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Sophie wandte sich vom Fenster ab. Sie hatte das ehrliche Bedauern in Langdons tiefer Stimme gespürt. Obwohl er selbst bis zum Hals in Schwierigkeiten steckte, hätte er ihr offensichtlich gern geholfen. Das ist der Lehrer in ihm, dachte Sophie. Sie hatte die Akte gelesen, die das DCPJ bereits über den Tatverdächtigen erstellt hatte. Bei Langdon hatte man es mit einem Gelehrten zu tun, den es nicht ruhen ließ, wenn er etwas nicht verstand.

Das haben wir schon mal gemeinsam, überlegte Sophie.

Ihr Job als Dechiffriererin bestand im Herausfiltern von Bedeutungsinhalten aus scheinbar sinnlosem Datenmüll. Die Entwicklungen des heutigen Abends bekamen einen Sinn, sobald man davon ausging, dass Robert Langdon – ob er es nun wusste oder nicht- eine Information besaß, die sie unbedingt haben musste. Prinzessin Sophie, Robert Langdon suchen! Konnte die Botschaft ihres Großvaters deutlicher sein? Sophie brauchte mehr Zeit, um sich mit Langdon zu beschäftigen. Zeit zum Nachdenken. Zeit, dem Geheimnis gemeinsam auf die Spur zu kommen. Aber die Zeit war leider schon so gut wie abgelaufen.

Sophie schaute zu Langdon auf. Sie machte den einzigen Schachzug, der ihr in der Eile einfiel. »Bezu Fache wird Sie jeden Moment verhaften. Ich kann Sie aus dem Museum rausbekommen. Aber dann müssen wir uns beeilen.«

Langdon riss die Augen auf. »Sie wollen, dass ich flüchte?«

»Das ist das Klügste, was Sie tun können. Wenn Sie sich jetzt von Fache verhaften lassen, sitzen Sie wochenlang in U-Haft, während das DCPJ mit der amerikanischen Botschaft darum feilscht, wo Sie vor Gericht gestellt werden sollen. Aber wenn wir hier rauskommen und es bis zur amerikanischen Botschaft schaffen, wird Ihre Regierung sich um Ihre Rechte kümmern, und Sie und ich haben Zeit, den Nachweis zu erbringen, dass Sie mit dem Mord nichts zu tun haben.«

Weniger überzeugt als Langdon hätte kaum jemand dreinblicken können. »Vergessen Sie's. Fache hat vor jedem Ausgang bewaffnete Beamte postiert. Und selbst wenn wir hinauskämen, ohne erschossen zu werden, würde die Flucht den Verdacht gegen mich erhärten. Nein, Sie müssen Fache begreiflich machen, dass die Nachricht Ihres Großvaters für Sie bestimmt war und dass mein Name nicht dort hingeschrieben wurde, um mich zu beschuldigen, sondern aus einem ganz anderen Grund.«

»Das werde ich tun«, sagte Sophie ein wenig gehetzt, »aber erst, nachdem Sie sicher in der amerikanischen Botschaft sind. Sie ist nur anderthalb Kilometer von hier. Mein Auto steht direkt vor dem Museum. Begreifen Sie denn nicht? Fache ist wild entschlossen, Sie als Täter zu präsentieren. Der einzige Grund, warum er Sie noch nicht eingebuchtet hat, ist diese Überwachungsaktion, von der er sich erhofft, dass sie seine Argumente erhärtet.«

»Zum Beispiel, indem ich davonlaufe.«

Das Handy in Sophies Tasche begann plötzlich zu piepsen. Fache. Sie griff in die Pullovertasche und schaltete es ab.

»Mr Langdon, ich muss Ihnen jetzt noch eine letzte Frage stellen«, sagte sie hastig. Und davon kann Ihre ganze Zukunft abhängen. »Die Nachricht meines Großvaters ist kein ausreichender Beweis für Ihre Schuld. Dennoch hat Fache unserem Team mitgeteilt, er sei sicher, dass Sie sein Mann sind. Können Sie sich irgendeinen anderen Grund vorstellen, der Fache von Ihrer Schuld überzeugt haben könnte?«

Langdon blieb ein paar Sekunden stumm. »Absolut nicht«, sagte er dann.

Sophie seufzte. Was bedeutet, dass Fache lügt. Das Warum und Wieso entzog sich ihr, aber darum ging es im Moment auch nicht. Tatsache war, dass Fache wild entschlossen war, Langdon noch in dieser Nacht hinter Gitter zu bringen, koste es, was es wolle. Aber auch Sophie brauchte Langdon, was ihr nur eine logische Alternative ließ.

Du musst Langdon irgendwie in die US-Botschaft lotsen.

Sophie wandte sich wieder zum Fenster, schaute aufs Pflaster hinunter. Ein Sprung aus dieser Höhe würde Langdon mit Sicherheit Knochenbrüche einbringen – falls er Glück hatte.

Dessen ungeachtet traf Sophie ihre Entscheidung.

Robert Langdon musste aus dem Louvre fliehen, ob er wollte oder nicht.

17. KAPITEL

»Was soll das heißen, sie meldet sich nicht?«, giftete Fache. »Sie haben doch ihre Handynummer gewählt, oder? Ich weiß, dass sie ihr Handy dabei hat.«

Collet versuchte seit einigen Minuten, Sophie zu erreichen. »Vielleicht ist der Akku leer. Oder sie hat das Gerät nicht an.«

Seit dem Telefonat mit dem Chef der Dechiffrierabteilung war Faches Miene düster geworden. Er war sofort zu Collet marschiert und hatte ihn angewiesen, Agentin Neveu an die Strippe zu holen, doch Collet war bisher nicht durchgekommen. Fache ging auf und ab wie ein Panther im Käfig.

»Warum hat der alte Codeknacker angerufen?«, erkundigte sich Collet.

»Um uns mitzuteilen, seine Leute hatten mit dem drakonischen Teufel und dem lahmen Heiligen nichts anfangen können.«

»Sonst nichts?«

»Doch. Sie hätten die Zahlenreihe als Fibonacci-Folge identifiziert, hielten sie aber für bedeutungslos.«

Collet schaute ihn verdutzt an. »Aber er hatte doch schon Neveu herübergeschickt, um uns das zu sagen.«

Fache schüttelte den Kopf. »Nein, hat er nicht.«

»Wie bitte?«

»Nach Aussage des Chefs der Dechiffrierabteilung hat er auf meine Anweisung hin sein gesamtes Team zusammengetrommelt, damit die Leute sich mit den von uns gemailten Bildern befassen.

Als Sophie Neveu eintraf, hat sie nur einen Blick auf die Fotos von Saunière und seiner Nachricht geworfen und ist ohne ein Wort sofort wieder aus dem Laden verschwunden. Ihr Chef meinte, er habe ihr dieses Verhalten durchgehen lassen, da ihre Bestürzung beim Anblick der Fotos verständlich sei.«

»Bestürzung: Hat die Dame denn noch nie das Foto einer Leiche gesehen?«

Fache ließ einen Moment verstreichen, bevor er antwortete. »Es war mir nicht bekannt – und wie es den Anschein hat, auch dem Vorgesetzten von Agentin Neveu nicht, bis ihn ein Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht hat: Sophie Neveu ist Jacques Saunières Enkelin.«

Collet war sprachlos.

»Der Abteilungsleiter sagte mir, sie hatte ihm gegenüber Saunière kein einziges Mal erwähnt – vermutlich, weil sie nicht wegen ihres berühmten Großvaters mit Samthandschuhen angefasst werden wollte.«

Kein Wunder, dass die Fotos ihr an die Nieren gegangen sind, dachte Collet. Er wollte sich nicht vorstellen, was es für eine junge Frau bedeutete, zur Entzifferung einer Nachricht herbeigerufen zu werden, die sich als letzte Botschaft eines ermordeten Familienangehörigen erwies. Gleichwohl gab ihr Verhalten Rätsel auf. »Aber sie hat doch offensichtlich die Zahlen sofort als Fibonacci-Folge erkannt. Schließlich ist sie ja hierher gekommen und hat es uns gesagt. Ich verstehe nicht, wieso sie ihr Büro verlassen hat, ohne jemand mitzuteilen, dass sie die Lösung kannte.«

Zur Erklärung der verwirrenden Entwicklung konnte Collet sich nur ein einziges Szenarium vorstellen: Der sterbende Saunière hatte einen Zahlencode auf den Boden geschrieben und gehofft, die Dechiffrierabteilung – und damit seine Enkelin – ins Spiel zu bringen. Und was den Rest der Nachricht anging: War auch das eine Mitteilung Saunières an seine Enkelin? Wenn ja, was hatte er ihr mitteilen wollen? Und wie passte Langdon ins Bild?

Bevor Collet sich in dieses Problem vertiefen konnte, zerriss das Schrillen einer Alarmglocke die Stille des verlassenen Museums. Der durchdringende Lauf schien irgendwo aus der Tiefe der Grande Galerie zu kommen.

»Alarme!«, rief einer der Beamten, den Blick auf die Computereinspielung des Sicherheitszentrums des Louvre geheftet. »Grande Galerie! Toilettes Messieurs!«