Also war Burroughs sicher, jedenfalls so sicher, wie sie es durch ihre Bemühungen machen konnten. Sie konnten jetzt gehen. Aber die Frage war, wohin. Nadia hockte über einem Mikrowellen-Essen und sah sich eine Nachrichtensendung von der Erde an, während sie hörte, wie ihre Gefährten über die Lage diskutierten. Die Bilder von der Revolution auf der Erde waren schrecklich. Extremisten, Kommunisten, Vandalen, Saboteure, Rote und Terroristen. Niemals die Worte Rebellen oder Revolutionäre, welche (mindestens) die halbe Erde billigen würde. Nein, es waren isolierte Gruppen wahnsinniger destruktiver Terroristen. Und es half Nadias Stimmung nicht, dass, wie sie fühlte, einige Wahrheit in der Darstellung steckte. Das machte sie nur noch wütender.
»Wir sollten uns mit jedem, wem auch immer wir können, zusammentun und beim Kampf helfen«, sagte Angela.
»Ich kämpfe gegen niemanden«, erwiderte Nadia störrisch. »Das ist blöde. Ich werde es nicht hin. Ich werde die Dinge in Ordnung bringen, wo ich kann. Aber ich werde nicht kämpfen.«
Im Radio kam eine Meldung. Der Krater Fournier, etwa fünfhundert Kilometer entfernt, hatte eine defekte Kuppel. Die Bevölkerung war in hermetischen Gebäuden gefangen, und die Luft wurde knapp.
»Ich werde dorthin gehen«, erklärte Nadia. »Dort gibt es ein großes zentrales Lagerhaus mit Baurobotern. Sie könnten die Kuppel reparieren und dann für andere Instandsetzungsarbeiten unten auf Isidis eingesetzt werden.«
»Wie willst du da hinkommen?« fragte Sam.
Nadia überlegte und holte tief Luft. »Ich denke, mit einem der Ultraleichtflugzeuge. Es gibt einige von diesen neuen 16Ds auf dem Flugfeld am Südrand. Das wäre gewiss der schnellste Weg und vielleicht auch der sicherste. Wer weiß?« Sie sah Yeli und Sasha an. »Wollt ihr mit mir fliegen?«
»Ja«, sagte Yeli. Sasha nickte.
»Wir gehen mit dir«, sagte Angela. »Mit zwei Flugzeugen wird es ohnehin sicherer sein.«
Sie nahmen zwei Flugzeuge, die von der aeronautischen Fabrik Spencer in Elysium gebaut worden waren. Das Neueste, einfach 16Ds genannt: ultraleichte viersitzige Turbojets, größtenteils aus Areogel und Plastik und gefährlich zu fliegen, weil sie so leicht waren. Aber Yeli war ein erfahrener Pilot, und Angela behauptete von sich dasselbe. Also stiegen sie am nächsten Morgen in zwei davon, nachdem sie die Nacht in dem leeren kleinen Flughafen verbracht hatten. Sie rollten zu der verschmutzten Startbahn und starteten direkt auf die Sonne zu. Sie brauchten lange, um auf tausend Meter zu kommen.
Der Planet unter ihnen sah trügerisch normal aus. Sein altes raues Gesicht war nur auf den nördlichen Flächen ein bisschen weißer, wie gealtert durch Parasitenbefall. Aber dann flogen sie in den Arena Canyon und sahen, dass darin ein schmutziger Gletscher floss, ein Fluss aus zerbrochenen Eisblöcken. Der Gletscher verbreiterte sich öfters, wo die Flut einige Zeit einen Teich gebildet hatte. Die Eisstücke waren manchmal rein weiß, aber zum größeren Teil mit der einen oder anderen Farbe des Mars getönt, dann zerbrochen und durcheinander gemischt, so dass der Gletscher ein buntes Mosaik bildete wie aus gefrorenem Backstein, Schwefel, Zimt, Kohle, Sahne, Blut … welches das flache Bett des Canyons hinabströmte zum Horizont in etwa fünfundsiebzig Kilometern Entfernung.
Nadia fragte Yeli, ob sie nach Norden fliegen und das Land inspizieren könnten, wo die Roboter die Pipeline bauen würden. Kurz nach ihrer Wendung empfingen sie eine schwache Mitteilung auf der Frequenz der Ersten Hundert von Ann Clayborne und Simon Frazier. Die waren im Krater Peridier gefangen, der seine Kuppel eingebüßt hatte. Das war auch im Norden; also waren sie schon auf dem richtigen Kurs.
Das Land, über das sie an diesem Morgen kamen, schien für die Robotergruppe brauchbar zu sein. Es war eben, und obwohl mit Auswurftrümmern übersät, gab es kerne behindernden Böschungen. In einiger Entfernung fingen die Nili Fossae an, zunächst ganz allmählich, nur vier sehr flache Senken, die sich nach Nordosten krümmten, wie die Fingerspitzen eines schwachen Handabdrucks. Aber hundert Kilometer weiter nördlich gab es Schluchten von fünfhundert Metern Tiefe, zwischen denen dunkles Land lag, das schwer von Kratern zernarbt war. Eine Art Mondlandschaft, die Nadia an eine unordentliche Baustelle erinnerte. Noch weiter im Norden erlebte sie eine Überraschung. Wo der östlichste Canyon nach Utopia einschwenkte, gab es noch einen Ausbruch eines Wasserlagers. An seinem oberen Ende war es bloß ein neuer Erdrutsch, eine große Landmulde wie eine zerbrochene Glasscheibe. Weiter unten erhoben sich Massen aus gefrierendem schwarzem und weißem Wasser direkt aus dem zerklüfteten Land. Sie zerrten an den sich bildenden Schollen und schleppten sie vor ihren Augen fort in einer dampfenden Flut, die das Land, das sie berührten, zur Explosion brachte. Diese entsetzliche Wunde war mindestens dreißig Kilometer breit und verlief über den Horizont nach Norden ohne ein Anzeichen, sich zu zerstreuen.
Nadia starrte auf das Bild und bat Yeli, näher hinzufliegen. »Ich möchte nicht in den Dampf geraten«, sagte Yeli. Er war selbst von dem Anblick gebannt. Der größte Teil der weißen Reifwolke zog nach Osten ab und sank zu Boden, aber der Wind war wechselhaft. Manchmal stieg der dünne weiße Schleier direkt nach oben und verdeckte die Streifen von schwarzem Wasser und weißem Eis. Was hinausfloß, war so viel wie bei einem großen antarktischen Gletscher oder noch mehr. Es schnitt die rote Landschaft in zwei Teile.
»Das ist höllisch viel Wasser«, sagte Angela.
Nadia ging auf die Frequenz der Ersten Hundert und rief Ann unten in Peridier an. »Ann, weißt du hiervon?« Sie beschrieb, worüber sie flogen. »Und es ist immer noch im Fluss. Das Eis bewegt sich, und wir können Stellen mit offenem Wasser ausmachen. Es sieht schwarz oder bisweilen rot aus.«
»Kannst du es hören?«
»Nur wie eine Art von Ventilatorsummen, und manchmal das Knallen und Krachen von brechendem Eis. Aber wir sind hier oben selbst recht laut. Eine höllische Menge Wasser!«
»Nun, dieses Wasserreservoir ist im Vergleich mit manchen anderen nicht sehr groß«, sagte Ann.
»Wie brechen sie sie auf? Kann man wirklich solche Lagerstellen aufreißen?«
»Manche davon, ja«, erklärte Ann. »Diejenigen mit hydrostatischem Druck, der höher ist als der durch das Gestein verursachte lithostatische, heben praktisch das Gestein hoch; und die Permafrostschicht bildet eine Art Damm, einen Eisdamm. Wenn man einen Brunnen bohrt und ihn hochjagt, oder es schmilzt …«