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Sophie sah Langdon an. »Und dann haben sie etwas gefunden?«

»Ganz sicher«, erwiderte Langdon. »Nach neun Jahren hielten die Ritter schließlich in Händen, was sie gesucht hatten. Sie bargen den Schatz aus dem Tempel und kehrten nach Europa zurück, wo ihr gewaltiger Einfluss sich praktisch über Nacht etablierte.

Niemand wusste genau, ob die Templer die römische Kirche erpresst hatten oder ob die Kirche ihrerseits versucht hatte, das Schweigen der Ritter zu erkaufen. Papst Innozenz II. jedenfalls erließ umgehend eine päpstliche Bulle, in der er den Templern uneingeschränkte Machtvollkommenheit und Eigengesetzlichkeit zugestand – etwas bis dahin Einmaliges. Damit waren die Templer ein in politischer und religiöser Hinsicht von weltlichen und geistlichen Herrschern unabhängiger Machtfaktor geworden.

Mit dem Freibrief der Kirche ausgestattet, erlebte der Templerorden einen ungeahnten Aufstieg, sowohl was die Zahl seiner Mitglieder anging, wie auch im Hinblick auf seine politische Macht. In mehr als einem Dutzend Ländern häufte der Orden riesigen Grundbesitz an und finanzierte zahlungsunfähig gewordene Königshäuser, was er sich wiederum reich verzinsen ließ. Im Zuge dieser Transaktionen erfand der Orden das moderne Finanzwesen und vergrößerte seinen Reichtum und Einfluss noch mehr.

Mit Beginn des vierzehnten Jahrhunderts war der Templerorden so mächtig geworden, dass Papst Klemens V. beschloss, diese Machtfülle einzuschränken. Nach Absprache mit dem französischen König Philipp IV. inszenierte er eine genial geplante Nacht-und-Nebel-Aktion, mit der er den Templerorden zerschlagen und seine Schätze, vor allem aber das für die Kirche so gefährliche Geheimnis in die Hand bekommen wollte. In einer Kommandooperation, die jedem modernen Geheimdienst zur Ehre gereicht hätte, ließ Papst Klemens den Streitkräften Philipps Geheimbefehle zugehen, die am Freitag, dem dreizehnten Oktober 1307, in einer genau abgestimmten Aktion in ganz Europa ausgeführt wurden.

Im Morgengrauen dieses Tages wurden die päpstlichen Geheimbefehle entsiegelt und ihr alarmierender Inhalt enthüllt. Papst Klemens V. behauptete in seinem Schreiben, Gott sei ihm in einer Vision erschienen und habe ihm offenbart, die Tempelritter seien abtrünnige Ketzer und der Teufelsanbetung schuldig. Sie entweihten das Kreuz, hieß es, und huldigten der Homosexualität, Sodomie und anderen blasphemischen Praktiken. Gott habe ihm, Klemens, aufgetragen, die Erde von diesem Übel zu befreien. Auf Gottes Geheiß solle er sämtliche Tempelritter dingfest machen und der Folter übergehen, bis sie ihre schändlichen Verbrechen gegen Gott gestanden hätten.

Die Aktion des Papstes lief mit der Präzision eines Uhrwerks ab. An jenem dreizehnten Oktober wurden zahllose Tempelritter gefangen genommen, grausam gefoltert und anschließend als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Die Tragödie klingt bis in unsere Zeit nach, denn noch heute gilt Freitag der Dreizehnte als Unglückstag.«

Sophie blickte Langdon verwirrt an. »Die Tempelritter wurden vernichtet? Ich dachte, es gäbe heute noch Templerbruderschaften.«

»Sie existieren noch, ja – unter einer Vielzahl von Namen. Die Tempelritter hatten mächtige Verbündete. Trotz der falschen Anschuldigungen und der Bemühungen von Papst Klemens, sie völlig zu vernichten, gelang es einigen von ihnen, zu entkommen.

Papst Klemens' eigentliches Ziel hatte darin bestanden, den Dokumentenfund der Tempelritter, ihre Quelle der Macht, in die Hand zu bekommen, doch der Schatz blieb verschwunden: Die Dokumente waren zuvor schon in die Obhut der geheimnisvollen Gründungsväter des Templerordens gegeben worden, der Prieuré de Sion, die sie dem Zugriff des Papstes zu entziehen wussten. Als sich der Vernichtungsschlag des Papstes abzeichnete, hatte die Prieuré die Dokumente aus dem Pariser Ordenshaus der Templer bei Nacht und Nebel heimlich nach La Rochelle geschafft und auf Schiffe des Ordens verladen.«

»Und wo sind die Dokumente geblieben?«

Langdon zuckte die Achseln. »Das weiß nur die Prieuré de Sion. Nach wie vor wird über diese Dokumente spekuliert. Sie sind bis zum heutigen Tag Gegenstand der Forschung und der Spekulationen. Man nimmt an, dass sie mehrere Male an andere Orte verbracht wurden. Derzeit vermutet man sie irgendwo in Großbritannien.

Seit tausend Jahren ranken sich Legenden um dieses Geheimnis. Die Gesamtheit der Dokumente, ihre Machtfülle und das darin enthaltene Geheimnis verdichten sich in einem einzigen Begriff – Sangreal, wie es in der ursprünglichen französischen Sprache heißt. Nur wenige Geheimnisse haben in solchem Maße das Interesse der Historiker geweckt. Hunderte von Büchern sind schon über dieses Rätsel geschrieben worden.«

»Sangreal?«, sagte Sophie erstaunt. »Hat das etwas mit dem französischen Wort sang oder dem spanischen sangre für ›Blut‹ zu tun!«

Langdon nickte. Beim Sangreal ging es in der Tat in erster Linie um Blut, doch in einer gänzlich anderen Bedeutung, als Sophie vermutlich annahm. »Die Zusammenhänge sind kompliziert, aber der Kern der Sache ist, dass die Prieuré Dokumente in Händen hat und hütet. Vermutlich wartet sie einen geeigneten historischen Moment ab, um die Wahrheit zu enthüllen.«

»Was für eine Wahrheit? Was für ein Geheimnis könnte so machtvoll sein?«

Langdon seufzte und schaute wieder hinaus in die Schattenwelt, in der sich der Unterleib von Paris räkelte.

»Sophie, das Wort Sangreal ist sehr alt. Es hat sich im Lauf der Zeit verändert, zu einer moderneren Bezeichnung.« Er hielt inne. »Wenn ich Ihnen diese moderne Bezeichnung verrate, werden Sie erkennen, dass sie Ihnen längst bekannt ist – wie überhaupt fast jeder schon einmal die Legende des Sangreal gehört hat.«

Sophie sah ihn skeptisch an. »Ich nicht.«

»O doch, Sie auch«, sagte Langdon und lächelte. »Oder kennen Sie nicht die Legende vom Heiligen Gral?«

38. KAPITEL

Sophie sah Langdon fassungslos an. »Der Heilige Gral?«

Langdon nickte. Er sah nicht aus wie jemand, der sich einen Spaß erlaubte. »Der Heilige Gral ist die wörtliche Übersetzung von Sangreal. Das Wort kommt vom französischen Sangraal, aus dem es sich entwickelt hat. Im Lauf der Zeit sind zwei Wörter daraus geworden, nämlich San Greal, wobei San bekanntlich ›heilig‹ heißt.«

Der Heilige Gral. Sophie ärgerte sich, dass sie nicht gleich die Wortverwandtschaft erkannt hatte. Trotzdem konnte sie in Langdons Erklärung wenig Sinn erkennen. »Ich dachte immer, der Heilige Gral sei ein Kelch, und nun behaupten Sie, der Gral … Sangreal … sei eine Sammlung von Dokumenten, in denen ein uraltes, düsteres Geheimnis verborgen ist.«

»Das stimmt, aber die Sangreal-Dokumente sind nur die eine Hälfte des Gralsschatzes. Sie sind zusammen mit dem Gral irgendwo vergraben … und erst durch sie enthüllt sich seine wahre Bedeutung. Nur weil sich erst durch die Dokumente die eigentliche Natur des Grals zeigt, konnten die Tempelritter diese Machtfülle erlangen.«

Die eigentliche Natur des Grals? Sophie war völlig verwirrt. Sie hatte immer gedacht, der Heilige Gral sei der Kelch, aus dem Jesus beim Letzten Abendmahl getrunken hatte und in dem Joseph von Arimatäa später das Blut des Gekreuzigten aufgefangen hatte. »Der Heilige Gral ist der Abendmahlskelch Christi«, sagte sie. »Was könnte einfacher sein?«