage um so schärfer bewußt wurde, daß ihm im grunde seine Garnison recht wenig behagte, und daß er sich der unbedeutenden Rolle, die er dort als Offizier spielte, um so stärker bewußt wurde. Immerhin wäre er sich über sein Verhalten wohl noch unschlüssig geblieben, wäre ihm nicht auch zu gleicher Zeit ein Schreiben zugegangen von dem Kommandierenden seines Regiments, das folgenden Wortlaut hatte: »Herr Kapitän! Ich habe nun, fast über die Grenzen meiner Kompetenz, Nachsicht geübt gegen Verirrungen, die nur aus jugendlicher Unerfahrenheit hervorgehen konnten; aber leider, ohne allen Erfolg. Ich sehe mich nunmehr gezwungen, das letzte Mittel in Anwendung zu bringen, das mir zusteht, und beordre Euch, binnen drei Tagen in Eurem Standquartier Euch zu gestellen, widrigenfalls ich dem Kriegsministerium unverzüglich melden werde, daß sich Kapitän Waverley ohne Urlaub von seinem Regiment entfernt hat. Die Schritte, die sodann zu ergreifen sein würden, dürften dem Kapitän nicht minder unangenehm sein wie