Er fand ein paar Fässer, eine Leiter und einen abgerissenen Flaschenzug. Über ihm eine Luke zum Dachboden. Gerade fragte er sich, wie er dort hinaufgelangen könne, da hörte er in der Ferne ein Geräusch.
Durch die Ritzen der Bretterwand hinausspähend, sah er eine sich von der Piste her nähernde Limousine, die nur wenige Meter an seinem Versteck vorüberfuhr und vor den Baracken hielt. Der Fahrer (hellgrauer Anzug, gepflegte Erscheinung) stieg aus, kurz darauf sah Amadou ihn im Gespräch mit dem Fellachen. Sie kamen sofort zur Sache. Der Alte fiel vor dem Fahrer auf die Knie, Amadou hörte das Wort «Geld». Immer wieder bestürmte der Alte den Fahrer, immer wieder war von Entschädigungen und Geld die Rede. Schließlich verschwanden sie in einer der Baracken. Nichts passierte. Die Fahrertür des Autos stand offen.
Amadou wartete kurz, dann schlich er zum Auto und kroch auf den Fahrersitz. Der Zündschlüssel war abgezogen. Er versuchte, die Verkleidung um das Zündschloss mit den Fingernägeln herunterzureißen, und hielt inne, weil er Stimmen zu hören meinte. Er sprang auf die Rückbank, duckte sich und zog einen herumliegenden Pullover über seinen Kopf. Jetzt waren die Stimmen nicht mehr zu hören. Einige Minuten kauerte er so da. Dann hob er unruhig den Kopf und begann, das Auto zu durchsuchen. Unter dem Fahrersitz zog er ein paar Gegenstände hervor. Einen Draht, einen Bleistift, eine Wasserflasche. Er trank die Wasserflasche leer, brach vorsichtig den Bleistift in zwei gleich große Hälften, schlang je ein Ende des Drahtes um je eine Bleistifthälfte und zwirbelte sie fest. Probeweise zog er an den Bleistifthälften. Es klang wie das Summen einer Gitarrensaite.
«… aber allein kann ich gar nichts machen. Und sabber mich nicht voll, Licht deiner Augen, Sonne deines Alters! Ich glaub dir ja, ich glaube dir! Und die Fachleute kriegen heute noch Bescheid, versprochen. Unsere Spezialeinheit für Verzwicktes … Kollegen von der höchsten Kompetenz, die Unsichtbaren Königsbrigaden. Die finden das Grab, ja sicher. Die finden immer alles, und dann wird das untersucht, ohne Leiche können wir ja nichts machen. Und dein anderer Sohn, das wird gründlich gecheckt, ja … natürlich bei meiner Mutter. Glaubst du, ich erzähl dir Unsinn? Du erzählst mir keinen Unsinn, ich erzähl dir keinen Unsinn, das ist die Abmachung … nein, natürlich nicht! Die heißen so, weil sie geheim sind, nicht weil sie unsichtbar sind. Man kann doch nicht unsichtbar sein! Aber du wirst sehen, die sind schnell da, und alles klärt sich auf. Und versteht sich von selbst, dass du da mit niemandem drüber sprechen darfst. Jetzt hör auf, vor mir rumzukriechen … bei Allah, bei meiner Mutter, bei was du willst! Geh weg. Herr im Himmel.»
Canisades stieg in sein Auto, startete den Motor und steuerte, ohne noch einen Blick auf den im Staub knienden Alten mit dem herausgesoffenen Hirn zu werfen, die Piste an. Der elende Gestank von hochprozentigem Alkohol hing ihm noch eine Weile im Auto nach, als hätten seine Kleider oder das Auto den Geruch in dieser kurzen Zeit schon aufgenommen, was wohl kaum möglich war. Ein Phantomgeruch. Aber er wunderte sich nicht allzu sehr. Und eine Minute später war er tot.
41. EIN GELBER MERCEDES MIT SCHWARZEN SITZEN
Ben Trane. I don’t trust him. He likes people, and you can never count on a man like that.
Im sechsten Stock des Sheraton lag Michelle in ihrem Zimmer auf dem Hotelbett und schluchzte. Obgleich der Bungalow für drei Personen mehr als ausreichend gewesen wäre, hatte Helen darauf bestanden, sie im Hauptgebäude einzuquartieren, und Michelle, die wusste, was dies bedeutete, war im Grunde ihres Herzens erleichtert. Der Abschied von Afrika war nun auch ein Abschied von Helen, das Ende ihrer ohnehin nie wirklich existiert habenden Freundschaft. Als letzte Demütigung hatte ihre Bekannte aus Kindertagen ihr noch eine genau abgezählte Geldsumme für das Taxi zum Flughafen in die Hand gedrückt, und Michelle, der man vielleicht einiges, aber sicher nicht Sensibilität und Einfühlungsvermögen absprechen konnte, gab sich keinen Illusionen über Helens wahren Beweggrund hin: Eifersucht. Rasende Eifersucht. Helen wollte den bildhübschen, arabischen Mann für sich allein. Und sie sollte ihn haben. Michelle war nicht mehr interessiert.
Während sie langsam wieder Luft zu schöpfen begann und in die entspannte Lethargie nach einem über Stunden sich hinziehenden Weinkrampf hinüberglitt, befanden Helen und Carl sich bereits auf dem Weg nach Tindirma. Bis sie die Wüste erreicht hatten, diskutierten sie noch darüber, wer die Kommune betreten sollte, um Erkundigungen einzuholen. Dann hatte Helen sich durchgesetzt. Michelles letzte Worte gaben den Ausschlag. Fremden gegenüber sei man sehr misstrauisch, nach den jüngsten Vorfällen sowieso, und die Stimmung sei so schlecht, dass ein ziemlich arabisch aussehender Mann wie Carl vermutlich nicht einmal mehr eingelassen werde. Helen dagegen kenne man immerhin als ihre Freundin, und am besten sei es natürlich, wenn sie selbst noch einmal mitkomme, doch sie wüssten ja, dieser schreckliche Ort … nicht um alles in der Welt. Abgesehen davon, dass ihr Flug für morgen fest gebucht sei und so weiter und so fort. Es tue ihr leid. Keine zehn Pferde.
Zuletzt bat sie Helen, ihr eine Reihe von Dingen, die sie in der Kommune vergessen hatte, mitzubringen, und Helen warf den Zettel mit der Liste beim Hinausgehen mit der Bemerkung in den Papierkorb, dass sie zweieinhalb Dinge ohne weiteres auch im Kopf behalten könne.
Der Tag war so heiß wie bisher kein Tag in der Wüste. Carl schloss einmal probeweise das Seitenfenster, um den heißen Fahrtwind abzuhalten. Aber das machte es auch nicht besser. Eine Luftspiegelung ließ die Ziegelkamele aussehen, als schwebten sie über himmelblauen Seen.
«Da liegt was», sagte Carl mit Blick nach links, und Helen fragte ihn, ob er aussteigen wolle.
«Ich weiß nicht.»
Sie ließ den Wagen ausrollen.
Während Carl bis zu den Waden im Sand die Dünen hochstapfte, band Helen sich mit einem Gummiband im Mund ihren Pferdeschwanz neu. Sie sah die schwankende Gestalt den höchsten Punkt der Düne erreichen, sich eine Hand an die Stirn halten und mit den Achseln zucken. Carl war sich nicht sicher, ob er etwas sah. In sehr weiter Entfernung schwebte irgendwo ein hellgrauer Fleck in der Luft, wahrscheinlich ein Stein, der sich im Hitzeflimmern bewegte. Ringsherum endlose Wüste. Am Horizont einige dunklere Punkte, in denen Carl ohne Mühe die Scheune mit den Baracken erkannte, wo das ganze Elend begonnen hatte. Der Drang, noch einmal dort hinzugehen, wechselte ab mit dem Drang, so schnell wie möglich zum Auto zurückzulaufen. Für einen Moment glaubte Carl, das Hellgraue bewege sich nun tatsächlich … aber dann hörte er die Hupe des Pick-ups und ging zurück.
In der kleinen Straße vor der Kommune parkte Helen den Wagen, direkt vor dem großen Tor. Vom Beifahrersitz aus sah Carl, wie sie den Innenhof überquerte, an der Tür klopfte und von einer langhaarigen, jungen Frau eingelassen wurde.
Er wartete. Die Hitze im Auto wurde unerträglich, und nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, stieg er aus und kaufte ein Wasser in einem kleinen Laden ein paar Schritte entfernt, ohne das Tor zur Kommune dabei eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Dann wartete er weiter. Schließlich klopfte er selbst an der Tür zur Kommune.
Niemand öffnete ihm, aber weiter oben am Haus ging eine kleine Luke auf, und eine dunkelhäutige Frau mit kurzen Haaren teilte mit, dass es noch dauere. Helen lasse ausrichten, es dauere noch. Ed habe Mittagsschlaf gehalten, und sie hätten zuvor nur diskutiert, und nun diskutierten sie im Zimmer des Ouz … und was er denn wolle. Nein, das sei unmöglich. Einlassen könne man ihn auf keinen Fall, und den Innenhof möge er bitte auch verlassen, das sei nichtöffentliches Gelände, das hätten sie nicht so gern, und überhaupt, warum sei das Tor offen? Das solle er hinter sich zuziehen.