Mehrere Russen entgegneten gleichzeitig: »Das ist selbst eine politische Position!« und dergleichen. Alex rief: »Ihr Amerikaner wollt mit Politik und Geschichte Schluss machen, damit ihr in einer Welt bleiben könnt, die ihr beherrscht!«
Einige Amerikaner versuchten zu protestieren, aber Alex ließ sie nicht zu Wort kommen. »Das ist wahr! Die ganze Welt hat sich in den letzten dreißig Jahren verändert; jedes Land kümmert sich um sein Fortkommen und macht enorme Veränderungen durch, um Probleme zu lösen — alle außer den Vereinigten Staaten. Ihr seid das reaktionärste Land der Welt geworden.«
»Die Länder, die sich verändert haben, mussten das tun, weil sie vorher starr und fast bankrott waren«, entgegnete Sax. »Die Vereinigten Staaten hatten schon ein flexibles System und mussten sich daher nicht so drastisch verändern. Ich nenne den Amerikanischen Weg überlegen, weil er glatter ist. Er ist besser gebaut.«
Diese Analogie gab Alex eine Pause. Und während er darüber nachdachte, sagte John Boone, der sehr interessiert zugehört hatte: »Um wieder auf die Unterkünfte zu sprechen zu kommen: Wie würdest du sie anders machen?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte Arkady. »Wir müssen die Plätze sehen, auf denen wir bauen, in ihnen umhergehen und darüber sprechen. Siehst du, es ist ein Prozess, den ich befürworte. Aber im allgemeinen denke ich, dass Arbeitsraum und Wohnraum gemischt sein sollten, soweit das praktikabel ist. Unsere Arbeit wird mehr sein, als Lohn zu verdienen. Sie wird unsere Kunst sein, unser ganzes Leben. Wir werden sie einander geben und nicht erkaufen. Es sollte auch keine Anzeichen von Hierarchie geben. Ich glaube nicht einmal an das Führersystem, das wir jetzt haben.« Er nickte Maya höflich zu. »Wir sind jetzt alle gleichermaßen verantwortlich, und das sollten unsere Gebäude zeigen. Ein Kreis ist am besten — baulich schwierig, aber sinnvoll für Wärme-Ersparnis. Eine geodätische Kuppel wäre ein guter Kompromiss — leicht zu errichten und ein Zeichen unserer Gleichheit. Was das Innere angeht, so größtenteils offen. Gewiss sollte ein jeder seinen Raum haben, aber diese Räume sollten klein sein. Vielleicht am Rande angeordnet und gegenüber größeren kommunalen Räumen …« Er griff nach einer Maus und fing an, auf dem Schirm zu zeichnen. »Da! Das ist eine Architekturgrammatik, die sagen wilclass="underline" ›Alles gleich.‹ Ja?«
John sagte: »Es gibt aber schon viele vorgefertigte Einheiten. Ich bin nicht sicher, ob sie angepasst werden könnten.«
»Das könnten sie, wenn wir es wollten.«
»Ist das aber wirklich notwendig? Ich meine, es ist klar, dass wir schon ein Team aus Gleichen bilden.«
»Ist das klar?« sagte Arkady scharf und schaute sich um. »Wenn Frank und Maya uns sagen, dass wir etwas tun sollen, sind wir dann so frei, sie zu ignorieren? Wenn Houston oder Baikonur uns auftragen, etwas zu tun, sind wir frei, sie zu ignorieren?«
»Ich denke schon«, erwiderte John sanft.
Diese Äußerung brachte ihm einen scharfen Blick von Frank ein. Die Konversation spaltete sich in diverse Diskussionen auf, da eine Menge Leute etwas zu sagen hatten. Aber Arkady fuhr wieder gegen sie alle dazwischen:
»Wir sind von unseren Regierungen hier hergeschickt; und alle unsere Regierungen haben Mängel, und manche katastrophale. Darum ist die Geschichte ein so blutiger Schmutz. Jetzt sind wir auf uns allein gestellt, und ich meinerseits habe keine Lust, alle Fehler der Erde zu wiederholen — nur wegen konventioneller Denkweise. Wir sind die ersten Kolonisten auf dem Mars! Wir sind Wissenschaftler! Es ist unser Beruf, neue Dinge herauszufinden und sie neu zu machen.«
Die Diskussionen gingen wieder los, lauter denn je. Maya wandte sich ab und fluchte im stillen über Arkady. Sie war ärgerlich, wie wütend die Leute wurden. Sie sah, dass John Boone grinste. Er stieß sich vom Fußboden auf Arkady hin ab, kam zum Halt, indem er ihn anstieß und schüttelte ihm dann die Hand. Dadurch wurden sie beide in die Luft geschleudert wie in einem drolligen Tanz. Diese Geste der Unterstützung führte dazu, dass die Leute neu überlegten. Maya sah das an ihren überraschten Gesichtern. John war neben seinem Ruhm auch dafür bekannt, dass er gemäßigt und zurückhaltend war. Und wenn er Arkadys Ideen billigte, war das eine völlig andere Sache.
»Verdammt, Ark!« sagte John. »Erst diese verrückten Problemläufe und nun dies. Du bist wirklich ein wilder Bursche. Wie, zum Teufel, hat man dich überhaupt auf dieses Schiff gelassen?«
Das ist genau meine Frage, dachte Maya.
»Ich habe gelogen«, sagte Arkady.
Alle lachten. Sogar Frank sah überrascht aus. »Aber natürlich habe ich geschwindelt!« brüllte Arkady. Ein breites Grinsen spaltete seinen roten Bart. »Wie anders hätte ich sonst hierher kommen können? Ich will zum Mars gehen, um zu tun, was ich will; und das Auswahlkomitee wollte, dass Leute gingen und taten, was man ihnen auftrug. Das wisst ihr.« Er zeigte auf sie hinunter und rief: »Ihr habt alle gelogen, und das wisst ihr.«
Frank lachte heftiger denn je. Sax machte seinen üblichen Buster Keaton, hob aber einen Finger und sagte: »Die Revidierte Vielphasige Personenbestandsaufnahme von Minnesota«, und allgemeine Heiterkeit brach aus. Sie hatten alle diese Prüfung ablegen müssen. Es war der am meisten benutzte psychologische Test der Welt und von Experten hoch geschätzt. 556 Fragen mussten beantwortet werden. Daraus wurde ein Profil gewonnen. Aber die Beurteilung dessen, was die Antworten besagten, beruhten auf den vorgegangenen Antworten einer Mustergruppe von 2600 weißen verheirateten Farmern der 1930er Jahre. Allen späteren Revisionen zum Trotz war das durch die Natur dieser ersten Testgruppe erzeugte Vorurteil immer noch tief in dem Test verankert. Zumindest dachten das manche. »Minnesota!« brüllte Arkady und rollte mit den Augen. »Farmer! Farmer aus Minnesota! Ich sage euch jetzt, ich habe bei jeder Antwort gelogen! Ich habe genau das Gegenteil geantwortet, was ich wirklich fühlte; und das hat mir erlaubt, als normal eingestuft zu werden!«
Wilde Beifallsrufe begrüßten diese Erklärung. John sagte: »Zum Teufel, ich stamme aus Minnesota und musste auch lügen.«
Weiterer Applaus. Frank war, wie Maya bemerkte, vor Heiterkeit rot angelaufen, des Sprechens unfähig. Er presste sich die Hände auf den Magen. Er nickte und kicherte, unfähig aufzuhören. Sie hatte ihn nie derartig lachen sehen.
Sax sagte: »Der Test hat dich zu lügen gezwungen.«
»Was, und dich nicht?« fragte Arkady. »Hast du nicht auch gelogen?«
»Eigentlich nicht«, sagte Sax und zwinkerte, als ob ihm diese Idee nie gekommen wäre. »Ich habe bei jeder Frage die Wahrheit gesagt.«
Sie lachten noch lauter. Sax machte daraufhin ein erstauntes Gesicht, aber dadurch wirkte er noch komischer.
Jemand rief: »Michel, was sagst du? Was hältst du davon?«
Michel Duval spreizte die Hände. »Vielleicht unterschätzt ihr die Raffinesse dieses Tests. Es gibt Fragen, die prüfen, wie ehrlich man ist.«
Diese Äußerung überschüttete ihn mit einem Regen von Fragen, einer methodologischen Inquisition. Wie war es mit den Kontrollen? Wie sollten die Tester ihre eigenen Theorien in Frage stellen? Wie wiederholten sie die Tests? Wie eliminierten sie die alternative Deutung der Daten? Wie konnten sie überhaupt in irgendeinem Sinne des Wortes beanspruchen, wissenschaftlich zu sein? Offensichtlich hielt eine Menge von ihnen Psychologie für eine Pseudowissenschaft. Viele waren recht verärgert wegen der Reifen, durch die man sie hatte springen lassen. Die Jahre des Wettbewerbs hatten ihren Tribut gefordert. Und die Entdeckung dieses gemeinsamen Gefühls löste dutzendweise heftige Gespräche aus. Die durch Arkadys politische Rede erzeugte Spannung verschwand.
Maya dachte, Arkady hätte vielleicht das eine durch das andere entschärft. Falls ja, wäre das geschickt gewesen. Aber Arkady war ja ein geschickter Mann. Sie dachte zurück. Tatsächlich war es John Boone gewesen, der das Thema gewechselt hatte. Er war wirkungsvoll zur Decke geflogen und Arkady zu Hilfe gekommen, und Arkady hatte die Chance ergriffen. Sie waren beide geschickte Männer. Und es schien möglicht, dass sie irgendwie in Einvernehmen standen. Dass sie vielleicht eine alternative Führerschaft bildeten — einer Amerikaner, einer Russe. Darum würde man sich kümmern müssen.