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Ein schlaksiger Polizeibeamter stieg aus und gab ihm Zeichen, anzuhalten.

Vernet stoppte. Er zog die Mütze noch tiefer in die Stirn und bemühte sich, so lässig-kumpelhaft zu wirken, wie seine kultivierte Erziehung es zuließ. Aufs Lenkrad gelehnt, kurbelte er die Scheibe herunter und schaute auf den Polizisten hinab, der ihn aus fahlen Augen misstrauisch anblickte.

»Was 'n los?«, fragte Vernet.

»Leutnant Collet, Police judiciaire«, stellte der Beamte sich vor und zeigte auf den Frachtraum. »Was haben Sie geladen?«

»Fragen Sie mich was Leichteres«, sagte Vernet im beiläufigsten Tonfall, den er zustande brachte. »Bin nur der Fahrer.«

Collet ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Wir fahnden nach zwei Verbrechern.«

Vernet lachte auf. »Da sind Sie hier richtig. Wenn Sie mich fragen, sind das alles Verbrecher. Für diese Typen muss unsereiner für 'nen verdammten Hungerlohn den Hals riskieren … «

Der Beamte hielt ihm ein Fahndungsfoto von Robert Langdon hin. »Ist dieser Mann heute in der Bank gewesen?«

Vernet zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Bin bloß Fahrer. Wo die stinkreiche Kundschaft rumläuft, darf unsereins nicht hin. Gehen Sie mal vorn rein und fragen die Jungs vom Empfang.«

»Die Geschäftsführung verlangt einen Durchsuchungsbefehl, sonst kommen wir nicht in die Bank rein.«

Vernet schaute den Polizisten angewidert an. »Diese Korinthenkacker.«

»Machen Sie den Laderaum auf.« Collet klopfte mit der flachen Hand an die Seitenwand.

Vernet schaute ihn groß an. »Wie bitte? Hinten aufmachen? Sie sind gut!« Er lachte bitter auf. »Wie kommen Sie auf die grandiose Idee, ich hätte für hinten einen Schlüssel? Glauben Sie etwa, die Chefs würden uns über den Weg trauen, bei den paar Kröten, die sie uns zahlen?«

Der Beamte legte skeptisch den Kopf schief. »Wollen Sie mir erzählen, Sie hätten keinen Schlüssel für Ihren eigenen Lieferwagen?«

Vernet schüttelte den Kopf. »Nicht für den Laderaum. Nur für die Fahrertür und die Zündung, Der Fahrer hat mit der Ladung nichts zu tun. Unsereins weiß nie, was die uns da hinten reinpacken. Die Wagen werden im Ladebereich von einer Aufsichtsperson verschlossen. Dann werden die Schlüssel mit dem PKW eigens zum Kunden gefahren. Der Transporter muss solange in der Bank warten. Erst wenn der Anruf gekommen ist, dass die Schlüssel beim Kunden sind, darf ich losfahren, keine Sekunde früher.«

»Wann wurde Ihr Fahrzeug verschlossen?«

»Muss vor Stunden gewesen sein. Ich hab eine lange Tour bis hinter Rennes. Nach St. Thurial, um genau zu sein.«

Der Beamte sah Vernet mit unbewegtem Blick an, als versuche er, ihm hinter die Stirn zu schauen.

Ein Schweißtropfen kullerte an Vernets Nase herunter. Er wischte ihn mit dem Jackenärmel fort. »Noch was?«, sagte er, »Meine Tour ist knapp geplant.«

»Tragen eigentlich alle Fahrer eine Rolex?«, sagte Collet und deutete auf Vernets Handgelenk.

Das Armband von Vernets Luxusuhr blitzte unter der Manschette seiner Fahrerjacke hervor. »Diese Zwiebel? Hat mir ein Taiwanese in St. Germain des Prés für fünfzig Euro angedreht. Für vierzig Mäuse können Sie das Ding haben.«

Der Beamte war immer noch unschlüssig. »In Ordnung«, sagte er schließlich und trat beiseite. »Gute Fahrt.«

Verriet wagte erst hundert Meter weiter aufzuatmen. Doch jetzt hatte er ein weiteres Problem. Seine Passagiere.

Wohin mit ihnen?

46. KAPITEL

Silas lag ausgestreckt auf der Segeltuchmatte in seinem Zimmer. Das Blut auf seinem gegeißelten Rücken gerann allmählich. Nach der zweiten Geißelung am heutigen Tag fühlte er sich benommen und schwach. Auch den Bußgürtel hatte er noch nicht abgelegt. Er spürte das warme Blut an der Innenseite des Oberschenkels, doch für die Beendigung der Marter war es noch zu früh.

Du hast vor der Kirche versagt.

Schlimmer noch, du hast vor Bischof Aringarosa versagt.

Die heutige Nacht hätte dem Bischof die Erlösung bringen sollen. Vor fünf Monaten war er entmutigt von einer Sitzung im vatikanischen Observatorium zurückgekehrt. Nach wochenlanger Niedergeschlagenheit hatte er sich schließlich Silas anvertraut.

»Aber das ist völlig unmöglich!«, hatte Silas fassungslos gerufen.

»Trotzdem ist es wahr«, hatte Aringarosa erwidert. »Unglaublich, aber wahr. In sechs Monaten schon.«

Die Worte des Bischofs hatten Silas in Furcht und Schrecken versetzt. Er betete um Erlösung. Selbst in jenen dunklen Tagen war sein Vertrauen in Gott und den Weg nie schwankend geworden. Und einen Monat später waren – o Wunder! – die dunklen Wolken des Unheils aufgerissen und hatten den Lichtstrahl der Hoffnung hindurchscheinen lassen.

Eine göttliche Intervention hatte Aringarosa gesagt. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er wieder Hoffnung geschöpft. »Silas«, hatte er geflüstert, »Gott hat uns eine Möglichkeit aufgezeigt, den Weg zu schützen. Wie jeder Kampf wird auch dieser Opfer fordern. Möchtest du ein Kämpfer Gottes sein?«

Silas war vor Bischof Aringarosa – dem Mann, der ihm ein neues Leben geschenkt hatte – auf die Knie gefallen. »Ich bin ein Schäflein Gottes«, hatte er gesagt. »Seid mein Hirte, ganz wie Euer Herz es Euch befiehlt.«

Als Aringarosa ihm den möglichen Ausweg erläutert hatte, war Silas sofort klar geworden, dass Gottes Hand im Spiel gewesen sein musste. Aringarosa hatte für Silas die Verbindung zu jenem Mann hergestellt, der sich selbst der Lehrer nannte. Silas und der Lehrer waren einander zwar nie von Angesicht zu Angesicht begegnet, doch nach jedem Telefonat hatten die unermesslichen Kenntnisse und die immense Machtfülle des Lehrers Silas stets aufs Neue mit Ehrfurcht erfüllt. Der Lehrer schien alles zu wissen, schien die Augen und Ohren überall zu haben. Wie der Lehrer an seine Informationen gelangte, wusste Silas nicht, doch Aringarosa hatte sein ganzes Vertrauen in den Lehrer gesetzt und Silas aufgefordert, dies ebenfalls zutun. »Tue alles, was der Lehrer von dir verlangt«, hatte der Bischof zu Silas gesagt. »Dann werden wir obsiegen.«

Obsiegen. Silas starrte auf den nackten Fußboden vor sich. Der Sieg war ihnen durch die Finger geronnen. Der Lehrer war übertölpelt worden. Der Schlussstein hatte sich als trügerische Chimäre erwiesen – als Täuschung, an der alle Hoffnung zuschanden geworden war.

Silas wünschte sich, er könnte Bischof Aringarosa anrufen, um ihn zu warnen, aber der Lehrer hatte heute Nacht sämtliche direkten Verbindungen zum Bischof gekappt. Zu Ihrer eigenen Sicherheit.

Schließlich, nachdem er seine Skrupel niedergerungen hatte, kroch Silas auf allen vieren zu seiner Kutte, die auf dem Boden lag, und zog das Handy aus der Tasche. Mit hängendem Kopf wählte er die Nummer.

»Verehrter Lehrer«, flüsterte er in den Apparat, »alles ist verloren. Man hat uns hereingelegt.« Er berichtete in allen Einzelheiten, was geschehen war.

»Sie werfen die Flinte zu schnell ins Korn«, tadelte der Lehrer. »Soeben hat mich eine Nachricht erreicht – eine unerwartete und sehr willkommene Nachricht. Das Geheimnis lebt noch. Jacques Saunière hat es vor seinem Tod weitergegeben. Sie werden bald von mir hören. Unsere Arbeit ist noch nicht beendet.«

47. KAPITEL

Der schwach beleuchtete Laderaum des Geldtransporters war so etwas wie eine Einzelzelle auf Rädern. Langdon kämpfte mit den nur allzu vertrauten Symptomen seiner Platzangst, die ihn in beengten Raunen stets überfiel. Vernet hat gesagt, er will uns in sicherer Entfernung draußen vor der Stadt absetzen. Aber wo? Und wie weit draußen!

Vom langen Sitzen waren Langdon die Beine eingeschlafen. Er änderte die Körperhaltung. Mit einem Gefühl, als würden ihm tausend glühende Nadeln ins Fleisch gestochen, schoss das Blut in seine tauben Gliedmaßen. In den Armen hielt er immer noch das merkwürdige Schatzkästchen aus dem Banktresor.