Es war noch mitten in der Nacht, als sie zum Boden des Canyons kamen, einem breiten U, das in allen Canyons von Noctis Labyrinthus sehr verbreitet ist. Michel trat an einen Felsblock, stieß mit einem Finger an eine Stelle und hob dann eine Luke in der Seite des Felsens hoch. Er sagte: »Geht hinein!«
Wie sich herausstellte, gab es zwei solcher Felswagen: große Rover, die durch eine dünne Schicht aus echtem Basalt gepanzert waren. »Was ist mit ihren thermischen Signalen?« fragte Sax, als er in einen hineinkroch.
»Wir lenken alle Wärme in Spulen, die wir dann vergraben. Also gibt es kein nennenswertes Signal.«
»Eine gute Idee.«
Der junge Fahrer half ihnen in den Wagen. »Sehen wir zu, dass wir hier herauskommen!« sagte er grob und schob sie fast durch die äußeren Schleusentüren. Licht aus der Schleuse erhellte sein Gesicht, das vom Helm umrahmt war. Asiatisch, vielleicht fünfundzwanzig, half er den Flüchtlingen, ohne ihnen ins Auge zu blicken. Er wirkte verstimmt, verärgert, vielleicht erschrocken. Er sagte zu ihnen vorwurfsvolclass="underline"
»Wenn ihr das nächste Mal eine Revolution macht, solltet ihr es lieber irgendwie anders versuchen.«
ACHTER TEIL
Shikata ga nai
Als die Insassen des Aufzugswagens Bangkok Friend erfuhren, dass Clarke weggebrochen war und das Kabel abstürzte, eilten sie ins Foyer und zum Gepäckraum und zogen, so schnell sie konnten, Not-Raumanzüge an. Es war ein Glück, dass keine allgemeine Panik ausbrach. Alles geschah im Innern, auf der Oberfläche war jeder sachlich und achtete auf die kleine Gruppe an der Schleusentür, die versuchte herauszubringen, wo sie genau waren und wann sie den Wagen verlassen sollten. Diese Nüchternheit erstaunte Peter Clayborne, dem das Blut in wuchtigen Adrenalinstößen durch den Körper jagte. Er war nicht sicher, ob er hätte sprechen können, falls er das hätte tun müssen. Ein Mann in der Gruppe vorn sagte ihm in ruhigem Ton, dass sie sich dem areosynchronen Punkt näherten. Darum drängten sie sich alle in der Schleuse zusammen, bis sie so dicht gepackt waren, wie vorher die Anzüge im Gepäckraum. Dann verschlossen sie die Tür und atmeten die Anzugluft. Die Außentür glitt auf; und da war es — ein großes Rechteck von gestirntem tiefschwarzem Raum. Es war wirklich beängstigend, in einem nicht festgehakten Raumanzug hineinzuspringen. Das kam dem jungen Mann wie Selbstmord vor. Aber die vordersten stiegen aus, und der Rest folgte wie Sporen aus einer platzenden Samenkapsel.
Der Wagen und der Aufzug verschwanden rasch in östlicher Richtung. Die Wolke aus Raumanzügen begann sich zu zerstreuen. Viele stabilisierten sich mit den Füßen in Richtung auf den Mars, der wie ein schmutziger Basketball unter ihnen lag. Die Gruppe, welche die Berechnungen anstellte, war immer noch auf der allgemeinen Frequenz und besprach die Lage wie ein Schachproblem. Sie befanden sich nahe dem areosynchronen Orbit, aber mit einer Sinkgeschwindigkeit von etwa hundert Kilometern in der Stunde. Der Verbrauch der Hälfte ihres Haupttreibstoffs würde dem großenteils entgegenwirken; und sie würden sich in einer stabileren Umlaufbahn befinden, als unbedingt notwendig war in Anbetracht ihrer Luftvorräte. Mit anderen Worten, sie würden entweder später ersticken oder früher durch die Hitze beim Eintritt in die Atmosphäre sterben. Aber darauf sollte man es zunächst ankommen lassen. Es war möglich, dass während der Gnadenfrist Retter erschienen. Sicher wollten die meisten es versuchen.
Der junge Mann zog seine Raketenkontrollstäbe aus den Konsolen an den Handgelenken und legte seine Finger und Daumen auf die Knöpfe. Er bekam den Mars zwischen seine Stiefel und schoss sich einige Zeit von ihm fort. Einige andere versuchten beisammen zu bleiben; aber er hielt das für unmöglich und eine Vergeudung von Treibstoff. Er ließ sie über sich davondriften, bis sie nur noch Sterne waren. Er war nicht so verängstigt wie vorhin im Gepäckraum, aber er war ärgerlich und bekümmert. Er wollte nicht sterben. Ein Krampf des Grams um seine verlorene Zukunft durchfuhr ihn. Er schrie laut und weinte. Nach einiger Zeit schwanden die physischen Reaktionen, obwohl er sich ebenso elend fühlte wie zuvor. Er starrte dumpf auf die Sterne. Gelegentliche Wogen von Angst oder Verzweiflung durchzogen ihn. Sie wurden aber seltener, als die Minuten vergingen und dann die Stunden. Er versuchte, seinen Stoffwechsel zu verlangsamen. Aber das hatte den gegenteiligen Effekt wie erwartet, so dass er beschloss, darauf zu verzichten. Allerdings rief er zuerst noch an seiner Armbandkonsole seine Pulsfrequenz auf. Hundertundacht Schläge in der Minute. Zum Glück hatte er nicht nachgesehen, als sie sich anzogen und ausstiegen. Er zog eine Grimasse und versuchte, Sternbilder zu bestimmen. Die Zeit verrann.
Er erwachte. Als er merkte, dass er eingeschlafen war, war er zugleich erschrocken und belustigt und fiel prompt wieder in Schlaf. Nach einiger Zeit wachte er dann wieder auf, diesmal endgültig. Die anderen Flüchtlinge aus dem Wagen waren außer Sicht, obwohl einige Sterne sich vor dem Hintergrund zu bewegen schienen. Das hätten sie sein können.
Keine Spur vom Aufzug, weder im Raum noch auf der Marsoberfläche.
Es war ein seltsamer Weg des Dahinscheidens. Etwas wie die Nacht vor einem Termin mit dem Exekutionskommando vielleicht, verbracht in einem Traum vom Weltraum. Das war in mancher Hinsicht ein langweiliges Warten. Es machte ihn ungeduldig, und er überlegte, ob er sein Heizsystem ausschalten sollte. Das wäre es dann gewesen. Das Wissen, er könnte das tun, machte das Warten leichter, und er nahm sich vor, es zu tun, wenn sein Luftvorrat zu versiegen drohte. Der Gedanke trieb seinen Puls auf einhundertdreißig, und er versuchte, sich auf den Planeten unten zu konzentrieren. Home sweet home. Er war immer noch in fast areosynchronem Orbit. Noch nach Stunden hatte er Tharsis unter sich, wenn auch ein bisschen weiter westlich.
Er war über Marineris.
Stunden vergingen, und unbeabsichtigt fiel er wieder in Schlaf. Als er aufwachte, hing ein kleines silbernes Raumfahrzeug vor ihm wie ein UFO. Er schrie vor Überraschung und begann hilflos zu taumeln. Er arbeitete fieberhaft mit den Raketen, um sich unter Kontrolle zu bringen. Als er das geschafft hatte, war das Raumschiff immer noch da. Am Seitenfenster war ein weibliches Gesicht, das zu ihm sprach und auf ihr Ohr deutete. Er schaltete die allgemeine Frequenz ein, aber er hörte nichts. Er schoss mit Raketenkraft auf das Vehikel zu und erschreckte die Frau, weil er fast aufprallte. Es gelang ihm anzuhalten und sich etwas zurückzuziehen. Die Frau gestikulierte; wollte er hineinkommen? Er machte mit Zeigefinger und Daumen im Handschuh einen ungeschickten Kreis und nickte so heftig, dass er wieder ins Taumeln geriet. Während er sich drehte, sah er hinter dem Fenster oben auf dem Fahrzeug eine offene Ladeluke. Er stabilisierte den Anzug und stieß auf die Bucht zu. Er fragte sich, ob sie real sein würde, wenn er hinkäme. Er berührte die offene Luke, und Tränen traten ihm in die Augen. Er blinzelte, und die Tränen schwebten als Kügelchen auf seine Visierscheibe zu, während er sich auf dem Boden der Bucht flach ausstreckte. Er hatte noch Luft für eine Stunde übrig …
Als die Bucht geschlossen und belüftet war, nahm er seinen Helm ab. Die Luft war rein, reich an Sauerstoff und kühl. Die Tür der Bucht ging auf, und er stieß sich hindurch.
Da hörte er Frauen lachen. Es waren ihrer zwei an Bord; und die waren sehr guter Dinge. Eine fragte: »Wohin warst du unterwegs? Wolltest du darin landen?«