Выбрать главу

«Vielleicht hat er gedacht, dass nur ich das in Ordnung bringen kann? Er hat ja meine Familie.»

«Um die es dann jetzt schlecht steht. Weil, du kannst nichts in Ordnung bringen. Mine, Cetrois, Adil Bassir: Du hast nicht den Hauch einer Ahnung, was da läuft. Zur Polizei willst du nicht. Abwarten kannst du nicht. Das Beste wäre meiner Meinung nach ein Arzt. Dass da mal einer draufguckt, was es mit dieser Amnesie auf sich hat.»

«Findest du meine Argumente irgendwie unverständlich?»

«Nein. Aber man könnte auch einen von außerhalb konsultieren. Ich hab Geld. Ich mache mir Sorgen.»

Er sah Helen lange nachdenklich an, dann sagte er: «Die Mine. Zeig noch mal die Karte.»

Helen reichte ihm die Karte, stand auf und befüllte die Cafetiere mit Wasser. «Vergiss es», sagte sie. «Wenn es ein Bergwerk ist, womit fährt dann der Typ auf dem Moped in die Wüste?»

«Vielleicht mit dem Kaufvertrag.»

«Der König der Schieber und Kaufverträge

«Oder ich bin Bergbauingenieur und hab sie erschlossen.»

«Und das ändert was genau? Das ist doch alles Quatsch. Was hat der Typ noch mal wörtlich gesagt? Dann hab ich sie wieder? Dann gehört sie wieder mir?»

«Dann ist das meine. Zweiundsiebzig Stunden, dann ist das wieder meine.»

«Und ihr habt die ganze Zeit Französisch gesprochen?»

«Was ist das Graue hier?»

«Granit.»

«Und das Grüne?»

«Phosphat, glaube ich.»

«Wozu braucht man das? Ist das das in diesen Leuchtfarben?»

«Dünger. Aber das sind Hunderte von Kilometern. Phosphat ist Quatsch. Granit ist Quatsch. Alles Quatsch.»

«Und das Runde hier mit dem Zacken drin?»

«Wir sind hier.»

«Ja, aber das hier? Das ist hier und hier und hier.»

«Das ist Landwirtschaft.»

«Oder es ist nur eine ganz kleine Mine, die hier nicht verzeichnet ist.»

«Was war noch mal das Vierte?», sagte Helen. «Du hast vorhin gesagt, vier fallen dir ein.»

«Die Miene im Gesicht.»

«Da bin ich immer noch bei drei.»

«Die Miene im Gesicht, das Bergwerk, das Sprengding und das in den Bleistiften.»

«Das heißt auf Französisch so? La mine? Das wusste ich nicht», sagte Helen nachdenklich. «Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man so einen Aufstand macht mit Leute entführen und umbringen, wenn es um eine Bleistiftmine geht. Selbst wenn sie aus Gold ist.»

«Was wäre so was wert?»

«Ein paar hundert Dollar vielleicht. Hundert Dollar, keine Ahnung. Das ist doch nicht mehr als ein Ehering. Und wenn du sagst, der Typ ist wahnsinnig reich? Landmine wäre schon das Naheliegendste. Nur dass Landminen meines Wissens auch nichts wert sind. Die explodieren und fertig.»

«Und wenn es irgendwas Größeres ist? Richtige Waffentechnik?»

«Meine Meinung kennst du. Erstens Arzt. Zweitens Bassir. Weil, du kannst mir viel erzählen über Bergwerke und Landminen. Das Konkreteste, was du hast, ist immer noch der Typ in seiner Villa.»

«Und das hier? Guck mal, das kleine schwarze Kästchen mit dem roten Punkt drin. Das ist Uran.»

«Das ist fast einen Finger weit weg.» Helen legte ihren Zeigefinger über die Karte. Er war 3000 Kilometer lang. «Da bist du halb im Kongo.»

Er dachte lange nach und fragte dann, ohne Helen in die Augen zu sehen: «Woher hast du die eigentlich? Warum fährst du hier rum mit einer Karte mit Bodenschätzen drauf?»

«Das ist ’ne ganz normale Karte», sagte Helen und drehte die Karte um. «Auf die Rückseite hab ich gar nicht geguckt. Und — was schaust du so? Hältst du mich jetzt auch für verdächtig?»

«Tut mir leid, aber ich muss noch mal fragen. Kosmetik?»

«Ja.»

«Und du bist Vertreterin?»

«Larouche ist der zweitgrößte Kosmetikhersteller der USA, und ich soll hier —»

«Und beim Ausschiffen fällt ausgerechnet dein Musterkoffer über Bord?»

«Ein Junge hat ihn mir aus der Hand gerissen.»

«Und du hast sonst nichts … ich meine … um dich …»

«Zu legitimieren? Himmel. Der Ersatzkoffer kommt erst in ein paar Tagen.»

«Ich weiß, ich sollte dir nicht —»

«Fang nicht wieder von vorne an. Erklär mir lieber mal, was Würstchen heißen soll. Zwei arme Würstchen.»

«Mein Kumpel und ich. Cetrois.»

«Das meine ich. Was macht dich so sicher, dass das dein Kumpel ist? Weil der Feind deines Feindes dein Freund ist?»

«Liegt doch nahe.»

«Und selbst wenn er dein Freund ist: Die Tatsache, dass er sich das Moped schnappt und dich in der Scheune zurücklässt, könnte das nicht auch das Ende einer Freundschaft gewesen sein?»

«Das könnte alles Mögliche sein.»

«Richtig. Und nichts davon liegt nahe. Vielleicht ist Cetrois auch der Kumpel der vier Männer und versucht gerade, sie zu hintergehen? Vielleicht ist er auch dein Kumpel und hat dir den Schädel eingeschlagen, und der Dicke hat sich dem Vierten gegenüber damit nur gebrüstet?»

«Das ist jetzt wirklich weit hergeholt.»

«Oder es gibt gar keinen Cetrois. Die drei Männer haben ihn nur erfunden als Erklärung, weil sie irgendwas unterschlagen wollen.»

«So wirkten die aber nicht … Ich hab die ja gehört, als der Vierte noch gar nicht da war. Die wirkten irgendwie hilflos und dämlich.»

«Na schön. Nehmen wir mal an, sie sind hilflos und dämlich, und Hilflosigkeit und Dämlichkeit verleiteten einen zum Sagen der Wahrheit, was ich bezweifle. Dann ist immer noch alles, was du aus dem Satz ‹Cetrois ist damit in die Wüste› folgern kannst: Erstens, es gibt einen Cetrois. Und zweitens, er ist mit irgendwas in die Wüste. Und ob das alles mit dir und Adil Bassirs Mine zu tun hat, steht in den Sternen.»

«‹Wenn er die Mine jetzt zerstört.›»

«Ja. Aber du hast gehört: Wenn er die Schiene funkentstört. Und auch wenn es so ist: In einer Eine-Million-Einwohner-Stadt, fünf Millionen mit den Slums, wie willst du diesen Cetrois finden? Hast du mal die Telefonbücher hier gesehen? Und dass die irgendwo ein Melderegister haben, wage ich zu bezweifeln.»

29. TOURIST INFORMATION

Ich bin überzeugt, dass er im Sommer farbige Prünellhalbstiefel trug, mit Perlmuttknöpfchen an der Seite.

Dostojewski

Bei der richtigen Witterung und wenn der Wind vom Meer kam, konnte man durch die geöffneten Fenster das leise Plätschern der Wellen bis zum Bungalow hinauf hören. Die mit Bergen umstandene Bucht bündelte den Schall und trug ihn an das Ohr derer, die im Halbschlaf lagen. Der Mann ohne Gedächtnis hatte sein Gesicht dem Fenster zugewandt und die Augen geschlossen. Einfältige Gedanken von Ewigkeit und erhabener Größe, die er mit der eigenen Unwichtigkeit kontrastierte, spülten durch sein nächtlich müdes Hirn, und mit Schmerzen am ganzen Körper erwachte er. Mitten im Zimmer stand ein Schatten. Im ersten Moment glaubte er an eine Täuschung. Aber der Schatten bewegte sich: Eine Frau in Jeans und engem T-Shirt, barfuß. Sie stand vor dem Stuhl, auf dem er am Abend zuvor seine Kleider abgelegt hatte. Gerade war sie dabei, die Taschen der Anzughose umzustülpen. Sie betastete den Hosenbund und legte die Hose geräuschlos zurück auf den Stuhl. Dann untersuchte sie das Jackett, von dem Sandbröckchen abfielen, prüfte die Innentasche, die beiden anderen Taschen und fuhr mit Daumen und Zeigefinger die Säume entlang. Sie hob einen braunen Halbschuh hoch, zog die Einlage heraus und schaute in den leeren Schuh. Rüttelte am Absatz, stellte den Schuh zurück und griff nach dem zweiten. Bevor sie sich zum Bett umdrehen konnte, schloss er die Augen. Aber er hielt es nicht lange aus.