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Langdon beschloss, ein wenig nachzubohren. »Aber der Schlussstein soll doch eigentlich auf den Ort hinweisen, an dem der Gral heute versteckt ist. Warum weist er dann auf Rosslyn?«

»Vielleicht haben Sie die Bedeutung des Verses nicht richtig erfasst.«

»Aber eindeutiger geht es doch gar nicht! Wir stehen über einem unterirdischen Gewölbe, das mit Winkel und Kelch markiert ist, befinden uns unter einer als Sternenzelt gestalteten Decke, umgeben von der Kunst meisterlicher Steinmetze. Alles weist auf Rosslyn hin!«

»Dann lassen Sie mich einmal den geheimnisvollen Vers ansehen.« Marie rollte den Papyrus auseinander und las laut und bedächtig vor.

Unter Alt-Roslin der Gral verharrt. Winkel und Kelch das Grab bewahrt. Es ist von des Meisten Kunst geschmückt. Und unters Sternenzelt endlich gerückt.

Als sie geendet hatte, blieb sie einige Sekunden lang stumm. Dann glitt ein wissendes Lächeln über ihre Lippen. »Ah, Jacques!«

Langdon sah sie erwartungsvoll an. »Sie haben das verstanden?«

»Mr Langdon, wie Sie selbst soeben anhand des Davidsterns auf dem Kapellenboden erlebt haben, kann man auch einfache Dinge auf vielfältige Weise deuten.«

Langdon bemühte sich, ihr zu folgen, jede Äußerung Jacques Saunières schien einen Doppelsinn zu haben. Er kam einfach nicht weiter.

Marie wirkte plötzlich sehr müde. Sie unterdrückte ein Gähnen. »Ich werde Ihnen jetzt etwas anvertrauen, Mr Langdon. Ich bin zwar nie offiziell in den Aufbewahrungsort des Grals eingeweiht gewesen, aber ich war mit einem Menschen verheiratet, der großes Wissen, umfassende Kenntnisse und machtvolle Befugnisse besaß … und meine weibliche Intuition wollen wir auch nicht vergessen.« Langdon wollte etwas einwerfen, doch Marie fuhr fort: »Es tut mir Leid für Sie, dass Sie nach all Ihren Anstrengungen ohne eine konkrete Antwort von Rosslyn fortgehen müssen. Aber mein Gefühl sagt mir, dass Sie finden werden, wonach Sie suchen. Eines Tages werden Ihnen die Augen aufgehen.« Sie lächelte ihn an. »Und ich bin überzeugt, dann werden Sie sich als Mensch erweisen, der ein Geheimnis für sich behalten kann.«

Sie hörten, wie jemand sich näherte; dann kam Sophie zur Tür herein. »Ihr beide wart auf einmal verschwunden.«

»Ich wollte mich ohnehin gerade auf den Weg machen«, sagte Sophies Großmutter und ging zu ihrer Enkelin an die Tür. »Gute Nacht, Prinzessin.« Sie küsste Sophie auf die Stirn. »Sieh zu, dass Mr Langdon nicht zu spät ins Bett kommt.«

Marie Chauvel ging zu dem Bruchsteinhaus hinunter. Sophie und Langdon schauten ihr nach. Als Sophie den Blick wieder auf Langdon richtete, schwammen ihre Augen in Tränen. »Mit diesem Ende habe ich nun wirklich nicht gerechnet.«

Dann wären wir schon zwei, dachte Langdon. Er sah, dass Sophie mit ihrer Kraft am Ende war. Was heute Abend an Neuem auf sie eingestürmt war, hatte ihr Leben von Grund auf verändert. »Wie fühlen Sie sich? Sie mussten heute eine Menge verdauen.«

Sophie lächelte versonnen. »Ich habe jetzt eine Familie. Damit werde ich mich als Erstes auseinander setzen. Bis ich mich daran gewöhnt habe, wer wir sind und woher wir kommen, wird wohl noch einige Zeit vergehen.«

Langdon schwieg.

»Werden Sie morgen schon abreisen?«, wollte Sophie wissen. »Bleiben Sie noch ein paar Tage, ja?«

Langdon seufzte. Nichts hätte er lieber getan. »Sophie, Sie müssen jetzt erst einmal eine Zeit lang bei Ihrer Familie bleiben. Ich fahre morgen nach Paris zurück.«

Sophie wusste, dass es die richtige Entscheidung war; trotzdem wirkte sie ein wenig enttäuscht. Längere Zeit sprachen beide kein Wort. Schließlich ergriff Sophie Langdons Hand und führte ihn aus der Kapelle. Sie gingen zu einer kleinen Erhebung. Im diffusen Licht der Mondsichel, die durch die abziehenden Wolken schien, breitete sich die schottische Landschaft vor ihnen aus. Schweigend ständen sie beieinander und hielten sich an den Händen. Die Erschöpfung forderte allmählich ihren Tribut.

Die Sterne erschienen am Himmelszelt. Im Westen glänzte ein strahlender Lichtpunkt. Langdon lächelte, als er ihn bemerkte. Die Venus. Die antike Göttin ließ ihr goldenes Licht auf sie scheinen.

Der Abend wurde kühl. Eine frische Brise wehte aus den Lowlands herauf. Nach einer Weile blickte Langdon zu Sophie hinüber. Sie hatte die Augen geschlossen. Um ihre Lippen spielte ein zufriedenes Lächeln. Langdon spürte, wie auch seine Lider allmählich schwer wurden. Zögernd drückte er ihre Hand. »Sophie?«

Sie schlug die Augen auf und lächelte ihn schläfrig an. Das sanfte Mondlicht machte ihr Gesicht noch schöner.

Es stimmte Langdon plötzlich traurig, dass er ohne sie nach Paris zurückmusste. »Wenn Sie morgen aufstehen, bin ich wahrscheinlich schon fort.« Er stockte. Der Kloß im Hals wurde immer größer. »Entschuldigen Sie, ich bin nicht so gut im … «

Sophie legte ihm sanft die Hand an die Schläfe, beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn auf die Wange. »Wann sehe ich dich wieder?«

Langdon verlor sich in Sophies Augen. Seine Gedanken überschlugen sich. Wusste sie, wie sehr er auf diese Frage gewartet hatte? »Nächsten Monat halte ich auf einer Tagung in Florenz einen Vortrag. Ich bin eine ganze Woche dort und habe nicht allzu viel zu tun.«

»Ist das eine Einladung?«

»Wir hätten allen erdenklichen Luxus. Ich habe eine Suite im Brunelleschi.«

Sophie lächelte ihn schelmisch an. »Sie scheinen sich ja ganz schön Hoffnungen zu machen, Mr Langdon.«

Langdon hatte sich ohrfeigen können. Wie hatte er sich nun wieder ausgedrückt! »Ich meine … «

»Robert, es wäre wunderbar, wenn wir uns in Florenz treffen könnten! Aber nur unter einer Bedingung.« Sophie wurde ernst. »Keine Museen, keine Kirchen, keine Grabmäler, keine Kunstwerke, keine Reliquien.«

»In Florenz? Eine ganze Woche? Etwas anderes kann man dort doch kaum machen.«

Sophie beugte sich wieder zu ihm herüber. Diesmal küsste sie ihn auf den Mund. Ihre Körper berührten sich, zögernd zuerst, dann leidenschaftlich. Als Sophie sich von Langdon löste, lag ein verheißungsvolles Leuchten in ihren Augen.

»Wirklich?«

»Ja«, sagte Langdon. »Wirklich.«

EPILOG

Robert Langdon fuhr aus dem Schlaf. Er hatte geträumt. Auf dem Bademantel neben seinem Bett befand sich ein Monogramm. HOTEL RITZ, PARIS. Schwaches Licht drang durch die heruntergelassenen Jalousien. Ist es Morgen oder Abend!

Langdon fühlte sich entspannt und ausgeruht. Er hatte die letzen beiden Tage praktisch durchgeschlafen. Langsam setzte er sich auf. Allmählich dämmerte ihm, was ihn geweckt hatte … ein völlig aberwitziger Gedanke. Seit Tagen hatte er versucht, einen Wust widersprüchlicher Informationen zu verarbeiten, aber plötzlich ließ ihn ein Gedanke nicht mehr los, der ihm bisher noch nicht gekommen war.

Ist das vorstellbar?

Er blieb eine Weile regungslos sitzen. Schließlich stand er auf und ging unter die Dusche, stellte den kräftigen Punktstrahl ein und ließ sich die Schultern massieren. Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe.

Unsinn!

Zwanzig Minuten später trat Langdon aus dem Hotel hinaus auf den Place Vendôme. Es wurde gerade dunkel. Die durchgeschlafenen Tage und Nächte hatten sein Zeitgefühl durcheinander gebracht, doch sein Verstand war ungewöhnlich wach und klar. Er bog in die Rue des Petits Champs ein, wandte sich dann nach Süden in die Rue de Richelieu. Vom Garten des Palais Royal wehre der schwere süße Duft des blühenden Jasmins zu ihm herüber.

Er ging in südliche Richtung weiter, bis er sah, wonach er Ausschau gehalten hatte – die berühmten weitläufigen Arkaden aus glänzendem schwarzen Marmor. Langdon betrat den Arkadengang und richtete den Blick auf den Boden zu seinen Füßen. Binnen Sekunden hatte er gefunden, was er suchte – die in den Boden eingelassenen Bronzemedaillons. Sie markierten eine vollkommen gerade Linie. In jede der Bronzescheiben, die ungefähr zehn Zentimeter im Durchmesser maßen, waren die Buchstaben N und S eingraviert.