Dann schlug die Eruption mit voller Gewalt zu. Die Daten der äußeren Strahlung stiegen erheblich über das normale Niveau des Sonnenwindes und sausten dann jäh in die Höhe. Einige Beobachter zogen gleichzeitig scharf die Luft ein, und es gab mehrere Schreckensschreie.
»Seht aber, wie viel der Schutz aufhält!« sagte John und prüfte das Dosimeter an seinem Hemd. »Es sind nur Null Komma drei Rem.«
Das war gewiss soviel wie die Strahlendosis eines Zahnarztes während mehrerer Lebensspannen. Aber die Strahlung außerhalb des Schutzraums betrug schon 70 Rem, was sich bereits einer tödlichen Dosis näherte. Sie kamen also günstig davon. Aber die volle Strahlung flog durch den Rest des Schiffes! Milliarden Partikel drangen hindurch und wurden bei Zusammenstößen mit den Atomen von Wasser und Metall gebunden. Hunderte von Millionen flogen zwischen diesen Atomen durch und durch die Atome ihrer Körper, ohne etwas zu berühren, als wären sie nur Geister. Aber Tausende trafen auf Atome von Fleisch und Knochen. Die meisten dieser Zusammenstöße waren harmlos. Doch unter all diesen Tausenden gab es höchstwahrscheinlich eines oder zwei (oder drei?), in denen ein Chromosomenstrang einen Treffer erhielt und sich in die falsche Richtung knickte. Und dann war es passiert: Tumorauslösung fing mit einer solchen Type im Buch des Lebens an. Und Jahre später, sofern sich nicht die DNA des Opfers zum Glück selbst heilte, würde die Tumoranregung, die ein mehr oder weniger unvermeidlicher Teil des Lebens war, sich auswirken, und es würde im Innern etwas anderes aufblühen: Höchstwahrscheinlich Krebs, Leukämie und ziemlich sicher der Tod.
Also war es schwer, die Zahlen nicht unglücklich anzusehen. 1,4658 Rem, 1,7861, 1,9004. »Wie ein Streckenmeßgerät«, sagte Boone ruhig, während er auf sein Dosimeter blickte. Er packte mit beiden Händen ein Geländer und zog sich vor und zurück, als ob er isometrische Übungen machte. Frank sah das und sagte: »John, was, zum Teufel, machst du da?«
»Ich weiche aus«, sagte John und lächelte über Franks Ärger. »Du weißt — ein bewegliches Ziel.«
Die Leute lachten ihn aus. Da die Größe der Gefahr exakt auf Schirmen und Graphiken angegeben war, begannen sie sich weniger hilflos zu fühlen. Das war unlogisch; aber Benennung war die Kraft, die einen Menschen zu einem guten Wissenschaftler machte. Und sie alle waren Berufsgelehrte, darauf trainiert, die Möglichkeit eines solchen Sturms zu akzeptieren. All solche mentalen Gewohnheiten strömten in ihre Gedanken, und der Schock des Ereignisses verblasste ein wenig. Sie kamen damit zurecht.
Arkady trat an ein Terminal und schaltete Beethovens Pastorale ein, genau im dritten Satz, wenn der Tanz der Landleute durch Sturm unterbrochen wird. Er erhöhte die Lautstärke, und die Leute strömten in dem langen Halbzylinder zusammen, um der Intensität von Beethovens Gewitter zu lauschen, das plötzlich genau die Stöße des stummen Windes auszudrücken schien. Er würde ebenso klingen! Streich- und Blasinstrumente schrien in wilden Böen, außer Kontrolle und dennoch gleichzeitig herrlich melodisch. Ein Schauer lief Maya über den Rücken. Sie hatte diesem alten Kämpen noch nie so bewusst zugehört und blickte mit Bewunderung (und etwas Angst) auf Arkady, der ekstatisch über die Wirkungen seines Discjockey-Einfalls strahlte und wie ein roter Irrwisch im Wind tanzte. Als der Sturm in der Sinfonie seinen Höhepunkt erreichte, war es schwer zu glauben, dass die Strahlenzählung nicht anstieg. Und als der musikalische Sturm abebbte, schien es, als ob es auch bei ihnen still würde. Donner rollte, die letzten Windstöße pfiffen. Das Englischhorn sang seine heitere Entwarnung.
Die Leute fingen an, über andere Dinge zu sprechen. Sie erörterten die verschiedenen Tagesarbeiten, die so jäh unterbrochen worden waren, oder ergriffen die Gelegenheit, über andere Dinge zu plaudern. Nach einer halben Stunde oder mehr wurde eines dieser Gespräche lauter. Maya hatte nicht gehört, wie es anfing; aber plötzlich sagte Arkady sehr laut und auf englisch: »Ich glaube nicht, dass wir uns um Pläne kümmern sollten, die für uns hinten auf der Erde gemacht wurden!«
Andere Gespräche verstummten, und man wandte sich ihm zu. Er hatte sich hochgestoßen und schwebte unter dem rotierenden Dach der Kammer, wo er sie alle überblicken und wie ein verrückter fliegender Geist sprechen konnte.
Er sagte: »Ich denke, wir müssen neue Pläne machen. Wir sollten das jetzt gleich tun. Alles sollte von Anfang neu geplant werden und unser eigenes Denken zum Ausdruck bringen. Es sollte sich auf alles erstrecken, auch auf die ersten Schutzräume, die wir bauen.«
»Warum sich Sorgen machen?« fragte Maya, die sich über seine Großspurigkeit ärgerte. »Es sind gute Konstruktionen.« Es war wirklich aufreizend. Arkady belegte oft die Mitte der Bühne für sich, und die Leute schauten sie immer an, als wäre sie irgendwie für ihn verantwortlich, als wäre es ihre Aufgabe, ihn zu hindern, sie zu plagen.
Arkady sagte: »Gebäude sind die Schablonen einer Gesellschaft.«
»Sie sind Räume«, erklärte Sax Russell.
»Aber Räume drücken die soziale Organisation in ihnen aus.« Arkady schaute sich um und zog mit seinem Blick mehr Leute in die Diskussion. »Das Arrangement eines Gebäudes zeigt, was nach Meinung des Erbauers darin geschehen sollte. Das haben wir zu Beginn der Reise gesehen, als Russen und Amerikaner in Torus D und B getrennt waren. Man hatte erwartet, dass wir zwei verschiedene Entitäten bleiben sollten, seht ihr. Auf dem Mars wird es das gleiche sein. Gebäude drücken Werte aus, sie haben eine Art Grammatik, und Räume sind die Sätze. Ich will nicht, dass Leute in Washington oder Moskau sagen, wie ich mein Leben führen sollte. Davon habe ich genug.«
»Was gefällt dir nicht an dem Entwurf der ersten Unterkünfte?« fragte John mit interessierter Miene.
»Sie sind rechteckig«, sagte Arkady. Das rief Gelächter hervor, aber er beharrte: »Rechteckig, die konventionelle Gestalt! Wobei Arbeitsraum und Wohnungen getrennt sind, als ob Arbeit nicht ein Teil des Lebens wäre. Und die Wohnquartiere bestehen meistens aus Privaträumen. Darin kommen Hierarchien zum Ausdruck, indem Führern mehr Platz zugewiesen wird.«
»Ist das nicht bloß, um ihnen die Arbeit zu erleichtern?« fragte Sax.
»Nein. Das ist nicht wirklich erforderlich. Es ist eine Sache von Prestige. Ein sehr konventionelles Beispiel für amerikanisches Geschäftsdenken, wenn ich so sagen darf.«
Es gab einige Proteste, und Phyllis sagte: »Müssen wir politisch werden, Arkady?«
Bei der bloßen Erwähnung dieses Wortes zerstreute sich die Schar der Zuhörer. Mary Dunkel und etliche andere drängten hinaus und wandten sich dem anderen Ende des Raums zu.
Arkady rief ihnen nach: »Alles ist politisch. Nichts ist es mehr als diese unsere Reise. Wir beginnen eine neue Gesellschaft. Wie könnte die anders sein als politisch?«
»Wir sind eine wissenschaftliche Station«, sagte Sax. »Die muss nicht unbedingt viel Politik in sich bergen.«
»Als ich das letzte Mal dort war, hatte sie bestimmt nicht lange gedauert«, sagte John und sah Arkady nachdenklich an.
»O doch«, widersprach Arkady, »aber sie war einfacher. Ihr seid eine rein amerikanische Crew gewesen, dort auf einer zeitweiligen Mission, und habt getan, was eure Vorgesetzten von euch erwarteten. Aber jetzt sind wir eine internationale Crew, die eine permanente Kolonie gründet. Das ist etwas ganz anderes.«
Allmählich drifteten Leute durch die Luft auf die Konversation zu, um besser zu hören, was gesprochen wurde. Rya Jimenez sagte: »Ich interessiere mich nicht für Politik«, und Mary Dunkel stimmte vom anderen Ende des Raums aus zu: »Das ist eines der Dinge, weshalb ich hier bin, um davon loszukommen.«