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Er sah die Frau an und stöhnte. Ein Gesicht wie aus amerikanischen Modezeitschriften. Es fiel ihm schwer, ihren Blick auszuhalten. Er zog sich die Bettdecke über den Kopf.

«Warum will ich nicht zur Polizei?», fragte er mit gedämpfter Stimme.

«Du hältst dich für einen Kapitalverbrecher.»

Er hatte es also erzählt.

«Angeblich hast du jemanden mit einem Flaschenzug erschlagen. Was ich bezweifle.»

Er fragte nicht, warum sie das bezweifelte. Er blieb unter der Decke, und die Bilder kamen zurück. Das Tier mit dem blubbernden Strohhalm. Er hörte die Frau telefonieren und von Kosmetikartikeln sprechen. Sie ging einkaufen, brachte ihm Getränke, saß auf dem Bettrand und war wieder verschwunden, eine freundliche Halluzination. Dann lag er in der Dunkelheit und hörte kein Geräusch. Kein Meeresrauschen. Keine Atemzüge. Die Panik kam und ging in Schüben. Er schlief.

24. SCHWALBEN

Parsons: The art of fighting without fighting? Show me some of it.

Lee: Later.

Enter the Dragon

Als er die Augen aufschlug, dämmerte es. Neben ihm eine zerwühlte Bettdecke, er war allein. Ein Nachttisch voller Gläschen und Fläschchen. Zwei Bilder an der Wand. Sein Körper fühlte sich noch immer schwach an. Er spürte Schweiß auf dem Rücken und auf der Stirn, aber es war eine eher abflutende Wärme, das beruhigend schlappe Gefühl der Rekonvaleszenz. Nur ein leichter Schmerz am Hinterkopf noch. Er versuchte aufzustehen und tappte ein paar Schritte vom Bett weg. Hinter der Küche war noch ein Raum.

«Helen?»

Teller und Besteck lagen auf dem Tisch, die Terrassentür stand offen.

Er trat zögerlich in die Morgenluft hinaus, stützte sich auf die steinerne Brüstung und sah über Himmel und Meer. Kupferfarbene Pinien standen den weiten Hang hinunter. Das Meer lag in leichtem Nebel, und die Dünung schob lange parallele Linien auf den Strand. Rechts führten Steinstufen von der Terrasse auf eine zweite, tiefer gelegene Terrasse, von der aus sich ein ockerbrauner Pfad zum Wasser hinunterschlängelte. Auf dieser zweiten Terrasse stand Helen. Den Blick aufs Meer gerichtet, breitbeinig, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt, das platinblonde Haar zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Mehrere Sekunden lang verharrte sie still, dann schoben ihre Arme mit langsamen Bewegungen die Luft beiseite. Langsam schwenkte ein Arm nach vorn, langsam beugten sich die Knie, und der Oberkörper machte eine langsame Drehung nach links. Die Hände kreisten, als würden sie durch schweren Honig gezogen. Ein schwebender Schritt zur Seite, die sich seitwärts verschiebende Körperachse, ein Kung-Fu-Film in extremer Zeitlupe.

Er schaute zur Sicherheit zum Himmel, an dem zwei Schwalben in normaler Geschwindigkeit dahinflogen. Es war nicht sein Hirn. Sie bewegte sich wirklich langsam. Etwas entspannter lehnte er sich auf die Brüstung und betrachtete nicht ohne Rührung die unsportliche Gymnastik.

Helen trug weiße Turnschuhe und eine hellblaue Trainingshose. Der Gummizug der Hose schnitt tief in ihr Fleisch und ließ an der Taille einen kleinen Wulst nackter Haut hervortreten. Ein ärmelloses T-Shirt mit einem Rückgrat aus Schweiß klebte auf ihrem Oberkörper. Er spürte ein sonderbares Gefühl für diese Frau in sich aufsteigen, ein, wie er sich sagte, möglicherweise unangebrachtes und irregeleitetes Gefühl. Sie war es gewesen, die ihn gerettet hatte, sie hatte ihm ein Dach über dem Kopf gegeben und ihn gepflegt, sie war sein Rettungsanker in einer hoffnungslos versunkenen Welt. Es war nicht Dankbarkeit. Es war etwas anderes. Es schnürte ihm die Kehle zu.

Als sie eine Weile stillstand, ging er lautlos die Treppe hinunter und umarmte sie von hinten. Die Wärme, die Feuchtigkeit. Er legte seinen Kopf in ihre verschwitzte Nackenbeuge, spürte ihren Puls an seiner Wange und sah zum Horizont.

Sie erstarrte.

«Tut mir leid», sagte er.

«Schon gut», sagte Helen, befreite sich aus seiner Umarmung und stieg die Treppen hinauf.

25. SCHWIMMEN

Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche.

Hiob 2,8

Obgleich er sich noch schwach auf den Beinen fühlte, schloss er sich ihr an, als sie zum Strand ging. Sie hatten gefrühstückt, aber er hatte nicht mehr als einen halben Apfel gegessen.

Die nicht sehr hoch stehende Sonne färbte den Weg zwischen den Bäumen zum Meer hinunter orange. In einer kleineren Gruppe von Europäern saßen barbusige Frauen, und es mochte dem Einfluss der Gruppe, der Autorität der Hotelanlage oder geheimen Sicherheitsdiensten zu verdanken sein, dass höchstens zwei oder drei verirrte Dschellabahs in den Baumkronen hingen. Helen breitete zwei Decken in den Sand. Er fiel auf den Rücken wie ein Käfer, blieb liegen und wehrte die angebotene Sonnenmilch stumm ab. Die Müdigkeit kehrte sofort zurück.

«Und es ist auch nichts wiedergekommen?»

«Nein.»

«Du kannst dich aber erinnern, was für ein Meer das da ist?»

«Ja.»

«Und auch, wie der Ort hier heißt und in welchem Land wir uns befinden?»

«Ja.»

«Dein Englisch ist ganz ordentlich. Französisch kann ich nicht beurteilen. Kannst du Arabisch?»

«Ja.»

«In welcher Sprache denkst du?»

«Französisch.»

«Kannst du schwimmen?»

Während Helen mit schwebenden Schritten über den Strand und ins Wasser ging, schob er die Handtücher unter seinem Kopf zusammen, um ihr im Liegen nachschauen zu können. Die Sonne stand fast genau über ihr. Gleißendes Licht löste ihre Konturen im Gegenlicht auf, ihre Taille schrumpfte auf nichts zusammen.

Er wusste, dass er schwimmen konnte. Aber er wusste nicht, woher er es konnte. Er wusste nicht einmal, woher er es wusste. Er konnte kraulen und brustschwimmen. Die Worte und Bewegungen standen ihm im Geiste sofort zur Verfügung.

Einmal drehte Helen sich um und strich mit einer reizend affektierten Geste die Haare hinter ihre Ohren. Eine kleine Welle spritzte an ihr hoch, sie lächelte ein wenig undurchschaubar, und er fragte sich, ob ein menschliches Gehirn ein Bild, so bezaubernd wie dieses, jemals vergessen könnte; ob er es schon vergessen hatte.

Während er noch zurücklächelte, spürte er tief aus seinem Innern einen Gedanken sich emporarbeiten, einen Gedanken, der, wie er jetzt deutlich fühlte, schon länger im Dunkel hin und her bewegt worden war: Was, wenn er sie tatsächlich von früher kannte? Wenn sie ihn kannte? Wenn sie ihm nur Theater vorspielte? Er sprang auf, lief den Strand hinunter, lief zurück und stolperte über zwei Badegäste. Helen bemerkte ihn erst, als er bis zu den Oberschenkeln im Wasser stand und schrie. Er kannte niemanden. Niemand kannte ihn. Er kannte sich selbst nicht. Er war verloren.

«Langsam atmen. Langsam. Dir fehlt nichts. Das geht gleich wieder.» Helen schob ihn an den Schultern auf den Strand, drückte ihn auf die Decken nieder und hielt eine Weile seinen Arm fest.

«Ruhig.»

«Ich muss was machen.»

«Was willst du machen? Nicht die Luft anhalten.»

«Ich kann hier nicht sitzen.»

«Dann geh zum Arzt.»

«Kann ich nicht.»

«Nehmen wir mal an, du bist kein Schwerverbrecher.»

«Irgendeine Scheiße hab ich am Hacken.»

«Aber du bist kein Mörder.»

«Woher willst du das wissen?»

«Der Flaschenzug hat sich aus Versehen gelöst. Hast du selbst gesagt.»

«Und das andere?»

«Welches andere?»

«Dass ich mit diesen Leuten zu tun hab. Wahrscheinlich bin ich einer von denen.»

«Du bist paranoid. Und ein Schwerverbrecher bist du nicht.»