Der Fahrer des Spider hatte einen Pappteller mit einem Fleischgericht auf das Armaturenbrett hinter dem Steuer gestellt und griff mit zehn Fingern zu. Er war klein, schlank und drahtig. Seine Bewegungen hatten etwas Cholerisches an sich, selbst bei einer so harmlosen Tätigkeit wie Essen. Mit beiden Händen schob er sich tropfende Fleischstückchen in den Mund. Dann — mit vollgestopften Backen und wie eine beim Grasen gestörte Kuh — hielt er plötzlich im Kauen inne, als die Staubwolke ihn einhüllte, spuckte Teile seines Essens auf das Tachometer und drehte sich, als die Sicht wieder klarer wurde, aufgeregt nach den anderen Wageninsassen um.
Neben ihm auf dem Beifahrersitz saß ein stämmiger Schwarzer mit fast kahl geschorenem Schädel, der fluchend Soße von seinem Knie wischte. Hinter dem Schwarzen auf der Rückbank ein ebenso stämmiger, aber hellhäutiger Mann, der beim Anblick des Mercedes einen Arm in die Luft riss, und neben dem Hellhäutigen ein etwas älterer Weißhaariger, der nicht weniger erregt, aber etwas entschlossener als die anderen wirkte und eine Pistole durchlud. Adil Bassir.
Schwer zu sagen, warum sie dort parkten, worauf sie warteten und was sie überhaupt wollten. Vielleicht war es nur einer jener Zufälle, die man in Romanen nicht überstrapazieren sollte und die im richtigen Leben zur Erfindung des Begriffs Schicksal beigetragen haben.
Eine Sekunde später flog der Pappteller über Bord, und mit aufheulendem V6-Motor rutschte der Spider auf die Piste, driftete seitlich auf eine gegenüberliegende Wand aus Lehmziegeln zu und schoss der Staubwolke hinterher.
Der Alfa Spider hat eine Spitzengeschwindigkeit von über zweihundert Stundenkilometern, aber in den engen Gassen, auf den schlaglochübersäten Pisten und mit den dichten Staubwolken vor sich fuhr er nicht mehr als sechzig. Der Abstand zum gelben Mercedes wurde größer und verkleinerte sich wieder, Fußgänger spritzten zur Seite, und als sich zwischen den Baracken der Vororte die Staubwolke vor der Kühlerhaube des Spider plötzlich auflöste, war auch der Mercedes verschwunden.
Der Fahrer machte eine Vollbremsung, raste im Rückwärtsgang zur letzten Kreuzung zurück und drehte den Kopf ruckartig um neunzig, neunzig, zweihundertsiebzig Grad: vier ratlose Männer in einem italienischen Sportwagen voller Essensreste.
Auf einem kleinen Türmchen aus Autoreifen standen zwei Kinder. Bassir verbarg die Waffe zwischen seinen Knien und schrie: «Wo ist der lang?»
Die Kinder glotzten. Sie waren vielleicht acht und neun Jahre alt. Ihre Füße und ihre Zähne waren schwarz, die Kleidung zerschlissen. Im Gesicht des Kleineren saßen Fliegen in den Mundwinkeln, unter den Nasenlöchern, auf Augen und Stirn. Der Größere hielt einen breiigen Klumpen in der Hand, der aussah wie Gerstenbrot, das er zerkaut und wieder aus dem Mund genommen hatte. Die Haut seiner Arme schimmerte kindlich rein und schokoladenfarben, aber die Hände beider Kinder waren von Ekzemen gerötet, als würden sie regelmäßig in Säure gebadet. Aus den Hinterhöfen wehte der Gestank einer Gerberei herüber.
«Der gelbe Mercedes!», brüllte Bassir und zeigte auf die verschwundene Staubwolke. «Wo lang!»
Keine Antwort.
«Julius», sagte Bassir und gab dem Hellhäutigen die Pistole. Der sprang aus dem Wagen und stand mit einem Satz vor den Kindern.
«Wo lang!», fragte nun auch er.
Kohlenschwarze Augen, die in den Lauf der Pistole starrten.
«Der gelbe Mercedes!»
Er hielt dem Kleineren die Waffe ans Ohr. Der Junge stammelte Unverständliches. Eine Fliege flog aus seinem Augenwinkel auf, setzte sich auf den Pistolenlauf und krabbelte aufgeregt darauf herum.
Julius wiederholte seine Frage zweimal, riss dann einen Arm des Jungen in die Luft und schoss ihm durchs Ellenbogengelenk. Das Kind kippte sofort um, geräuschlos, schlackerte auf der Erde liegend mit den Beinen. Dem anderen stand der Mund offen.
«Wo lang?»
Der Größere schluchzte, gab aber ebenso wenig eine Antwort.
«Ich glaube, der versteht dich nicht», sagte der Schwarze vom Beifahrersitz aus. «Das sind Scheißtuareg.»
Er rief dem Kind eine Frage auf Tamahaq zu. Unverzüglich hob sich das zitternde Ärmchen und zeigte in einen Seitenweg hinter den Männern. Dort reihte sich Baracke an Baracke, und hinter der letzten glänzte im Sonnenlicht das gelbe, kastenförmige Heck eines parkenden Mercedes 280 SE.
53. DIE FÜNF SÄULEN
Wenn ein Hase, eine Ziege oder ein anderes Tier sich vor einem Betenden bewegen, bleibt das Gebet gültig. Die Rechtsgelehrten sind sich darüber einig, dass nur drei Wesen das Gebet ungültig machen: eine erwachsene Frau, ein schwarzer Hund und ein Esel.
Carl, der seit einer Ewigkeit nichts Richtiges gegessen hatte, sah den kleinen Suq zur Rechten, tastete nach dem Geld in seiner Tasche und parkte den Wagen. Er war erst ein paar Meter weit zwischen den ersten Ständen hindurchspaziert und stand vor einer Auslage mit frischen Broten, als er hinter sich Geschrei hörte. Ein Schuss krachte. Über die Köpfe der Marktbesucher hinweg sah er den fast kahlen Schädel eines riesigen Schwarzen, der mit den Armbewegungen eines Freistilschwimmers auf ihn zukraulte. Hinter ihm zwei weitere Männer, die sich durch die Menge drängten. Eine hochgereckte Uzi in den Händen des Kleinen und im Gesicht des Weißhaarigen ein Lächeln. Carl wusste sofort, wer sie waren, und er musste nicht lange überlegen, was sie von ihm wollten. Das Ultimatum war abgelaufen. Er flüchtete sich in eine Traube von Menschen, in der Hoffnung, dass sie dann nicht auf ihn schießen würden. Tatsächlich schossen sie nicht, aber die Menschen stoben kreischend auseinander. Alles rannte in die Häuser. Augenblicklich war Carl mit seinen Verfolgern allein auf der Straße. Er sprintete in eine schmale Straße und sah zu spät, dass es eine Sackgasse war. Eine Tür wurde ihm vor der Nase zugeschlagen. Im selben Moment krachte der zweite Schuss.
Carl warf sich flach auf den Bauch. Lehm platzte aus einer Hauswand direkt vor ihm und spritzte ihm ins Gesicht. Eine Maschinengewehrgarbe ging über ihn hin. Er riss die Arme über den Kopf und sah sich unter seiner Achselhöhle hindurch nach seinen Verfolgern um.
Momentaufnahme: die aus der Waagerechten gekippte Straße. Der eigene Körper von der Achselhöhle abwärts. Ein verlorener Schuh lag im Bild, nicht sein eigener. Eingangs der Sackgasse hing der Körper des Kleinen in der Luft, die eingeknickten Knie knapp über der Erde, die schwerelose Uzi über hoch in die Luft geworfenen Händen, die berühmte Fotografie aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Daneben Adil Bassir, mit dem ungelenken Schwung einer Marionette gegen die nächste Hauswand geprallt. Seine rechte Gesichtshälfte drückte eine Mischung aus Entspanntheit und Überraschung aus, die linke Gesichtshälfte flog gerade als Hackfleisch davon. Der Schwarze war nicht zu sehen. Der Verfolger, der am nähesten an Carl herangekommen war, Julius, lag zwei Meter hinter ihm im Sand, die leblose Hand wie nach Carls Fuß ausgestreckt. An seinem Mund kirschrot eine Blutblase.
Unpassend zum Standbild lief die Tonspur weiter: Maschinengewehrsalve, Schüsse aus einem Kleinkaliber, Schreie. Eine Neun-Millimeter. Breites Amerikanisch. Zwei Uniformierte rissen Carl hoch und schleiften ihn zu einem grünen Jeep Wagoneer. Oder er lief ihnen hinterher, so genau nahm er das nicht mehr wahr. Er kam zu sich, während er auf das eingestanzte Karomuster einer Gummimatte zwischen seinen Füßen starrte. Die Gummimatte lag zwischen Fahrersitz und Rückbank des Jeeps. Auf dem Karomuster: Sand, Papierkügelchen, Haare und ein festgeklebter Kaugummi. Und seine eigenen Füße.