Er weiß, dass ich in London bin? Was weiß er sonst noch? Sophie hörte im Hintergrund Geräusche, die wie Bohren und Werkzeuggeklapper klangen. Außerdem hörte sie ein verdächtiges Klicken in der Leitung. »Sie lassen diesen Anruf doch nicht etwa zurückverfolgen, Capitaine?«
»Agentin Neveu«, sagte Fache, »wir müssen jetzt zusammenarbeiten, Sie und ich. Wir haben beide eine ganze Menge zu verlieren. Jetzt ist Schadensbegrenzung angesagt. Ich habe letzte Nacht Fehler bei der Beurteilung der Lage gemacht, und wenn diese Fehler den Tod eines amerikanischen Professors und einer Kryptologin der französischen Staatspolizei zur Folge haben, ist meine Karriere im Eimer. Ich habe während der vergangenen Stunden verzweifelt versucht, Sie auf sicheres Terrain zu ziehen.«
Ein Schwall warmer Luft wehte über den Bahnsteig. Im Tunnel polterten dumpf die Räder einer sich nähernden U-Bahn. Sophie hatte nicht vor, diese Bahn zu verpassen – ebenso wenig wie Langdon, der sich zusammengerissen hatte und auf Sophie zukam.
»Ihr Mann heißt Rémy Legaloudec«, sagte Sophie rasch. »Teabings Butler. Er hat Teabing vor ein paar Minuten in der Temple Church gekidnappt und … «
»Agentin Neveu«, riet Fache, während die U-Bahn mit lautem Getöse in die Station einfuhr, »so etwas bespricht man nicht am öffentlichen Telefon! Sie und Langdon werden sich jetzt unverzüglich stellen, Ihrer eigenen Sicherheit zuliebe. Das ist ein Befehl!«
Sophie knallte den Hörer auf die Gabel und rannte mit Langdon zur U-Bahn.
89. KAPITEL
In der zuvor so piekfeinen Kabine der Hawker roch es nach Azetylen und öligem Rauch. Überall lagen Bohrspäne herum. Bezu Fache hatte alle Beamten fortgeschickt und saß nun mit einem Drink und dem schweren Holzkästchen, das er in Teabings Flugzeugsafe gefunden hatte, allein in einem Sessel.
Er ließ den Finger über die eingelegte Rose gleiten; dann hob er den Deckel. Im Innern des Kästchens befand sich ein Steinzylinder aus gegeneinander drehbaren Segmenten mit Buchstabenmarkierungen. Die Einstellung der fünf Drehsegmente ergab das Wort SOFIA. Nachdenklich betrachtete Fache eine Zeit lang das Wort; dann nahm er den Zylinder aus seiner gepolsterten Höhlung, um ihn Zentimeter für Zentimeter sorgfältig zu überprüfen. Schließlich zog er vorsichtig an den beiden Enden. Eine Verschlusskappe löste sich. Der Zylinder war leer.
Fache legte ihn ins Kästchen zurück und schaute durch das Bullauge in den Hangar. Er dachte über sein Gespräch mit Sophie nach und über die Informationen, die ihm die Spurensicherung aus Château Villette hatte zukommen lassen. Das Piepsen seines Mobiltelefons riss ihn aus seinen Gedanken.
Es war die Telefonzentrale der DCPJ in Paris. Der Beamte in der Vermittlung entschuldigte sich für die Störung, doch der Pariser Filialdirektor der Zürcher Depositenbank habe sich wiederholt gemeldet. Man habe ihm zwar jedes Mal gesagt, dass Capitaine Fache sich in London befände, aber er habe trotzdem immer wieder angerufen.
Mürrisch wies Fache den Beamten an, den Anruf durchzustellen.
»Monsieur Vernet«, kam Fache dem Banker zuvor, »Tut mir Leid, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, mich bei Ihnen zu melden, aber ich bin im Moment sehr beschäftigt. Der Name Ihrer Bank wurde wie versprochen aus den Medien herausgehalten. Wo drückt Sie sonst noch der Schuh?«
Vernet erklärte besorgt, dass Langdon und Sophie ein Holzkästchen aus seiner Bank entwendet und ihn dann gezwungen hätten, ihnen zur Flucht zu verhelfen. »Als ich aus dem Radio erfuhr, dass die beiden Kriminelle sind, habe ich angehalten und das Kästchen zurückverlangt, aber sie haben mich angegriffen und meinen Transporter gestohlen.«
»Sie machen sich also Sorgen wegen eines hölzernen Kästchens«, sagte Fache, wobei er die Einlegearbeit mit der Rose betrachtete. Er klappte den Deckel auf und nahm den weißen Steinzylinder heraus. »Können Sie mir sagen, was in dem Kästchen gewesen ist?«
»Der Inhalt ist doch völlig unerheblich«, brauste Vernet auf. »Was mir Sorgen macht, ist der Ruf meiner Bank! Bei uns ist noch nie etwas abhanden gekommen. Noch nie! Wenn ich meinem Kunden sein Eigentum nicht zurückerstatten kann, können wir einpacken!«
»Sagten Sie nicht, Agentin Neveu und Robert Langdon hätten sich im Besitz eines Schlüssels und des Passworts befunden? Wie kommen Sie darauf, dass es sich um einen Diebstahl gehandelt hat?«
»Aber die beiden haben doch heute Nacht mehrere Menschen umgebracht, darunter Sophie Neveus Großvater! Da liegt es doch wohl auf der Hand, dass sie sich den Schlüssel und das Passwort auf gesetzwidrige Weise verschafft haben!«
»Monsieur Vernet, meine Mitarbeiter haben sich ein wenig mir Ihrem Hintergrund und Ihren Interessen befasst. Sie sind offenbar ein sehr vornehmer und kultivierter Zeitgenosse, wobei ich selbstredend davon ausgehe, dass Sie ein Ehrenmann sind – wie ich übrigens auch. Nachdem wir das nun festgestellt haben, haben Sie von mir als leitendem Beamten der Police Judiciaire das Wort, dass sich Ihr Kästchen und der Ruf Ihrer Bank in besten Händen befinden.«
90. KAPITEL
Leutnant Collet fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er hoch oben auf dem Heuboden des Nebengebäudes von Château Villette die Liste auf dem Bildschirm des Computers sah. »Und das System kann alle diese Leute abhören?«
»Ja«, bestätigte der Ermittlungsbeamte. »Anscheinend schon seit über einem Jahr.«
Collet las die Auflistung auf dem Bildschirm. Er war sprachlos.
COLBERT SOSTAQUE – Präsident des Verfassungsrats
JEAN CHAFFÉE – Direktor des Musee du Jeu de Paume
EDOUARD DESROCHES – Direktor des Archivs der Mitterand-Bibliothek
JACQUES SAUNIÈRE – Direktor des Louvre
MICHEL BRETON – Geheimdienstchef der DAS
Der Beamte deutete auf den Bildschirm. »Bei Nummer vier müssen uns natürlich die Ohren klingeln.«
Collet konnte nur nicken. Der Name war ihm sofort aufgefallen. Jacques Saunière ist abgehört worden. Abermals überflog er die Namen. Wie hat jemand diesen prominenten Leuten eine Wanze unterjubeln können? »Haben Sie schon in die Mitschnitte hineingehört?«
»In einige. Hier ist einer der letzten.« Der Agent drückte auf ein paar Tasten des Computers. Es knisterte in den Lautsprechern. »Capitaine, un agent du Departement de Cryptographie est arrivé.«
Collet wollte seinen Ohren nicht trauen. »Das bin ja ich! Das ist meine Stimme!« Er erinnerte sich, wie er an Saunières Schreibtisch gesessen und Fache über Funk das Eintreffen Sophie Neveus angekündigt hatte.
Der Ermittlungsbeamte nickte. »Falls jemand zugehört haben sollte, konnte er den Großteil unserer nächtlichen Fahndung im Louvre mitverfolgen.«
»Haben Sie schon jemand zum Aufspüren der Wanze losgeschickt?«
»Nicht nötig. Ich weiß genau, wo sie sitzt.« Der Beamte zog ein Blatt aus einem Stapel alter Notizen und Konstruktionszeichnungen auf dem Arbeitstisch und reichte es Collet. »Kommt Ihnen das bekannt vor?«
Collet kam aus dem Staunen nicht heraus. Er hielt die Fotokopie einer alten schematischen Konstruktionszeichnung einer einfachen Maschinerie in Händen. Er konnte zwar nicht die handschriftlichen italienischen Bemerkungen zu den einzelnen Teilen lesen, wusste aber sofort, was er da betrachtete: das Modell eines voll beweglichen mittelalterlichen französischen Ritters.
Der Ritter auf Saunières Schreibtisch!
Collets Blick fiel auf den Rand des Blattes, wo jemand mit rotem Filzschreiber in französischer Sprache Anmerkungen hinterlassen hatte – Anmerkungen, wie in dem Ritter am besten ein digitales Abhörgerät unterzubringen sei.