Teabing hob die Hand zu einem theatralischen Schwur. »Euer Ehren, vergeben Sie einem exzentrischen alten Ritter seine hohe Meinung von der britischen Justiz. Ich gebe zu, ich hätte die französische Polizei rufen müssen, aber für mich als britischen Snob ist das laissez-faire der Franzosen unerträglich. Ich traue ihren Strafverfolgungsbehörden nicht über den Weg. Dieses Ungeheuer hätte mich um ein Haar ins Jenseits befördert, ja, es war übereilt, dass ich meinen Butler veranlasst habe, mir zu helfen, den Mann nach England zu bringen, aber ich stand unter gewaltigem Stress. Mea culpa.«
Langdon blickte Teabing zweifelnd an. »Weil Sie es sind, Sir Leigh, kommen Sie vielleicht mit einem blauen Auge davon.«
»Sir?«, erklang die Lautsprecherstimme des Piloten in der Kabine. »Der Tower hat sich soeben gemeldet. An Ihrem Hangar gibt es ein technisches Problem. Ich soll stattdessen zum Empfangsgebäude rollen.«
Teabing hatte Biggin Hill seit mehr als zehn Jahren angeflogen, und so etwas war noch nie passiert. »Hat der Tower gesagt, worin das Problem besteht?«
»Nicht genau. Irgendwas von einem Leck an der Tankstation. Ich soll die Maschine vor dem Empfangsgebäude parken und niemand von Bord lassen, bis ich neue Informationen bekomme. Eine Vorsichtsmaßnahme. Jedenfalls soll niemand aussteigen, bis wir vom Tower grünes Licht haben.«
Teabing war skeptisch. Das musste ja ein gewaltiges Leck sein. Die Tankstation befand sich fast einen Kilometer vom Hangar entfernt.
Auch Rémy blickte besorgt drein. »Das erscheint mir höchst außergewöhnlich, Sir.«
Teabing wandte sich an Sophie und Langdon. »Meine Freunde, ich habe den unguten Verdacht, dass uns ein Begrüßungskomitee erwartet.«
Langdon seufzte. »Ich fürchte, Fache hält mich immer noch für seinen Mann.«
»Entweder das«, meinte Sophie, »oder er hat sich so weit in die Sache verrannt, dass er nicht mehr zurück kann.«
Teabing war mit den Gedanken woanders. Egal was Fache vermutete – jetzt musste schnell etwas geschehen. Du darfst das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren. Den Heiligen Gral. Wir haben es fast geschafft.
Das Fahrwerk wurde ausgefahren und rastete rumpelnd ein.
»Sir Leigh«, sagte Langdon mit ehrlichem Bedauern in der Stimme, »ich sollte mich den Behörden stellen und die Geschichte auf legale Weise zu Ende bringen. Ich habe euch alle schon tief genug hineingezogen.«
»Du lieber Himmel, Robert!« Teabing hob abwehrend die Hände. »Glauben Sie wirklich, man würde uns einfach so gehen lassen? Ich habe Sie illegal außer Landes geschafft, und Miss Neveu hat Ihnen zur Flucht aus dem Louvre verholfen, und da hinten liegt ein gefesselter Mann im Flugzeug. Wir stecken alle bis zum Hals mit drin!«
»Wie wär's mit einem anderen Flugplatz?«, sagte Sophie.
Teabing schüttelte den Kopf. »Wenn wir jetzt wieder hochziehen und woanders heruntergehen, ist dort bis zur Landung die Armee mit Panzern aufgefahren.« Um sich die britischen Behörden so lange vom Hals zu halten, bis der Gral gefunden war, half nur noch ein kühner Entschluss. »Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte Teabing und hinkte zum Cockpit.
»Was haben Sie vor?«, wollte Langdon wissen.
»Ich muss ein Verkaufsgespräch führen.« Teabing fragte sich, wie tief der Griff in seine Tasche wohl ausfallen musste, um dem Piloten ein höchst regelwidriges Manöver schmackhaft zu machen.
81. KAPITEL
Die Hawker befand sich im Landeanflug.
Simon Edwards, Chef der Betreibergesellschaft des Flugplatzes Biggin Hill, tigerte im Kontrollturm auf und ab und schaute immer wieder nervös auf die regennasse Landebahn hinaus. Er schätzte es gar nicht, an einem Samstagmorgen in aller Frühe aus dem Bett geklingelt zu werden, aber dass man ihn herbeigerufen hatte, um bei der Festnahme eines seiner besten Kunden mitzuwirken, war mehr als eine Zumutung. Simon Edwards' Gesellschaft kam nicht nur in den Genuss der Pachteinnahmen aus Sir Leigh Teabings privatem Hangar, sie kassierte auch bei jedem der regelmäßigen Besuche ihres Kunden deftige Start- und Landegebühren. Normalerweise war der Flugplatz über Teabings Pläne im Voraus informiert und konnte bei der Ankunft das auf Teabings persönliche Wünsche abgestimmte Empfangsprotokoll genauestens einhalten. Seine Jaguar-Stretchlimousine, eine Sonderanfertigung, musste voll getankt und frisch poliert im Hangar stehen; auf dem Rücksitz hatte die aktuelle Tagesausgabe der Times zu liegen, und für die vorgeschriebene Pass- und Zollkontrolle hatte bei der Ankunft des Flugzeugs ein Zollbeamter am Hangar bereitzustehen. Die Zollbeamten bekamen gelegentlich ein ordentliches Trinkgeld zugesteckt, damit sie bei den öfters mitgeführten landwirtschaftlichen Produkten – meist Delikatessen wie französische Schnecken, ein besonders reifer Rohmilch-Roquefort und gewisse Edelobstsorten – ein Auge zudrückten. Viele Zollvorschriften waren ohnehin lachhaft, und wenn Biggin Hill nicht bereit war, seinen Kunden ein gewisses Entgegenkommen zu gewähren – andere Flugplätze waren es.
Edwards' Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als er das Flugzeug einschweben sah. Er fragte sich, oh Teabing sich durch allzu sorglosen Umgang mit seinen Vermögenswerten in Schwierigkeiten gebracht hätte – die französischen Behörden waren jedenfalls sehr darauf bedacht, seiner habhaft zu werden. Was gegen Teabing vorlag, hatte man Edwards nicht verraten, aber es musste schon etwas Schwerwiegendes sein. Auf Verlangen der französischen Polizei hatten ihre englischen Kollegen den Tower von Biggin Hill angewiesen, Funkkontakt mit dem Piloten der Hawker aufzunehmen und die Maschine direkt vor das Empfangsgebäude zu lenken, statt sie in den Hangar des Kunden rollen zu lassen. Der Pilot hatte sich der Anweisung gefügt und dem Tower offenbar die ziemlich weit hergeholte Geschichte von dem Treibstoffleck abgekauft.
Die britische Polizei war normalerweise unbewaffnet, doch man hielt die Situation offenbar für so delikat, dass ein bewaffnetes Einsatzkommando in Marsch gesetzt worden war. Acht Polizisten – ebenfalls bewaffnet – hielten sich unmittelbar am Ausgang des Terminals bereit und warteten auf den Augenblick, dass der Pilot die Triebwerke abstellte. In diesem Moment sollte ein Flugplatztechniker Bremsklötze vor das Fahrwerk schieben, sodass die Maschine bewegungsunfähig war. Anschließend sollte die Polizei in Aktion treten und die Insassen der Hawker so lange in Schach halten, bis die französische Polizei erschien und das weitere Vorgehen übernehmen konnte.
Die Hawker kam tief hereingeschwebt. Sie streifte fast die Baumwipfel rechts am Ende des Flugfelds. Simon Edwards ging nach unten, um die Landung zu beobachten. Die Polizisten standen versteckt bereit, der Mechaniker wartete mit den Bremsklötzen. Draußen zog die Hawker über der Landebahn die Nase nach oben, und die Reifen setzten quietschend in einer kleinen Rauchwolke auf der Rollbahn auf. Das Flugzeug jagte von rechts auf das Abfertigungsgebäude zu. Der Rumpf glänzte in der Nässe.
Allmählich verlor die Maschine an Fahrt, doch anstatt weiter abzubremsen und auf den Taxiway zum Terminal einzuschwenken, jagte der Jet seelenruhig daran vorbei und hielt auf Teabings Hangar weit hinten am Ende der Landebahn zu.
Die Polizisten fuhren wie ein Mann herum und starrten auf Edwards. »Hat der Pilot nicht gesagt, dass er vor dem Terminal parken wird?«
»Hat er auch!«
Sekunden später fand Edwards sich zwischen Polizisten eingekeilt in einem Streifenwagen wieder, der über die Landebahn zu Teabings Hangar raste. Der Polizeikonvoi war noch immer gut fünfhundert Meter vom Hangar entfernt, als Teabings Maschine gemächlich ins das große Gebäude rollte und verschwand.
Als die Streifenwagen mit kreischenden Reifen vor den Hangars zum Stehen kamen und die Polizisten mit gezogener Waffe aus den Fahrzeugen sprangen, wurden sie von einem Höllenlärm begrüßt. Mit dröhnenden Triebwerken beendete die Maschine soeben den üblichen Schwenk um die eigene Achse und rollte noch ein Stückchen vor, um für den nächsten Flug mit der Nase zur Rollbahn zu stehen. Edwards konnte den Piloten sehen, dem verständlicherweise die Überraschung beim Anblick des Polizeiaufgebots ins Gesicht geschrieben stand.