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«Und Sie sind ganz sicher, dass Sie Psychiater sind?»

«Haben Sie da irgendwelche Zweifel?»

«Wenn Sie behaupten, ich bin ein Simulant, wenn Sie da ganz sicher sind — bin ich ebenso sicher, dass Sie kein Arzt sind.»

Dr. Cockcroft antwortete nicht.

«Warum stellen Sie zum Beispiel die ganze Zeit Fragen, die mit der Amnesie nichts zu tun haben? Warum sieht es hier aus wie … wie …»

«Was für Fragen?»

«Was sollte zum Beispiel die Frage nach dem Alkohol?»

«Haben Sie das schon vergessen?»

«Nein. Und ich habe auch nicht vergessen, dass Sie sagten: Der Korsakow redet keinen Hauptsatz mit Nebensatz mehr. Da wäre das Hirn völlig weg. Also wozu noch die Fragerei? Wozu, wenn es doch offensichtlich ist, dass ich —»

«Können Sie sich das nicht denken?»

«Nein, kann ich nicht!» Carl sprang auf und setzte sich wieder. «Kann ich nicht. Oder stellen Quartalssäufer ihren Alkohol neuerdings selber her?»

Dr. Cockcrofts beschwichtigende Handbewegungen signalisierten, dass er zumindest die Erregung seines Patienten für glaubwürdig zu halten bereit war.

«Vertrauen», sagte er. «Bitte bleiben Sie ruhig. Vertrauen ist das Wichtigste. Ich habe mich deshalb so ausführlich danach erkundigt, weil wir ja unter anderem nach Ihrer Identität suchen, falls Sie das vergessen haben. Und wenn einer blutüberströmt und mit eingeschlagenem Schädel in der Wüste inmitten von Apparaturen zur Alkoholherstellung zu sich kommt, ist der Verdacht, er könne der Schwarzbrenner sein, der da sein Labor hat — doch recht naheliegend, nicht wahr?» Dr. Cockcroft wog einen imaginären Trichter in seinen Händen und führte dann die Fingerspitzen zusammen. «Nur dass wir das jetzt ausschließen können. Was Sie wissen über Alkohol und seine Herstellung, ist das, was jeder weiß. Und das ist nicht viel.»

«Und der Geschlechtsverkehr?»

«Pardon?»

«Warum wollten Sie wissen, ob ich mit Helen Geschlechtsverkehr —»

«Routine», sagte Dr. Cockcroft. «Reine Routine. Ein Test, ob Sie bereit sind, ehrlich zu antworten.»

«Das glaube ich nicht.»

«Wieso glauben Sie das nicht?»

«Kein seriöser Arzt würde so etwas fragen. Er würde etwas anderes fragen.»

«Woher wissen Sie, was ein seriöser Arzt fragt und was nicht?»

«War mein Funktionswissen nicht unangetastet?»

«Schön, dass Sie sich daran erinnern. Weniger schön, dass Sie hier —»

«Sie sind kein Arzt.»

«Sie zweifeln wirklich? Und seit wann, wenn ich fragen darf?»

«Schon seit ich hier reingekommen bin. Die ganze Zeit. Schon seit ich Ihren Zettel gesehen habe.»

«Welchen Zettel?»

«Schnupperpreise.»

«Was haben Sie daran auszusetzen?»

«Kein normaler Arzt würde Schnupperpreise schreiben. Wegen Neueröffnung. Und so sieht auch keine Arztpraxis aus. Warum läuft die ganze Zeit der Fernseher? Wo sind Ihre … Geräte? Und Sie haben keine Fachliteratur. Sie haben keinen Arztkittel. Sie haben —»

«Keinen Arztkittel!» Dr. Cockcroft schien für einen Moment außer sich. «Und wenn ich einen Arztkittel anhätte, würden Sie meiner Diagnose Glauben schenken? Es tut mir leid, aber als Psychiater trägt man keinen … wobei ich tatsächlich einen besitze. Der müsste noch oben sein. Die Bibliothek mit der Fachliteratur ist ebenfalls oben. Und was den Fernseher betrifft, es tut mir leid, aber der Ausschaltknopf ist kaputt. Man muss sehr umständlich hinten den Stecker ziehen. Und wie Sie sich sicher erinnern, kommen Sie ganz und gar außerhalb meiner Sprechzeiten.»

Dr. Cockcroft trat mit dem Fuß nach dem Fernseher. Ein Nachrichtensprecher flatterte schreckhaft, löste sich in Schlangenlinien auf und verlor den Kopf. Langsam zuckend kehrte der Kopf in die Bildmitte zurück bis auf ein Stück Schädel, das am rechten Bildrand kleben blieb.

«Und ich kann Ihnen noch etwas verraten», sagte Dr. Cockcroft. «Ich weiß zwar nicht, ob ich Ihr Vertrauen damit zurückgewinne oder endgültig verliere — aber Sie haben natürlich recht. Es sieht hier nicht aus wie in einer Arztpraxis. Sie haben vermutlich keine Vorstellung davon, wie man hier seinen Lebensunterhalt verdient. Patienten wie Sie sind die absolute Ausnahme. Um ehrlich zu sein: Sie sind mein erster Patient, mein erster richtiger Patient.»

Der Nachrichtensprecher stieß einen Stapel Papier auf den Schreibtisch, und Dr. Cockcroft stürzte seinen Whisky hinunter.

«Aber das ist Afrika. Wie viele Psychiater, glauben Sie, praktizieren hier? In Kapstadt soll noch einer sein. Mit den Einheimischen können Sie nun mal keine Geschäfte machen. Die haben ihre eigenen Methoden. Ein bisschen trommeln, ein bisschen tanzen, ein bisschen singen: Das reicht in aller Regel für ihre sogenannten Probleme. Die afrikanische Seele steckt ja noch in den Kinderschuhen. Mit den Neurosengeflechten einer durchschnittlichen amerikanischen Hausfrau alles nicht vergleichbar. Und wenn Sie jetzt wissen wollen, womit ich mein Geld verdiene: hässliche Mütter mit großen Sonnenbrillen. Breithüftige Jünglinge aus gutem Hause. Touristinnen. Dafür ist das hier gemacht. Ein bisschen Erholungsurlaub, ein bisschen Stress am Strand, ein kleiner Ehebruch hier und da — ich ergänze mehr oder weniger den Freizeitbereich. Wenn das Ihre Fragen beantwortet. Meine Praxis gehört zum Hotel. Und alle zwei Wochen Schnupperpreise zur Neueröffnung — das hat sich als Konzept bewährt.»

«Aber Sie sind … ein echter Psychologe?»

«Psychiater. Studium in Princeton», sagte Dr. Cockcroft und begann, eine Reihe von Stationen und Universitäten herunterzurasseln, die Carl naturgemäß nichts sagten.

«Und haben Sie ein Zeugnis? Irgendwas, was Sie als Arzt ausweist?»

«Einen Arztkittel vielleicht?»

Carl mochte weder nicken noch den Kopf schütteln.

«Sie wollen meinen Arztkittel sehen?», setzte Dr. Cockcroft nach. Er lächelte. Kein verunsichertes Lächeln, eher ein lauerndes, interessiertes, als habe er gefragt: Sie wollen die Vagina Ihrer Mutter sehen?

«Ja», sagte Carl tapfer.

«Der ist oben. Wie gesagt. Glaube ich. Kann aber auch sein, der ist in der Reinigung.»

«Oder ein Zeugnis. Oder Fachliteratur.»

«Die Bücher sind auch oben. Wollen Sie nachschauen?» (Wollen Sie in die Vagina eindringen?)

Carl vergrub seinen Kopf in beide Hände und knetete mit der gesunden seine Kopfhaut. Ungerührt beobachtete Dr. Cockcroft seinen Patienten.

«Im Ernst», sagte Carl, «würde es Ihnen etwas ausmachen, mit mir hinaufzugehen und —»

«Wenn Sie möchten. Wenn ich Ihr Vertrauen dadurch zurückgewinnen kann. Ohne Vertrauen zwischen Arzt und Patient ist jede Therapie zwecklos … nein, kein Problem.» Dr. Cockcroft hatte sich auf den Armlehnen seines Sessels einige Zentimeter hochgedrückt. «Ich zeige Ihnen gern meinen wunderschönen Arztkittel. Wünschen Sie das?»

Seine ganze Haltung strömte eine solche Bereitschaft zur Kooperation aus, dass der Gang ins Obergeschoss dadurch schon überflüssig geworden war. Carl konnte nicht insistieren, ohne sich lächerlich zu machen. Er spürte das, und er spürte auch, dass das der geheime Zweck dieses herzlichen Entgegenkommens sein mochte, und so sagte er: «Ja. Ja, ich wünsche das.»

33. DIE BIBLIOTHEK

Ed: «Night has fallen. And there’s nothin’ we can do about it.»

John Boorman, Deliverance

Eine breite Holztreppe führte in den ersten Stock. Ihr schloss sich ein langer, dunkler Flur mit je vier oder fünf Türen rechts und links an. Carl ging zwei Schritte hinter Dr. Cockcroft; er roch die mittlerweile recht deutliche Alkoholfahne.