Выбрать главу

Sie gelangten auf einen von hohen Mauern umgebenen Hof, auf dem der morgendliche Regen rauschend niederging. Über das Gemäuer heulte hohl der Wind wie über einem Flaschenhals. Als Langdon den niedrigen, engen Kreuzgang betrat, der längs der Begrenzungsmauern des Hofes verlief, überkam ihn der vertraute Anflug von Klaustrophobie.

Auf das Ende des Tunnels konzentriert, folgte er den Schildern zum Kapitelhaus. Aus dem Regen war inzwischen ein Wolkenbruch geworden, der nasskalt durch die offenen Säulenarkaden sprühte, durch die das Licht in den Kreuzgang fiel. Ein Paar, das vor dem miesen Wetter flüchtete, kam ihnen entgegen. Der Kreuzgang – der letzte Rest der vormaligen Klosteranlage – lag einsam und verlassen in Wind und Wetter.

Vierzig Meter den östlichen Teil des Kreuzgangs hinunter öffnete sich ein überwölbter Gang nach links in eine Eingangshalle, den gesuchten Zugang zum Kapitelsaal. Er war mir Absperrband und einem offiziell aussehenden Schild versperrt:

Pyx-Kammer St. Faith's Kapelle Kapitelhaus WEGEN RENOVIERUNG GESCHLOSSEN

Der lange, verlassene Gang hinter dem Absperrband war mit Gerüsten voll gestellt. Überall hingen Schutzfolien. Nach rechts und links gingen die Eingänge zur Pyx-Kammer und der St. Faith's Kapelle ab. Der Eingang zum Kapitelhaus lag am Ende des Ganges. Selbst von seinem Standort aus konnte Langdon erkennen, dass das schwere Holzportal weit offen stand. Der großräumige achteckige Saal war in hellgraues Licht getaucht, das durch die riesigen Fenster vom College Garten fiel. Gehen Sie durchs Kapitelhaus, durch den Südausgang in den öffentlichen Garten.

»Wir sind durch den Ostteil des Kreuzgangs gekommen«, sagte Langdon, »also geht es zum Südausgang in den Garten hier lang und dann nach rechts.«

Sophie war bereits über das Absperrband geklettert und eilte den schummrigen Gang hinunter. Langdon folgte ihr. Je weiter sie vordrangen, desto mehr verloren sich die Geräusche von Wind und Wetter, die aus dem offenen Kreuzgang wehten. Das Kapitelhaus war eine Art frei stehender, achteckiger Anbau der Kirche am Ende des langen Gangs, der vor langer Zeit bei den Tagungen des Parlaments für Ungestörtheit gesorgt hatte.

»Der Saal ist ja riesig«, flüsterte Sophie, als sie näher kamen.

Auch Langdon staunte: Er hatte ganz vergessen, welche Ausmaße das Oktogon besaß. Vom Gang aus glitt sein Blick über die weite Bodenfläche zu den Spitzbogenfenstern, deren Rippen fünf Stockwerke in die Höhe strebten, bis das Maßwerk hoch oben an das Deckengewölbe stieß. Von dort drinnen hatte man zweifelsohne einen umfassenden Ausblick auf den Garten.

Als Sophie und Langdon über die Schwelle traten, mussten sie in der plötzlichen Helligkeit blinzeln. Als ihre Augen sich nach dem schummrigen Licht in den Gängen daran gewöhnt hatten, näherten sie sich der Südwand und suchten sie nach dem Ausgang ab.

Es gab keinen.

Sie standen im bauchigen Ende einer Sackgasse.

Hinter ihnen knarrte die Tür. Als sie herumfuhren, sahen sie das gewaltige Portal ins Schloss fallen. Der Riegel schnappte ein.

Im toten Winkel hinter der Tür stand ein korpulenter Mann, auf Krücken aus Aluminium gestützt, und hielt in aller Ruhe einen kleinen Revolver auf sie gerichtet.

Sir Leigh Teabing.

99. KAPITEL

»Meine lieben Freunde«, sagte Teabing mit dem Beiklang des Bedauerns, während er Sophie und Langdon ins Visier nahm, »seit Sie gestern Nacht in mein Haus gekommen sind, habe ich alles versucht, um Sie aus der Schusslinie zu halten. Aber nun hat Ihre Hartnäckigkeit mich in eine schwierige Lage gebracht.«

Teabing sah den Schock und die Enttäuschung auf Sophies und Langdons Gesichtern.

Du musst ihnen noch sehr viel erklären … es gibt viele Dinge, die sie noch nicht wissen.

»Sie müssen mir glauben, dass es nie meine Absicht war, Sie in diese Geschehnisse zu verwickeln. Aber dann sind Sie bei mir im Château aufgetaucht, und … «

»Wir dachten, Sie seien in Gefahr!«, unterbrach Langdon ihn zornig, als er sich halbwegs gefasst hatte. »Wir sind hergekommen, um Ihnen zu helfen!«

»Genau darauf habe ich mich verlassen«, gab Teabing zurück. »Wir haben viel zu bereden.«

Langdon und Sophie starrten in die Mündung des Revolvers, der drohend auf sie gerichtet war.

»Nur, damit ich Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit habe«, sagte Teabing. »Hätte ich vorgehabt, Ihnen etwas anzutun, wären Sie längst tot. Als Sie gestern Nacht in mein Haus kamen, habe ich alles riskiert, um Ihr Leben zu retten. Ich bin ein ehrenhafter Mann. Ich habe auf Ehre und Gewissen geschworen, niemand zu opfern, es sei denn, er hat sich des Verrats am Sangreal schuldig gemacht.«

»Was reden Sie da?«, sagte Langdon. »Wie kann man den Sangreal verraten?«

»Ich habe eine schreckliche Wahrheit entdeckt«, sagte Teabing und seufzte. »Ich weiß, warum die Sangreal-Dokumente der Welt nicht zugänglich gemacht worden sind. Die Prieuré hat beschlossen, die Wahrheit im Verborgenen schlummern zu lassen. Deshalb konnte die Jahrtausendwende verstreichen und das Ende der Zeit anbrechen, ohne dass es zu einer Offenbarung kam.«

Langdon wollte widersprechen, doch Teabing ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Die Prieuré hat einen heiligen Auftrag erhalten, am Ende der Zeit die Wahrheit ans Licht zu bringen und der Welt die Sangreal-Dokumente zu offenbaren. Männer wie Leonardo da Vinci, Sandro Botticelli und Isaac Newton haben im Laufe der Jahrhunderte die größten Risiken auf sich genommen, um diesem Auftrag gerecht zu werden. Und nun kommt im letzten Moment ein Jacques Saunière daher und überlegt es sich anders! Der Mann, dem die unverdiente Ehre zugefallen ist, die größte Verantwortung in der Geschichte des Christentums zu tragen, hat sich davor gedrückt und kurzerhand erklärt, die Zeit sei noch nicht reif!« Teabing starrte Sophie an. »Er hat den Gral verraten. Er hat die Prieuré verraten. Und er hat die ungezählten Generationen verraten, die sich dafür eingesetzt haben, dass eines Tages die Wahrheit offenbart werden kann.«

»Sie also!«, rief Sophie, und ihre grünen Augen funkelten. »Sie sind der Drahtzieher des Mordes an meinem Großvater!«

»Ihr Großvater und seine Seneschalle waren Verräter am Gral«, spie Teabing verächtlich hervor.

Sophie spürte, wie heißer Zorn in ihr aufloderte. Er lügt!

»Ihr Großvater hat sich bei der Kirche angebiedert«, sagte Teabing kalt. »Es liegt doch auf der Hand, dass er dem Druck der Kirche nicht standgehalten und die Wahrheit zurückgehalten hat.«

Sophie schüttelte heftig den Kopf. »Die Kirche hatte nicht den geringsten Einfluss auf meinen Großvater!«

Teabing lachte höhnisch auf. »Meine Liebe, die Kirche hat zweitausend Jahre Erfahrung darin, Menschen unter Druck zu setzen, die das Lügengewebe der Kurie gefährden. Seit den Tagen Kaiser Konstantins hat sie erfolgreich die Wahrheit über Jesus und Maria Magdalena verbergen können. Also darf man getrost davon ausgehen, dass die Kirche auch diesmal wieder einen Weg gefunden hat, die Welt im Ungewissen zu lassen. Sie schickt zwar keine Kreuzritter mehr aus, um Ungläubige abzuschlachten, aber ihre Möglichkeiten der Einflussnahme haben keineswegs gelitten. Sie sind so wirksam wie eh und je – und genauso heimtückisch.« Er machte eine wirkungsvolle Pause. »Miss Neveu, hat Ihr Großvater nicht schon seit geraumer Zeit versucht, Sie in die Wahrheit über Ihre Familie einzuweihen?«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Sophie verwundert.

»Das ist im Moment unwichtig. Wichtig ist allein, dass Sie etwas darüber erfahren.« Er holte tief Luft. »Der Tod Ihrer Mutter und Großmutter, Ihres Vaters und Ihres Bruders war kein normaler Unfall.«

Sophies Gedanken rasten. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber keinen Laut hervor.

Langdon schüttelte den Kopf. »Was behaupten Sie da?«, herrschte er Teabing an.