Er sagte mit rauer Stimme: »Ich war auf dem Aufzug. Wir mussten abspringen. Habt ihr sonst noch jemanden aufgefischt?«
»Du bist der einzige, den wir gesehen haben. Möchtest du nach unten mitgenommen werden?«
Er konnte nur schlucken. Sie lachten ihn an.
»Wir sind erstaunt, hier auf jemanden getroffen zu sein, Junge! Wie viele Ges verträgst du gutwillig?«
»Ich weiß nicht. Drei?«
Sie lachten wieder.
»Nun, wie viel kannst du ertragen?«
»Eine Menge mehr als das«, sagte die Frau, die nach ihm Ausschau gehalten hatte.
»Eine Menge mehr«, spottete er. »Wie viel kann ein Mensch aushalten?«
»Das werden wir herausfinden«, sagte die andere Frau und lachte. Das kleine Vehikel beschleunigte nach unten auf den Mars zu. Der junge Mann lag erschöpft in einem Andrucksessel hinter den beiden Frauen, stellte Fragen, trank Wasser und lutschte Cheddarkäse aus einer Tube. Die Frauen waren auf einem der kleineren Spiegelkomplexe gewesen und hatten dieses Notlandegerät geklaut, nachdem sie die Spiegel in ein taumelndes Gewirr moleküldünner Membranen verwandelt hatten. Sie machten ihre Landung noch komplizierter durch Übergang in einen polaren Orbit. Sie wollten nahe der südlichen Polkappe landen.
Peter nahm das schweigend in sich auf. Dann hüpften sie wild herum. Die Fenster wurden weiß, dann gelb und danach zornig orangerot. Gravitationskräfte drückten ihn gewaltsam in den Sessel, die Sicht verschwamm, und sein Hals schmerzte. »Was für ein Leichtgewicht!« sagte die eine Frau, und er wusste nicht, ob sie ihn oder das Landefahrzeug meinte.
Dann ließ die Beschleunigung nach, und das Fenster wurde klar.
Er schaute hinaus und sah, dass sie in steilem Sturzflug auf den Planeten zu fielen und nur noch wenige tausend Meter über der Oberfläche waren. Er konnte es nicht glauben. Die Frauen hielten das Fahrzeug im Sturz, und es schien, dass sie sich in den Sand bohren würden. Dann gingen sie im letzten Moment in eine flache Flugbahn, und er wurde wieder in seinem Sessel nach hinten gedrückt. »Sehr hübsch!« erklärte die eine Frau, und dann waren sie — bums — unten und liefen über das geschichtete Terrain.
Wieder Schwerkraft. Peter kletterte nach den zwei Frauen aus dem Lander eine Gehröhre hinunter und in einen großen Rover. Er fühlte sich benommen und hätte weinen mögen. In dem Rover befanden sich zwei Männer, die die Frauen laut begrüßten und an sich drückten. Sie riefen: »Wer ist das?« — »Oh, den haben wir da oben aufgegriffen, er ist aus dem Aufzug gesprungen. Er steht noch etwas unter Raumschock. He«, sagte sie zu ihm lächeln. »Wir sind unten. Es ist okay.«
Manche Fehler kann man nie wieder gutmachen. Ann Clayborne saß hinten in Michels Rover über drei Sitze ausgestreckt und fühlte, wie die Räder über den Steinen auf und ab hüpften. Es war ihr Fehler gewesen, zum Mars zu gehen und sich in ihn zu verlieben. Sich in eine Welt zu verlieben, die offenbar jeder andere vernichten wollte.
Außerhalb des Rovers war der Planet für immer verändert worden. Drinnen wurde der Hauptraum durch zwei bis zum Fußboden reichende Fenster erhellt, die unter dem Rand des steinernen Wagendachs einen begrenzten Blick nach außen boten. Rohe Kiesstraße, herabgestürzte Steine auf der Strecke. Sie waren auf der Noctis-Fernstraße, aber viele Felsbrocken waren darauf gefallen. Michel machte sich nicht die Mühe, um die kleineren Stücke herumzufahren. Sie rollten mit etwa sechzig km/h dahin, und wenn sie auf einen größeren stießen, wurden sie alle in ihren Sitzen durchgeschüttelt. »Tut mir leid«, sagte Michel, »Wir müssen so bald wie möglich aus dem Kandelaber herauskommen.«
»Dem Kandelaber?«
»Noctis Labyrinthus.«
Der ursprüngliche Name, wusste Ann, war ihm von den Geologen der Erde bei Betrachtung von Mariner-Fotos verliehen worden. Aber sie sagte nichts. Der Wille zum Sprechen hatte sie verlassen.
Michel redete weiter. Seine Stimme war leise, unterhaltsam und beruhigend. »Es gibt einige Stellen, wo es unmöglich wäre, die Wagen hinterzubringen, falls die Straße durchtrennt ist. Querböschungen, die von einer Wand zur anderen verlaufen, riesige Steinfelder und so. Sobald wir nach Marineris hineinkommen, wird es gut sein. Dort gibt es Querfeldeinwege aller Art.«
»Sind diese Wagen für eine Fahrt den ganzen Canyon hinunter vorgesehen?« fragte Sax.
»Nein. Aber wir haben Verstecke auf der ganzen Strecke.« Offenbar hatten die großen Canyons zu den wichtigsten Transportkorridoren der verborgenen Kolonie gehört. Als der offizielle Canyon-Highway gebaut wurde, hatte ihnen das Schwierigkeiten bereitet, weil viele ihrer Routen abgeschnitten wurden.
Aus ihrer Ecke hörte Ann Michel ebenso aufmerksam zu wie der Rest. Sie konnte sich der Neugier über die verborgene Kolonie nicht erwehren. Ihre Benutzung der Canyons war genial. Rover, die dazu bestimmt waren, in ihnen zu bleiben, waren so getarnt, dass sie wie einige unter den Millionen von Felsblöcken aussahen, die in großen Haufen im Vorfeld der Klippenhänge lagen, die Dächer der Wagen waren tatsächlich Steine, die man von unten ausgehöhlt hatte. Schwere Isolierung verhinderte, dass das Dach des Wagens aufgeheizt wurde, so dass es kein Infrarotsignal gab, »zumal noch beliebige Mengen Saxscher Windmühlen hier unten verteilt sind, die das Bild stören.« Der Rover war auch auf der Unterseite isoliert, so dass er keine Schneckenspur hinterließ, die seinen Weg verraten hätte. Die Wärme aus dem Hydrazinmotor diente zur Heizung der Wohnräume, und jeder Überschuss wurde für späteren Gebrauch in Spulen geleitet. Wenn die sich bei der Fahrt zu sehr aufluden, wurden sie in Löcher geworfen, die man unter dem Wagen grub und mit einem Gemisch aus Regolith und flüssigem Sauerstoff bedeckte. Bis sich der Boden über der Spule erwärmt hatte, war der Rover längst fort. Also hinterließen sie kein Wärmesignal, benutzten keinen Funk und fuhren nur nachts. Tagsüber parkten sie zwischen anderen Felsblöcken, »und selbst wenn sie täglich Fotos verglichen und sehen, dass wir in der Gegend neu sind, wären wir bloß einer unter tausend neuen Steinen, die in jener Nacht von den Klippen heruntergefallen waren. Die Zermürbung von Formationen hat sich wirklich beschleunigt, seit ihr mit dem Terraformen angefangen habt, weil es jeden Tag gefriert und wieder taut. Morgens und abends kommt alle paar Minuten etwas herunter.«
»Also gibt es für sie keine Möglichkeit, uns zu sehen«, sagte Sax. Er wirkte überrascht.
»Das stimmt. Kein visuelles Signal, kein elektronisches Signal, kein Wärmesignal.«
»Ein getarnter Rover«, sagte Frank über Interkom aus dem anderen Wagen und lachte in seiner rauen Art.
»Richtig. Die wahre Gefahr hier unten ist der Steinschlag selbst, der uns verbirgt.« Ein rotes Licht auf dem Armaturenbrett ging an, und Michel lachte. »Wir fahren so gut, dass wir anhalten und eine Spule vergraben müssen.«
»Wird es nicht zu lange dauern, ein Loch zu graben?« fragte Sax.
»Da ist schon eines gegraben, falls wir hinkommen können. Noch vier Kilometer. Ich denke, das werden wir schaffen.«
»Ihr habt ein tolles System.«
»Nun, wir leben jetzt seit vierzehn Jahren im Untergrund — ich meine, vierzehn Marsjahre. Die Technik der Wärme-Entsorgung ist für uns sehr wichtig.«
»Aber wie macht ihr es mit euren ständigen Habitaten, sofern ihr welche habt?«
»Wir leiten die Wärme in das tiefe Regolith und schmelzen Eis für unsere Wasserversorgung. Oder wir leiten sie in Rohren zu Auslässen, die als eure kleinen Windmühlenerhitzer getarnt sind. Neben anderen Methoden.«