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»Wieso das?«

»Weil Jesus Jude war«, schaltete Langdon sich ein, während Teabing immer noch auf seinem Wühltisch stöberte. »Nach den Anstandsregeln der damaligen Zeit war es einem jüdischen Mann praktisch verboten, unverheiratet zu bleiben. Ein zölibatäres Leben war nach jüdischem Brauch undenkbar. Ein Mann musste eine Frau ehelichen, die ihm einen Sohn gebar. Wäre Jesus unverheiratet gewesen, hätte das in mindestens einem der vier Evangelien erwähnt und sein unnatürliches Junggesellentum irgendwie erklärt werden müssen.«

Endlich hatte Teabing gefunden, was er suchte. Er zog einen federgebundenen Folianten von der Größe eines Weltatlas über den Tisch zu sich herüber. Die gnostischen Evangelien stand auf dem Buchdeckel. Teabing schlug das Werk auf. Sophie konnte vergrößerte Fotoreproduktionen von offenbar uralten Dokumenten erkennen – in Auflösung begriffene Papyri mit handgeschriebenem Text. Die Sprache der alten Handschrift war Sophie nicht geläufig, doch die Übersetzung stand jeweils auf der rechten Seite in Maschinenschrift daneben.

»Das sind Fotokopien der bereits erwähnten Schriftrollen von Nag Hammadi und vom Toten Meer«, sagte Teabing, »die frühesten Dokumente des Christentums. Fatalerweise enthalten sie zahlreiche Widersprüche zu den Evangelien des Neuen Testaments.« Teabing blätterte zur Mitte des Buches und zeigte auf einen Abschnitt. »Das Evangelium des Philippus ist stets ein guter Ausgangspunkt.«

Sophie las den Abschnitt:

Und die Gefährtin des Erlösers war Maria Magdalena. Christus liebte sie mehr als seine Jünger und küsste sie oft auf den Mund. Die Jünger waren darüber erzürnt und verliehen ihrer Enttäuschung Ausdruck. Sie sprachen zu ihm: Warum liebst du sie mehr als uns?

Sophie fand den Text zwar überraschend, aber besonders beweiskräftig war er in ihren Augen nicht. »Von einer Ehe steht hier aber nichts«, meinte sie.

»Au contraire!« Lächelnd deutete Teabing auf die erste Zeile. »Jeder, der des Aramäischen mächtig ist, wird Ihnen bestätigen, dass das Wort Gefährtin in jenen Tagen nichts anderes als Ehefrau bedeutet hat.«

Langdon nickte bestätigend.

Sophie las die Zeile noch einmal. Und die Gefährtin des Erlösers war Maria Magdalena.

Teabing blätterte weiter und wies mehrmals auf Abschnitte hin, aus denen zu Sophies Verblüffung eindeutig hervorging, dass Jesus und Maria Magdalena ein Liebesverhältnis hatten. Beim Lesen der Textpassagen kam Sophie die Erinnerung an den Besuch eines echauffierten Geistlichen, der damals – es war noch während ihrer Schulzeit – zornig an die Tür ihres Großvaters gepocht hatte.

Sophie hatte dem Mann geöffnet. »Wohnt hier ein gewisser Jacques Saunière?«, hatte der geistliche Herr sie angeschnauzt. »Ich werde diesen Schmierfinken zur Rede stellen! Er hat diesen Artikel hier verbrochen!« Der Geistliche wedelte mit einer Zeitung.

Sophie hatte den Großvater herbeigerufen, der mit dem Besucher in seinem Arbeitszimmer verschwand und die Tür hinter sich schloss. Großvater hat etwas in der Zeitung geschrieben? Sophie war sofort in die Küche geflitzt und hatte die Morgenzeitung durchgeblättert. Schon auf der zweiten Seite war sie auf den mit dem Namen des Großvaters gezeichneten Artikel gestoßen und hatte ihn gelesen. Zwar hatte sie nicht alles verstanden, aber es ging vor allem darum, dass die französischen Behörden unter dem Druck der katholischen Geistlichkeit einen amerikanischen Spielfilm mit dem Titel »Die letzte Versuchung Christi« verboten hatten, weil Jesus in diesem Film mit einer gewissen Maria Magdalena eine Bettszene hatte. Sophies Großvater hatte in dem Artikel geschrieben, die Kirche nähme sich zu viel heraus; außerdem sei es eine engstirnige Torheit, den Film zu verbieten.

Kein Wunder, dass der Priester kurz vor einem Tobsuchtsanfall steht, hatte Sophie gedacht.

»Das ist Pornographie! Gotteslästerung ist das!«, hatte der empörte geistliche Herr geschrien, als er aus dem Arbeitszimmer zur Tür gestürmt war. »Wie können Sie sich hinter ein solches Machwerk stellen? Dieser Scorsese ist ein Schandmaul, ein Gotteslästerer! Er kann sich in ganz Frankreich auf das Kanzelwort der Kirche gefasst machen!« Mit diesen Worten hatte er die Tür hinter sich zugeknallt.

Als Großvater in die Küche gekommen war, hatte er Sophie mit der Nase in der Zeitung ertappt. »Du verlierst wirklich keine Sekunde«, hatte er stirnrunzelnd bemerkt.

»Glaubst du, dass Jesus eine Freundin hatte?«, hatte Sophie gefragt.

»Nein, Liebes. Ich habe nur gesagt, dass die Kirche nicht darüber entscheiden sollte, was wir denken dürfen und was nicht.«

»Aber hatte Jesus denn eine Freundin oder nicht?«

Der Großvater hatte ein paar Augenblicke geschwiegen. »Wäre es denn so schlimm, wenn er eine Freundin gehabt hätte?«

Sophie hatte kurz darüber nachgedacht und dann die Achseln gezuckt. »Wäre mir egal.«

»Ich möchte Sie nicht mit endlosen Verweisen auf die Verbindung von Jesus und Maria Magdalena langweilen«, sagte Sir Leigh. »Die moderne Geschichtswissenschaft hat das bis zum Überdruss durchexerziert. Aber ich möchte Ihnen gern Folgendes zu lesen geben.« Er wies auf eine soeben aufgeschlagene Passage. »Das ist aus dem Evangelium der Maria Magdalena.«

Sophie hatte gar nicht gewusst, dass es ein solches Evangelium überhaupt gab. Sie las:

Und Petrus sagte: »Hat der Heiland wirklich ohne unser Wissen mit einer Frau gesprochen? Sollen wir uns ihr zuwenden? Sollen wir auf ihre Worte hören? Zieht Jesus sie uns vor?«

Und Levi antwortete ihm: »Petrus, du bist stets voller Jähzorn gewesen. Und nun muss ich sehen, dass du dich gegen diese Frau erhebst wie gegen einen Feind. Gewiss kennt der Erlöser sie sehr gut. Darum liebt er sie mehr als uns.«

»An dieser Stelle ist von Maria Magdalena die Rede«, erklärte Teabing. »Petrus ist eifersüchtig auf sie.«

»Weil Jesus Maria Magdalena ihm vorgezogen hat?«

»Es steckt viel mehr dahinter. Es ist jene Stelle des Evangeliums, an der Jesus argwöhnt, dass er bald gefangen genommen und gekreuzigt wird. Aus diesem Grund erteilt er Maria Magdalena Anweisungen, wie sie seine Kirche nach seinem Tod weiterführen soll, mit dem Ergebnis, dass Petrus ungehalten wird, weil er die zweite Geige hinter einer Frau spielen soll. Ich wage zu behaupten, dass Petrus ein Macho gewesen ist.«

Sophie versuchte, nicht den Anschluss zu verlieren, so viel stürmte auf sie ein. »Reden wir hier vom heiligen Petrus, dem Fels, auf den Christus seine Kirche bauen wollte?«

»Genau – bis auf eine Kleinigkeit. Nach Aussage jener alten unverfälschten Evangelien hat Christus nicht Petrus zum Sachwalter seiner Kirche eingesetzt, sondern Maria Magdalena.«

Sophie sah ihn an. »Dann sollte die Kirche Christi von einer Frau fortgeführt werden?«

»Das war Jesu Absicht. Jesus war sozusagen der erste Feminist. Er wollte, dass die Zukunft seiner Kirche in den Händen von Maria Magdalena liegt.«

»Und das hat Petrus nicht gefallen«, sagte Langdon und deutete auf das Bild vom Abendmahl, »Schauen Sie ihn sich an. Man kann deutlich sehen, dass da Vinci sehr genau wusste, was Petrus von Maria Magdalena hielt.«

Wieder einmal war Sophie sprachlos. Der Apostel Petrus beugte sich zu Maria Magdalena vor und vollführte mit der Hand eine drohende Geste, als wolle er ihr die Kehle durchschneiden. Die gleiche Drohgebärde, wie Uriel sie auf Leonardos Felsgrottenmadonna zeigt.