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Als die Ampel auf Grün sprang und der LKW anfuhr, glitt das Stück Seife der Neigung folgend über die Plane und bis auf den Grund der Mulde in der Mitte der Ladefläche.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Sophie und zerrte Langdon zur Tür. »Sie sind soeben aus dem Louvre geflohen!«

Sie hatten sich gerade noch hinter die Stellwände flüchten können, bevor ein von der Anstrengung des schnellen Laufens keuchender Fache auch schon auf der Bildfläche erschien.

Als der Feueralarm endlich verstummte, konnte Langdon die Martinshörner hören, die sich vom Louvre entfernten. Ein Exodus der Polizei. Fache war den Gang hinuntergestürmt und verschwunden. Die Grande Galerie war verlassen.

»Hier kommt nach fünfzig Metern ein Notausgang mit Treppenhaus«, sagte Sophie. »Die Wachposten haben sich verzogen. Lassen Sie uns verschwinden.«

Langdon beschloss, von nun an lieber den Mund zu halten.

Sophie Neveu war eindeutig cleverer als er.

19. KAPITEL

Es heißt, Saint-Sulpice sei das ungewöhnlichste Bauwerk von ganz Paris. Die Kirche, die über den Resten eines antiken Isis-Tempels errichtet worden war, entspricht in den Abmessungen ihres Grundrisses bis auf wenige Zentimeter der Kathedrale von Nôtre-Dame. Sie war Schauplatz der Taufen des Marquis de Sade und Baudelaires und der Hochzeit von Victor Hugo gewesen. Das der Kirche angeschlossene Priesterseminar kann auf eine gut dokumentierte Geschichte unorthodoxer Lehrmeinungen zurückblicken und war einst Versammlungsort zahlreicher Geheimgesellschaften.

In dieser Nacht war das geräumige Kirchenschiff still wie eine Gruft. Nur der schwache Duft nach Weihrauch, der von der Abendmesse noch in der Luft hing, ließ vermuten, dass es hier auch lebendiger zugehen konnte.

Silas spürte Schwester Sandrines Unbehagen, die ihn in die heilige Stätte führte. Es überraschte ihn nicht. Er war es gewöhnt, dass andere Menschen mit Furcht und Befremden auf sein Aussehen reagierten.

»Sie sind Amerikaner, nicht wahr?«, sagte die Nonne.

»Ich bin gebürtiger Franzose«, gab Silas zurück. »Meine Berufung hatte ich in Spanien. Jetzt studiere ich in den Vereinigten Staaten.«

Schwester Sandrine nickte. Sie war eine zierliche Frau mit ruhigen, freundlichen Augen. »Und Sie sind noch nie in Saint-Sulpice gewesen?«

»Das ist schon fast eine Sünde, das gebe ich zu.«

»Am Tage ist die Kirche viel schöner.«

»Da bin ich sicher. Umso dankbarer bin ich Ihnen, dass Sie mich heute Nacht eingelassen haben.«

»Der Abbé hat mich darum gebeten. Sie haben offenbar einflussreiche Freunde.«

Wenn du wüsstest, dachte Silas.

Silas folgte Schwester Sandrine den Mittelgang der Kirche entlang. Die Schlichtheit des Gotteshauses überraschte ihn. Ganz anders als Nôtre-Dame mit ihren farbenfrohen Fresken, den vergoldeten Altären und den warmen Holztönen der Schnitzereien war Saint-Sulpice karg und kalt. Silas fühlte sich an die schlichten Kathedralen Spaniens erinnert. Die Kargheit ließ das Innere der Kirche noch gewaltiger erscheinen. Als Silas zu den Rippen des Gewölbes hinaufschaute, bekam er das Gefühl, unter dem Rumpf eines gewaltigen, kieloben schwimmenden Schiffes zu stehen.

Ein passendes Bild, dachte er. Das Schiff der Bruderschaft wird bald ein für alle Mal kentern …

Silas wurde ungeduldig. Er wollte sich ans Werk machen. Hoffentlich verschwand die Nonne bald. Sie war eine zarte Frau. Er hätte sie mühelos ausschalten können, doch er hatte gelobt, auf Gewalt zu verzichten, es sei denn, Gewaltanwendung war unumgänglich. Sie hat den Schleier genommen. Außerdem kann sie nichts dafür, dass ihre Kirche von der Bruderschaft als Versteck für den Schlussstein missbraucht wird. Sie soll nicht der Sündenbock für die Vergehen anderer sein.

»Es ist mir sehr unangenehm, Schwester, dass Sie meinetwegen aus dem Schlaf gerissen wurden.«

»Schon gut. Sie sind ja nur für kurze Zeit in Paris. Da sollten Sie sich Saint-Sulpice nicht entgehen lassen. Ist Ihr Interesse an dieser Kirche architektonischer oder eher historischer Natur?«

»Um ehrlich zu sein, ist es spiritueller Natur, Schwester.«

Sie lachte geschmeichelt. »Das dürfte sich von selbst verstehen. Ich habe mich einfach nur gefragt, womit ich meine Führung beginnen soll.«

Silas' Blick wurde vom Altar angezogen. »Es wird nicht nötig sein, dass Sie mich führen. Sie sind bereits mehr als freundlich zu mir gewesen. Jetzt finde ich mich selbst zurecht.«

»Es wäre mir aber ein Vergnügen. Außerdem bin ich nun schon einmal wach.«

Sie hatten die vorderste Bankreihe erreicht. Silas blieb stehen. Bis zum Altar waren es nur noch fünfzehn Meter. Er wandte sich mit seiner großen, wuchtigen Gestalt der kleinen Frau zu. Sie blickte in seine roten Albinoaugen. Silas spürte ihre Beklemmung. »Schwester, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich pflege ein Gotteshaus nicht zu betreten, um wie ein Tourist darin herumzulaufen. Wäre es Ihnen sehr unangenehm, mich ein Weilchen ungestört beten zu lassen, bevor ich mich umschaue?«

Schwester Sandrine zögerte. »Natürlich nicht. Ich werde mich zurückziehen und hinten in der Kirche auf Sie warten.«

Silas blickte auf sie hinunter und legte ihr sanft, aber bestimmt die Hand auf die Schulter. »Es ist mir schon unangenehm genug, Schwester, dass Sie meinetwegen geweckt worden sind. Es wäre ungehörig, Sie zu bitten, noch länger aufzubleiben. Bitte, gehen Sie wieder zu Bett. Ich kann dieses wundervolle Gotteshaus auch alleine genießen. Und den Weg hinaus finde ich auch ohne Sie.«

Schwester Sandrine sah ihn unbehaglich an. »Und Sie fühlen sich nicht im Stich gelassen?«

»Nicht im Geringsten. Ein frommes Gebet ist ein einsames Vergnügen.«

»Wie Sie wünschen.«

Silas nahm die Hand von Sandrines Schulter. »Schlafen Sie wohl, Schwester. Der Friede des Herrn sei mit Ihnen.«

»Und mit Ihnen.« Sandrine ging zur Treppe der Empore. »Bitte achten Sie darauf, dass Sie heim Hinausgehen die Tür fest hinter sich zuziehen.«

»Ganz bestimmt.« Silas sah ihr nach, wie sie die Stufen hinauf verschwand. Er kniete sich in die erste Bank. Der Bußgürtel schnitt ihm schmerzhaft ins Fleisch.

»Mein Herr und Gott, ich widme dir dieses Werk, das ich heute beginne … «

Hoch oben über dem Kirchenraum spähte Schwester Sandrine im Schatten der Orgelempore durch das Schnitzwerk der Balustrade zu dem Mönch hinunter, der tief unten kniete. Jähe Furcht hatte mit kalter Hand nach ihrer Seele gegriffen. War dieser mysteriöse Besucher der Feind, vor dem man sie gewarnt hatte? War mit der heutigen Nacht jener Augenblick gekommen, die Befehle auszuführen, die sie seit vielen Jahren hütete?

Sandrine beschloss, hier in der Dunkelheit zu warten und jede Bewegung des Besuchers im Auge zu behalten.

20. KAPITEL

Sophie Neveu und Robert Langdon traten aus der Finsternis hervor und schlichen die Grande Galerie hinunter zum Treppenhaus mit dem Notausgang.

Langdon hatte das Gefühl, im Finstern ein Puzzle zusammensetzen zu müssen. Die jüngste Entwicklung dieser mysteriösen Angelegenheit war mehr als beunruhigend.

Der Capitaine will dir einen Mord anhängen.

»Glauben Sie, Fache könnte die Nachricht selbst auf den Boden geschrieben haben?«, flüsterte er Sophie zu.

Sie drehte sich nicht einmal um. »Ach was.«

Langdon war da nicht so sicher. »Er scheint fest entschlossen zu sein, mich zum Mörder abzustempeln. Vielleicht hat er sich überlegt, dass die Beweise gegen mich wasserdicht erscheinen, wenn er meinen Namen auf den Boden schreibt.«

»Die Fibonacci-Folge? Das P.S.? Die Hinweise auf da Vinci und den Weiblichkeits-Symbolismus? Nein, das war nicht Fache. Das kann nur mein Großvater gewesen sein.«