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In diesem Moment flammten im gesamten Schloss die Lichter auf.

Statt vor dem Eingang vorzufahren, steuerte Langdon den Transporter auf einen Parkplatz, der sich hinter immergrünen Sträuchern verbarg. »Es muss ja nicht gleich jeder den Wagen von der Straße aus sehen können … und Leigh soll sich nicht wundern müssen, weshalb wir in einem ramponierten Geldtransporter vorfahren.«

Sophie nickte. »Was sollen wir mit dem Kryptex machen? Es hier draußen lassen, wäre nicht besonders klug, aber wenn Teabing es zu sehen bekommt, wird er vermutlich wissen wollen, was es ist.«

»Kein Problem«, sagte Langdon und zog beim Aussteigen das Jackett aus. Er wickelte es um das Kästchen und hielt das Bündel wie ein Baby in den Armen.

Sophie blickte ihn zweifelnd an. »Sehr unauffällig!«

»Teabing geht nie selbst an die Tür. Er macht lieber einen großen Auftritt. Bis er uns begrüßen kommt, werde ich drinnen schon ein Eckchen gefunden haben, wo ich das Kryptex verschwinden lassen kann.« Langdon hielt inne. »Bevor Sie Teabing gegenübertreten, sollte ich Sie vielleicht vor seinem Humor warnen. Manche Leute finden ihn ein wenig … nun ja, merkwürdig.«

Sophie bezweifelte, dass ihr nach dem Verlauf dieser Nacht überhaupt noch etwas merkwürdig vorkommen würde.

Ein gepflasterter Weg führte zum Haupteingang. An dem geschnitzten Portal aus Eiche und Kirschholz befand sich ein bronzener Türklopfer von der Größe einer Grapefruit. Als Sophie die Hand danach ausstreckte, wurde von innen geöffnet.

Ein elegant gekleideter Butler stand vor ihnen. Die Arroganz stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er zupfte noch an seiner weißen Fliege und dem Smoking, die er augenscheinlich soeben angelegt hatte. Er mochte um die fünfzig sein. Auf seinen Zügen lag ein herablassender Ausdruck, der wenig Zweifel daran ließ, dass er über den Besuch wenig erfreut war.

»Sir Leigh wird sich sogleich herunterbemühen«, sagte er mit starkem französischen Akzent. »Er ist noch mit dem Ankleiden beschäftigt. Sir Leigh schätzt es gar nicht, Besucher im Morgenmantel zu empfangen. Darf ich dem Herrn das Jackett abnehmen?« Er bedachte das Tweedbündel in Langdons Armen mit einem abfälligen Blick.

»Danke. Ich komme schon zurecht.«

»Der Herr kommt zurecht. Gewiss. Hier entlang, bitte.« Der Butler führte sie durch ein prächtiges Marmorvestibül in einen mit erlesenem Geschmack ausgestatteten Salon. Viktorianische Lampen mit fransenbesetzten Schirmen spendeten gedämpftes Licht. Ein Duftbukett aus Pfeifentabak, feinem Tee und Sherry vermischte sich mit dem Geruch von Edelholz und dem erdigen Aroma des alten Mauerwerks. Es roch nach guter alter Zeit. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein gemauerter Kamin, in dem man einen Ochsen hätte braten können; er wurde von zwei schimmernden Kettenpanzern flankiert. Der Butler kniete davor nieder und steckte mit einem Zündholz die Kienspäne und Eichenscheite an. Kurz darauf prasselte in dem riesigen Kamin ein behagliches Feuer.

Der Butler erhob sich. »Sir Leigh lässt Ihnen sagen, Sie sollen sich wie zu Hause fühlen«, gab er zu wissen, entfernte sich und ließ Sophie und Langdon allein.

Sophie überlegte, auf welche der Antiquitäten am Kamin sie sich setzen sollte – das Samtsofa im Renaissancestil, den Schaukelstuhl mit den Adlerklauen oder auf eine der beiden steinernen Bänke, die wie Beutestücke aus einer byzantinischen Basilika aussahen.

Langdon wickelte das Kästchen aus seinem Jackett, trat an das Renaissancesofa und schob es mit dem Fuß weit unter das Sitzmöbel, bis kein Zipfel mehr davon zu sehen war. Dann schüttelte er das Jackett aus, schlüpfte hinein, strich das Revers glatt, lächelte Sophie an und ließ sich genau über dem verborgenen Schatz nieder.

Sophie setzte sich neben Langdon aufs Sofa.

Während sie in die knisternden Flammen schaute und die wohlige Wärme genoss, musste Sophie daran denken, dass dieser Raum ihrem Großvater sehr gut gefallen hätte. Mehrere alte Meister hingen an den Wänden, darunter ein Gemälde von Nicolas Poussin, wie Sophie erkannte, dem Lieblingsmaler Nummer zwei ihres Großvaters. Auf dem Kaminsims stand eine Isisbüste aus Alabaster und wachte still über den Raum.

Unter der ägyptischen Göttin ragten zwei steinerne Wasserspeier als Halterungen für den Bratspieß in den Feuerraum des Kamins. Durch die aufgerissenen Mäuler konnte man in ihren gefräßigen Schlund blicken. Als Kind hatte Sophie sich vor Wasserspeiern stets gefürchtet, bis ihr Großvater sie eines Tages bei einem Wolkenbruch aufs Dach der Kathedrale von Nôtre-Dame geführt hätte. »Prinzessin, sieh dir nur diese albernen Geschöpfe an«, hatte er gesagt und auf die hässlichen Wasserspeier gezeigt, aus deren Mäulern in dickem Strahl das Wasser schoss. »Hörst du das komische Geräusch in ihrem Schlund?« Sophie nickte. »Sie gurgeln–, hatte Großvater gesagt, »und weil du schön Englisch lernen sollst, will ich dir verraten, wie Wasserspeier auf Englisch heißen: gargoyle.« Sophie hatte sich nie wieder vor einem Wasserspeier gefürchtet.

Diese Kindheitserinnerung prallte auf die harte Realität des Mordes, und die Trauer versetzte Sophie einen Stich. Grand-père ist tot. Dann dachte sie an das Kryptex unter dem Sofa. Ob Leigh Teabing eine Idee hatte, wie man es aufbekam? Oder sollen wir ihn lieber gar nicht erst fragen? Mit seinen letzten Worten hatte der Großvater sie aufgefordert, Robert Langdon zu suchen – von der Einbeziehung eines Dritten war nicht die Rede gewesen. Aber wir mussten schließlich irgendwo unterkriechen, beruhigte sich Sophie und beschloss, auf Roberts Urteil zu vertrauen.

»Robert!«, dröhnte eine Stimme irgendwo aus dem Hintergrund. »Sie reisen in Damenbegleitung, wie ich sehe.«

Langdon erhob sich, Sophie ebenfalls. Die Stimme war vom oberen Ende einer Wendeltreppe gekommen, die sich in die Düsternis des ersten Stocks hinaufschraubte. Eine silhouettenhafte Gestalt bewegte sich oben im Dunkel.

»Guten Abend!«, rief Langdon hinauf. »Sir Leigh, darf ich Ihnen meine Begleiterin vorstellen, Mademoiselle Sophie Neveu?«

»Ich bin entzückt!«

»Vielen Dank, dass Sie uns die Ehre geben«, sagte Sophie, die jetzt erkannte, dass der Mann Beinschienen trug und an Krücken ging. Umständlich kam er Stufe um Stufe die Treppe herunter. »Es ist leider schon spät.«

»Meine Liebe, es ist so spät, dass es schon wieder früh ist.« Teabing lachte auf. »Sie sind wohl keine Américaine

Sophie schüttelte den Kopf. »Parisienne.«

»Sie sprechen ein ausgezeichnetes Englisch.«

»Vielen Dank. Ich habe am Royal Halloway studiert.«

»Das erklärt alles.« Teabing kam immer mehr ins Helle heruntergehinkt. »Wie Robert Ihnen vielleicht schon erzählt hat, habe ich ein Stückchen weiter die Straße hinunter in Oxford studiert.« Verschlagen grinsend fixierte er Langdon. »Ich hatte mich natürlich auch in Harvard eingeschrieben – falls ich es in Oxford nicht schaffen sollte.«

Sophies und Langdons Gastgeber war nun am Fuß der Wendeltreppe angelangt. Er wirkte auf Sophie nicht ritterlicher als Sir Elton John. Leigh Teabing war ein wenig dicklich und hatte rosige Haut, buschiges rotes Haar und haselnussbraune Augen, in denen es schelmisch aufblitzte, wenn er sprach. Er trug eine Hose mit messerscharfer Bügelfalte, ein weites Seidenhemd, darüber eine Weste mit Paisleymuster. Ungeachtet der Aluminiumschienen an den Beinen besaß seine Haltung etwas unerschütterlich Aufrechtes, was wohl eher seiner vornehmen Abkunft als bewusstem Bemühen entsprang.

Teabing trat auf Langdon zu und streckte ihm jovial die Hand entgegen. »Sie haben Gewicht verloren, Robert.«

»Und Sie haben zugenommen.« Langdon grinste.

Lachend tätschelte Teabing seinen Bauch. »Touché. Ich fürchte, meine einzigen fleischlichen Sünden sind heutzutage kulinarischer Art.« Teabing wandte sich Sophie zu, nahm ihre Hand und hauchte mit leicht geneigtem Kopf und abgewendetem Blick einen Kuss auf ihre Finger. »M'lady … «