95. KAPITEL
Langdon hatte den Monitor seit Beginn des Suchvorgangs nicht aus den Augen gelassen.
Fünf Minuten. Bislang nur zwei Übereinstimmungen und beides Nieten.
Er wurde allmählich unruhig.
Pamela Gettum war im Nebenraum damit beschäftigt, warme Getränke zuzubereiten. Langdon und Sophie hatten sie leichtsinnigerweise gefragt, ob sie statt Tee eine Tasse Kaffee haben könnten. Das Piepen aus dem Nebenraum ließ auf die Inbetriebnahme einer Mikrowelle schließen, was wiederum hieß, dass Miss Gettum der unzivilisierten Bitte nach Pulverkaffee nachzukommen versuchte.
Schließlich gab der Computer einen leisen Klingelton von sich.
»Hört sich nach einem weiteren Treffer an«, rief die Bibliothekarin aus dem Nebenraum.
Langdon las die Meldung.
Gral-Allegorien in der mittelalterlichen Literatur. Eine Abhandlung über Sir Gawain und den Grünen Ritter.
»Allegorien über den Grünen Ritter«, rief Langdon.
»Nicht zu gebrauchen«, rief Pam Gettum zurück. »Mythische grüne Riesen sind in London nicht begraben.«
Langdon und Sophie saßen zwei weitere unergiebige Meldungen lang geduldig vor dem Monitor. Dann erklang erneut das akustische Signal. Die Meldung war höchst unerwartet.
Die Opern von Richard Wagner
»Die Wagneropern?«, fragte Sophie irritiert.
Pam Gettum schaute aus dem Nebenraum herein, ein Glas Nescafe in der Hand. »Das ist aber ein merkwürdiger Abgleich. Richard Wagner?«
»Er war Freimaurer«, sagte Langdon mit plötzlich erwachender Neugier. So wie Mozart, Beethoven und Shakespeare, wie Gershwin, Houdini und Walt Disney. Mit den Büchern über die Querverbindung zwischen den Freimaurern, den Tempelrittern, der Prieuré de Sion und dem Heiligen Gral konnte man Bibliotheken füllen. »Das möchte ich mir gern ansehen. Wie komme ich an den vollständigen Text?«
»Sie brauchen nicht den ganzen Text durchzusuchen«, rief Pam Gettum herüber. »Klicken Sie auf den Hyperlink, dann liefert der Computer Ihnen das Suchwort mit einem Wort Prolog und drei Wörtern Postlog für den Textzusammenhang.«
Langdon war gespannt, was das nun wieder heißen sollte. Nach dem Mausklick erschien ein neues Bildfenster.
… mythologischer RITTER namens Parsival, der … … methaphorische GRAL-Suche, die wahrscheinlich … … das LONDON Philharmonie Orchestra … … Wagners GRABMAL in Bayreuth, das …
»Das falsche Grabmal.« Langdon winkte enttäuscht ab, obwohl er zugeben musste, dass das System sich unglaublich leicht handhaben ließ.
»Haben Sie Geduld«, sagte Miss Gettum ermunternd. »Das ist ein reines Zahlenspiel. Sie bekommen schon noch Ergebnisse.«
Während der nächsten Minuten warf der Computer weitere Referenzen zum Heiligen Gral aus. Die letzte Meldung lautete:
Ritter, Knappen, Päpste und Pentakeclass="underline" Die Geschichte des Heiligen Gral im Tarot
»Das ist nicht weiter überraschend«, sagte Langdon zu Sophie. »Einige unserer Suchworte sind gleich lautend mit der Bezeichnung von Karten aus dem Tarotspiel.« Er griff zur Maus, um den Hyperlink anzuklicken. »Ich weiß nicht, ob Ihr Großvater, wenn Sie mit ihm Tarot gespielt haben, Ihnen jemals erzählt hat, dass dieses Spiel eine Art Bilderkatechismus über die Geschichte von der ›verlorenen Braut‹ und ihrer Unterwerfung durch die böse Mutter Kirche ist.«
Vier Minuten später – Langdon befürchtete bereits, vergeblich gekommen zu sein – lieferte der Computer einen weiteren Treffer.
Die Schwerkraft des Genies. Biographie eines modernen Ritters.
»Die Schwerkraft des Genies«, rief Langdon zu Pam Gettum hinüber. »Biographie eines modernen Ritters.«
Miss Gettum streckte den Kopf aus ihren Gemächern. »Wie modern ist er denn?«
Langdon rief das Hyperlink auf.
… ehrenhafte RITTER Sir Isaac Newton … … in LONDON im Jahr 1727 … … sein GRABMAL in Westminster Abbey … … Alexander POPE, Freund und Gefährte …
»Ich würde sagen, ›modern‹ ist ein relativer Begriff«, rief Sophie Miss Gettum zu. »Es ist ein altes Buch über Sir Isaac Newton.«
Miss Gettum erschien kopfschüttelnd in der Tür. »Das passt nicht. Newton ist in der Westminster Abbey begraben, einem Hort des englischen Protestantismus. Völlig ausgeschlossen, dass sich dorthin ein Papst verirrt hätte. Milch und Zucker?«
Sophie nickte.
Pam Gettum stand wartend in der Tür. »Robert?«
Langdons Herz hämmerte. Er nahm den Blick vom Bildschirm und stand auf. »Sir Isaac Newton ist unser Ritter.«
»Aber das kann nicht sein«, sagte Sophie.
»Newton ist in London begraben«, sagte Langdon. »Sein Werk brachte neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die von der Kirche jedoch zornig zurückgewiesen wurden. Außerdem war Newton ein Großmeister der Prieuré de Sion. Was wollen Sie noch mehr?«
Sophie zeigte auf den Vierzeiler. »Was ist mit dem ›Ritter, den ein Papst begraben‹? Haben Sie nicht gehört, was Miss Gettum gesagt hat? Newton wurde nicht von einem Papst begraben.«
Langdon griff nach der Maus. »Wo ist denn von einem Papst die Rede?« Er klickte auf das Hyperlink »Pope« für englisch »Papst«. Der vollständige Textabschnitt erschien.
Sir Isaac Newtons Begräbnisfeier, der Könige und Adelsmänner beiwohnten, wurde von Alexander Pope geleitet, einem Freund und Weggefährten, der den Verstorbenen in einer bewegenden Rede pries, bevor er eine Hand voll Erde auf den Sarg streute.
Langdon blickte Sophie an. »Wir hatten den richtigen ›Pope‹ schon bei unserer zweiten Meldung – Alexander Pope.« Er machte eine effektvolle Pause. »A. Pope«
In London lies a knight A. Pope interred.
»Natürlich!« Sophie sprang auf.
Jacques Saunière hatte sich wieder einmal als Meister der Doppeldeutigkeit erwiesen.
96. KAPITEL
Silas fuhr aus dem Schlaf hoch.
Er wusste nicht, wovon er wach geworden war, noch, wie lange er geschlafen hatte. Hast du geträumt? Er setzte sich auf seiner Schlafmatte auf und lauschte dem ruhigen Atem des Ordenshauses, dessen Stille durch das leise heraufklingende Beten aus dem Zimmer unter ihm noch unterstrichen wurde. Die leisen, vertrauten Klänge hatten Silas eigentlich beruhigen müssen.
Doch er spürte eine jähe Anspannung.
Er stand auf und ging zum Fenster, nur mit der Unterhose bekleidet. Ist jemand dir gefolgt? Der Hof unten war verlassen, so, wie er ihn vorgefunden hatte, als er gekommen war. Er lauschte. Stille. Was macht dich so unruhig? Silas hatte vor langer Zeit gelernt, auf seine innere Stimme zu achten. Ohne sie hätte er in den Straßen von Marseille als Halbwüchsiger nicht überlebt. Das war lange, bevor man ihn ins Gefängnis gesteckt hatte … lange, bevor er von Bischof Aringarosa wieder geboren worden war. Erneut spähte er zum Fenster hinaus. Er sah einen Wagen, der vor dem Gebäude stand, von einer Hecke fast völlig verdeckt. Auf dem Dach des Wagens war ein Blaulicht montiert. Draußen auf dem Flur knarrte eine Diele. Ein Riegel wurde zurückgeschoben.
Silas reagierte instinktiv. Er huschte durchs Zimmer in den toten Winkel hinter der Tür, die im selben Moment auch schon aufgestoßen wurde. Die Pistole im Anschlag, stürmte ein Polizist herein und zielte mit der Waffe nach rechts und links in das scheinbar leere Zimmer. Ein zweiter Polizist folgte. Bevor einer der beiden begriffen hatte, wo Silas steckte, warf der riesige Mönch sich von hinten mit der Schulter gegen die Tür und schmetterte sie dem zweiten Polizisten ins Gesicht. Während der erste herumfuhr, die Waffe im Anschlag, hechtete Silas schon nach seinen Knien. Als der Schuss krachte und die Kugel über Silas hinwegpfiff, riss er den Polizisten von den Beinen. Der Mann schlug mit dem Kopf auf den Boden. Beim Hinausrennen rammte Silas dem zweiten Beamten, der sich im Türrahmen aufzurappeln versuchte, das Knie zwischen die Beine und sprang über den sich in Schmerzen windenden Mann in den Flur.