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Selbst die Assoziation des Weiblichen mit der linken Seite ging in die kirchliche Verleumdungskampagne ein. Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich und Italien hat das Wort »links« – gauche und sinistra – einen eindeutig negativen Beiklang, während das Gegenstück »rechts« von Rechtschaffenheit, Korrektheit und Berechtigung nur so strotzt. Bis zum heutigen Tag gilt radikales Denken als linkes Gedankengut. Übles ist link und sinister.

Die Tage der Göttinnen waren vorbei. Das Pendel hatte zur anderen Seite ausgeschlagen. Mutter Erde war zu einer Männerwelt gemacht worden. Die Götter der Zerstörung und des Krieges forderten ihren Tribut. Das männliche Ego hatte zwei Jahrtausende lang ohne den mäßigenden Einfluss seiner weiblichen Ergänzung über die Stränge schlagen können.

Die Bruderschaft von Sion, die Prieuré, vertrat die Überzeugung, dass diese Ausblendung des Weiblichen aus dem modernen Leben die Ursache dessen war, was die Hopi-Indianer Nordamerikas koyanisquatsi nannten – »aus dem Gleichgewicht geratenes Leben« –, eine instabile Situation, die gekennzeichnet ist durch Kriege, eine Überfülle frauenfeindlicher Gesellschaftssysteme und einer wachsenden Missachtung von Mutter Erde.

»Robert!«, flüsterte Sophie und riss Langdon in die Gegenwart zurück. »Da kommt jemand!«

Auf dem Gang waren Schritte zu hören.

»Darüber!«, zischte Sophie und knipste ihren UV-Strahler aus. Sie schien sich vor Langdons Augen in Luft aufzulösen.

Für einen Moment kam Langdon sich blind wie ein Maulwurf vor. Wo rüber? Als er wieder etwas erkennen konnte, war Sophie bereits zur achteckigen Ruhebank in der Mitte des Saales gehuscht und hatte sich dahinter versteckt. Langdon wollte hinterher, doch eine dröhnende Stimme ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren.

»Arrêtez! brüllte ein Mann an der Tür.

Der Wachbeamte des Louvre trat mit gezogener Pistole in den Salle des États. Die Waffe zielte mit tödlicher Genauigkeit auf Langdons Brust.

Langdon hob die Anne.

»Couchez vous!«, befahl der Beamte. »Hinlegen!«

Langdon legte sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Der Wächter eilte herbei und trat ihm die Arme und Beine auseinander, sodass er dalag wie ein aufgespießter Schmetterling.

»Mauvaise idée, Monsieur Langdon«, sagte der Wachmann und bohrte Langdon den Lauf der Pistole in den Rücken. »Eine schlechte Idee!«

Das Gesicht auf dem Parkettboden, die Arme und Beine weit sich gestreckt, fand Langdon die Ironie seiner Lage wenig erheiternd.

Leonardos Proportionsstudie nach Vitruv, dachte er, diesmal andersherum, mit dem Gesicht nach unten.

29. KAPITEL

In der Kirche Saint-Sulpice schleppte Silas den schweren Votiv-Kerzenständer vom Altar zum Obelisken. Der eiserne Leuchterschaft gab einen hervorragenden Rammbock ab. Doch die graue Marmorplatte, unter der sich offenbar ein Hohlraum im Fußboden befand, würde sich kaum ohne gewaltigen Lärm zertrümmern lassen.

Eisen auf Marmor. Es würde wie Donnerschläge von den gewölbten Decken widerhallen.

Ob die Nonne es wohl hören würde? Sie lag bestimmt schon wieder in tiefem Schlaf. Aber es war ein Risiko, das Silas nicht in Kauf nehmen wollte. Er blickte sich suchend nach etwas um, das er um den eisernen Kerzendom des Leuchters wickeln konnte, sah aber nur das Altartuch aus Leinen, das zu entweihen ihm widerstrebte. Deine Kutte, fuhr es ihm durch den Kopf. Da er sich allein in der Kirche aufhielt, knotete er den Gürtelstrick auf und streifte sich die Kutte vom Körper. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, als er sich die Wollfasern des groben Stoffs aus dem frischen Schorf seiner Wunden auf dem Rücken riss.

Nackt bis auf die Unterhose wickelte er die Kutte um den eisernen Kerzendom. Er zielte auf die Mitte der Bodenplatte und stieß zu. Es gab einen dumpfen Schlag, doch die Platte hielt. Wieder stieß er zu. Wieder ein dumpfer Schlag, aber diesmal begleitet von einem Knacken. Beim dritten Stoß brach die Bodenplatte entzwei. Einige Steinsplitter fielen klickend in eine Höhlung im Fußboden.

Ein Versteck!

Rasch entfernte Silas die restlichen Trümmer aus der Öffnung, kniete nieder und spähte in den Hohlraum. Das Blut dröhnte ihm in den Ohren. Er streckte den fahlen Arm aus und griff in die Höhlung.

Zunächst ertastete er nichts als den glatt behauenen, nackten Stein des Bodens. Er reckte sich, bis er mit der Hand weit unter die Rosenlinie greifen konnte. Da war etwas! Eine lose flache Steinplatte. Silas zwängte die Finger um die Kanten der Platte und zog sie vorsichtig heraus. Als er aufstand und seinen Fund ins Licht hielt, sah er auf der roh behauenen Platte eine Inschrift. Einen Moment fühlte er sich wie ein moderner Moses.

Erstaunt betrachtete er die Inschrift. Er hatte erwartet, dass eine Landkarte oder eine komplizierte, möglicherweise verschlüsselte Folge von Anweisungen in den Stein gemeißelt waren, doch die Platte trug nur eine kurze Inschrift.

Hiob, 38:11

Ein Bibelvers? Erneut staunte Silas über die teuflische Raffinesse der Bruderschaft. Sie missbrauchte einen Bibelvers zur Angabe des geheimen Verstecks? In ihrem Spott auf die Gerechten war ihnen offenbar nichts heilig.

Buch Hiob, Kapitel achtunddreißig, Vers elf.

Silas kannte das Buch Hiob nicht auswendig, wusste aber, dass es von einem Mann erzählte, dem Gott zur Erprobung seines Glaubens schwere Prüfungen auferlegt hatte. Das passt. Silas konnte seine Erregung kaum noch zügeln.

Er schaute sich um. Sein Blick folgte der glänzenden Rosenlinie zum Hauptaltar. Er musste lächeln. Dort oben, auf einem vergoldeten Lesepult, lag eine gewaltige, in Leder gebundene Bibel.

Schwester Sandrine stand zitternd auf der Orgelempore. Vor wenigen Augenblicken noch hatte sie die Flucht ergreifen und ihre Befehle ausführen wollen, als der Mann unten im Kirchenraum plötzlich die Kutte ausgezogen hatte. Beim Anblick seiner alabasterweißen Haut war Sandrine ein fürchterlicher Schreck durch die Glieder gefahren. Der breite, bleiche Rücken war mit blutigen Striemen übersät. Sogar aus dieser Entfernung konnte Sandrine erkennen, dass es frische Wunden waren.

Der Mann war brutal gegeißelt worden.

Den Bußgürtel um seinen Oberschenkel, unter dem Blut hervorsickerte, erblickte sie ebenfalls. Was wäre das für ein Gott, der Wohlgefallen an solcher Selbstquälerei hatte? Sandrine würde die Rituale des Opus Dei niemals gutheißen können.

Doch im Moment hatte sie ganz andere Sorgen. Opus Dei ist auf der Suche nach dem Schlussstein! Wie die Organisation an die Information gelangt sein konnte, entzog sich ihrer Vorstellung, und sie hatte auch keine Zeit, eingehender darüber nachzudenken.

Der blutige Mönch hatte inzwischen seine Kutte wieder angezogen und befand sich auf dem Weg zum Altar mit der Bibel, seinen Fund an sich gedrückt.

In atemloser Stille schlich Schwester Sandrine sich von der Empore und eilte über den Gang zu ihrem Zimmer, ging auf alle viere nieder, griff unter ihre hölzerne Bettstatt und zog den versiegelten Umschlag hervor, den sie dort vor Jahren versteckt hatte.

Sie riss ihn auf. Er enthielt vier Pariser Telefonnummern.