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Wenn er die Leiter durch das Fenster geschoben hätte, wäre sie an der Außenwand stehen geblieben. Vielleicht war er sogar dort hineingekommen. Entschlossen versuchte er, sie an der obersten Sprosse wieder zu sich hochzuziehen. Er konnte sie gerade eben anheben, und die Anstrengung presste ihm die Luft aus den Lungen. Aber beim Versuch, auf die zweite Sprosse umzugreifen, kam sein Körper ins Rutschen. Schnell stieß er die Leiter wieder auf den Boden und lag da und keuchte.

Zwei weitere Versuche blieben genauso erfolglos. Er hätte die Leiter nun fallen lassen können. Aber einen Fehler hatte er schon gemacht, er wollte keinen zweiten begehen. Er beschloss, wenigstens so lange zu warten und den Holm festzuhalten, bis ihm etwas Besseres eingefallen war.

Das Erste, was ihm in den Sinn kam, war, die Leiter irgendwie festzubinden. Er konnte vielleicht seine Dschellabah ausziehen und versuchen, sie um die oberste Sprosse zu schlingen.

Er griff sich in den Kragen und stellte fest, dass er unter der Dschellabah einen karierten Anzug trug. Das erklärte immerhin, warum er so stark schwitzte. Aber wieso trug er einen Anzug unter der Dschellabah? Während er noch überlegte, wie er das Kleidungsstück am besten im Liegen auszog, hörte er ein leises Plätschern. Das Plätschern von Wasser. Das Quietschen eines Wasserhahns. Und eine menschliche Stimme. Wie jemand, der leise mit sich selber sprach. Es kam von außerhalb der Scheune.

Gedämpfte Schritte unter dem Fenster an der Stirnseite. Plötzlich ein Klacken, und ein hauchdünner Faden Licht fiel ins Erdgeschoss. Als habe jemand eine Tür einen Zentimeter weit geöffnet. Ein kurzes Röcheln, dann Stille, dann ein Erdbeben von einem Hustenanfall. Der Hustenanfall entfernte sich wieder, und erneut plätscherte irgendwo Wasser. Er hörte Schlürfen und Röcheln. Der Wasserhahn, der beim Zudrehen quietschte.

Er konnte die Leiter jetzt nicht loslassen, ohne auf sich aufmerksam zu machen. Liegen bleiben konnte er aber auch nicht. Die Verzweiflung ließ ihn handeln. Mit der linken Hand immer noch die Leiter haltend, rutschte er auf dem Bauch herum, schwang das linke Bein in den Abgrund und tastete nach der obersten Leitersprosse. Sie war überraschend nah, und er stellte den Fuß nicht dort auf, sondern gleich auf die zweite Sprosse. Dann ließ er vorsichtig den Holm los. Mit dem Fuß konnte er die Leiter durch Druck von oben gerade in der Senkrechten halten. Er schwenkte das rechte Bein ebenfalls in den Abgrund und auf die zweite Sprosse. Er hatte keinen Plan dafür, was er da tat, nur ein panisch in den Blick genommenes Ziel. Zentimeterweise schob er den Körper rückwärts, klemmte einen Fuß wie einen Haken unter die zweite Sprosse und tastete mit dem anderen nach der dritten. Als beide Füße auf der dritten Sprosse balancierten, war sein Becken schon unter der Ebene des Dachbodens.

Eine Hand am Rand der Luke, eine an der Leiter, stieg er kippelnd noch drei Sprossen hinab. Dann war Schluss. Beim nächsten Schritt abwärts musste er den Lukenrand loslassen. Nach unten waren es noch immer mehrere Meter. Er sah hinunter. Zwölf, fünfzehn Sprossen. Draußen näherte sich das Röcheln.

Er balancierte die Leiter noch einmal aus, holte tief Atem, dann löste er die Hand von der Dachbodenkante und kletterte mit affenartiger Geschwindigkeit in die Tiefe. Er schaffte vier oder fünf weitere Sprossen, indem er tölpelhaft das Gesäß herausstreckte und es ruckartig zurück an die Leiter presste, begleitet von unwirklichem Stöhnen aus eigenem Mund. Zirkusnummer: der Clown, nicht der Hochseilartist. Dann neigte die Leiter sich bedenklich, und er schaffte nur noch eine Sprosse, bevor sein Fuß ins Leere trat. Noch im Fallen schleuderte er den Holm von sich fort und krachte dann mit dem Rücken zu Boden. Nur wenige Zentimeter neben ihm schlug die Leiter auf. Staub wirbelte hoch. Flechtwände, Metallkanister, Sand, eine Kette, ein Quietschen. Licht durch ein offenes Tor. Im Tor Poseidon, der Gott des Meeres, mit rauschendem Bart und Dreizack.

Korrektur: ein Fellache mit Mistgabel.

Er hatte keine Zeit, nachzudenken, was ihm am meisten wehtat. Die Knochen schienen intakt. Er richtete sich taumelnd auf, machte ein unbeteiligtes Gesicht und tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn: Guten Tag.

Der Dreizack senkte sich.

Er meinte, im Gegenlicht ein altes, versoffenes Gesicht über dem Bart zu erkennen, und probierte es mit einem Satz, der sowohl Entschuldigung als auch Anklage sein konnte: «Ich war da oben.» Er zeigte auf den Ort des Verbrechens und fragte sich, wie er an dem Dreizack vorbeikommen sollte.

Beide Männer machten gleichzeitig einen Schritt aufeinander zu. Entweder war der Fellache blind, oder er schielte stark. Ein weißer Film überzog sein eines Auge, das andere starrte irgendwo ins Dunkel der Scheune. Dann schwenkte der Dreizack in die gleiche Richtung wie der Blick, und ein entsetzliches Röcheln, ganz anders als das zuvor, entrang sich der Kehle des Fellachen.

Sein Gegenüber drehte sich um und sah, was der Fellache sah. Neben Gerümpel und Maschinenteilen lag zwischen zwei Stellwänden im Halbdunkel ein Mann. Ein Mann in einer weißen Dschellabah, die Gliedmaßen eigenartig verrenkt. Auf seinem zerschmetterten Kopf lag der Block des Flaschenzugs mit dem gewichtigen Metallhaken. Die ölige Kette ringelte sich durch Blut und Gehirn. Der Dreizack schob sich ins Bild. Es schien nicht der richtige Moment, dem Mann etwas von Amnesie zu erzählen. Eine frische Leiche, vier bewaffnete Männer in einem Jeep, ein irr blickender Fellache mit Mistgabeclass="underline" Die Situation war unübersichtlich. Er stieß die Mistgabel beiseite und rannte. Rannte durch das Scheunentor, an den Baracken vorbei, in die Wüste. Und rannte.

18. UNTER DÜNEN

Not wasteland, but a great inverted forest with all foliage underground.

Salinger

Die Richtung ergab sich aus der Lage des Scheunentors: einfach geradeaus, in direkter Linie von den Gebäuden weg. Er lief eine Düne hinauf, kam ins Straucheln, warf sich über den Kamm. Rutschte fünfzehn Meter in die Tiefe, sprintete durch das Wellental und stampfte die nächste Leeseite hinauf. Im Lee waren die Dünen steil, man versank bis zu den Knien. Die Luvseite war flach und fest. Die umgekehrte Richtung wäre einfacher gewesen, aber sie wäre auch für seinen Verfolger einfacher gewesen.

Er sah sich um: Niemand folgte ihm. Schon völlig außer Atem lief er langsamer. Schräg vor ihm tauchte in einiger Entfernung eine Reihe von Pfählen auf, vielleicht Telegraphenmasten, eine Straße. Er hielt darauf zu und hörte von irgendwoher ein Summen. Im ersten Moment war es wie das Summen in den eigenen Ohren, aber er gab sich keinen Illusionen hin. Es war das Geräusch eines sich nähernden Dieselmotors. Wahrscheinlich hatten sie Cetrois nicht erwischt, jetzt wollten sie ihn. Oder sie hatten Cetrois erwischt. Und wollten ihn auch noch.

Er rannte. Zwanzig oder dreißig Wellentäler entfernt spritzte der Jeep über eine Düne, hing mit allen vieren einen Moment in der Luft und sackte mit heulendem Motor aus dem Bild.

Geduckt bog er scharf nach links in ein sich dahinschlängelndes Wellental, nahm im Laufen einen faustgroßen Stein auf und ließ ihn wieder fallen. Was wollte er damit? Ihnen den Revolver aus der Hand werfen? Die Nachmittagssonne brannte in sein Gesicht. Er blieb stehen. Er keuchte. In seinen eigenen Fußstapfen ging er zehn Schritte zurück und drehte sich um: albern, der Unterschied war sofort zu erkennen. Das Motorengeräusch schwoll im Rhythmus der Wellentäler an und ab. In nun kopfloser Panik stürzte er eine Düne hinauf und auf der gleichen Seite wieder hinunter und betrachtete das Ergebnis. Dann rannte er kreuz und quer durch das ganze Tal und ein kleines, angrenzendes Tal, bis sie nach allen Seiten hin bedeckt waren mit Spuren.