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Sand und Papierkügelchen hopsten und sprangen im Rhythmus des Jeeps. Eine Hand in Carls Nacken verhinderte, dass er den Kopf hob. Die Hand gehörte einem der Uniformierten, einem Mann mit bräunlichem, fast olivfarbenem Teint und der Statur eines Kleiderschranks. Er sprach zwei Sätze Arabisch mit Carl, Hocharabisch, leicht syrischer Einschlag. Der andere Uniformierte, der Amerikanisch gesprochen hatte, saß auf dem Beifahrersitz und schien das Kommando zu haben. Vier Sterne auf den Schulterklappen: War das wirklich Militär? War das nicht einer der Musiker von Marshal Mellow? Der Bassist?

Den Fahrer konnte Carl als Einzigen nicht sehen. Er bemerkte nur zwischen den Sitzen hindurch, dass der keine Uniform trug, sondern gestreifte Hosen. Eine mädchenhaft schmale, behandschuhte Hand lag auf der Gangschaltung. Ein unbehaartes Handgelenk … in seiner Einfältigkeit glaubte Carl für eine Sekunde, es sei Helen, die gekommen war, ihn zu retten.

Der Beifahrer brüllte. Der Syrer drückte Carls Kopf tiefer nach unten, der Jeep legte sich in die Kurven.

«Alles klar?»

«Hast du ihn?»

«Bist du verletzt?»

«Hast du ihn?»

«Ich hab ihn.»

«Bei dir alles klar?»

«Ja. Und bei euch?»

«Yep.»

«Jemand hinter uns?»

«Alle tot.»

«Ich hab gesagt: Jemand hinter uns?»

«Nein.»

«Sicher?»

«Ich hab sie alle erwischt.»

«Sind Sie verletzt?»

«Wer, ich?», fragte Carl.

«Ob Sie verletzt sind?»

«Nein.»

«Da vorne rechts.»

«Wer sind Sie?»

«Da kommt eine Brücke, hinter der Brücke noch mal rechts.»

«Wer sind Sie?»

«Fahr langsamer.»

«Wohin fahren wir?»

Carl versuchte, den Kopf zu heben. Der Syrer drückte ihm die Hand fester in den Nacken und sagte einen Spruch zum Thema Sicherheit auf. Carl fügte sich, obgleich nicht so recht klar war, warum er als Einziger geduckt im Wagen saß. Fahrer und Beifahrer, das konnte er zwischen den Sitzen hindurch erkennen, saßen aufrecht, und auch der Syrer, der mit halbem Körper über ihm hing, befand sich nicht in Deckung. Offenbar war sein Leben wichtiger als ihres.

Erst jetzt, Minuten nach seiner Rettung, spürte er den kribbelnden Auflösungsprozess in seinen Knochen und wie die überstandene Todesangst seinen Körper verflüssigt hatte. Mit einem hysterischen Aufschluchzen und in einem Tonfall, der ihm selbst jämmerlich vorkam, dankte er seinen Rettern. Sie gingen nicht darauf ein.

«Da links?»

«Ja, da links, würd ich sagen.»

«Und die breite Straße da?»

«Ist falsch, glaub ich.»

«Glaubst du?»

«Neunzig Prozent.»

«Dann fahr ich links.»

«Da ist die Synagoge.»

«Das ist eine andere Synagoge.»

«Und wenn ich einfach rechts abbieg?»

«Nein.»

«Sagst du nein?»

«Würd ich auch sagen.»

«Würdest du auch sagen?»

«Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind?»

«Bleiben Sie ruhig.» Das kam von vorn.

Als Carl erneut versuchte, den Kopf zu heben, drehte der Syrer ihm einen Arm auf den Rücken. Er wehrte sich und bekam zuerst einen Schlag gegen die Rippen, dann spürte er, wie seine Hände hinter dem Rücken mit Handschellen gefesselt wurden.

«Macht er Schwierigkeiten?»

«Sekunde.»

«Schaffst du das?»

«Klar schaff ich das.»

«Wenn er Schwierigkeiten macht, die Spritze ist hinten auf der Ablage.»

«Die ist vorhin zerbrochen. Egal, er macht keine Schwierigkeiten.»

«Er soll nicht schreien.»

«Er schreit ja nicht.»

«Wenn er schreit, stopf ihm was in den Mund.»

«Was soll das?», rief Carl.

Der Syrer presste ihm ein zusammengeknülltes Taschentuch aufs Gesicht und versuchte, es ihm in den Mund zu schieben. Carl drehte den Kopf hin und her. «Ich sag ja nichts», sagte er durch die zusammengebissenen Zähne.

«Ruhig, ganz ruhig», murmelte der Fahrer mit einer Stimme, die Carl vage bekannt vorkam.

Er dachte kurz nach und sagte dann zum Fahrersitz: «Ich kenne Sie.»

«Wär ja auch komisch, wenn nicht. War ja keine anterograde Amnesie. Und jetzt bleiben Sie ruhig.»

«Sie sind das? Warum machen Sie das? Was wollen Sie?»

«Ruhig.»

«Was wollen Sie von mir?»

«Was wollen Sie von mir?», äffte der Beifahrer ihn mit alberner Stimme nach.

«Ruhig, hab ich gesagt.»

«Ich weiß nicht, was das soll?»

«Okay», sagte Dr. Cockcroft. «Stopf ihm den Mund.»

«Ich krieg das nicht rein. Er beißt die Zähne zusammen.»

«Er soll da nicht rumzappeln.»

«Aber ich krieg es nicht rein.»

«Dann lass es, solange er still ist. Sind Sie jetzt still? Oder wollen Sie weiterquatschen?» Dr. Cockcroft machte ein paar Lenkbewegungen, die Carl den Kopf hin und her schütteln ließen.

Er schwieg und konzentrierte sich auf die Geräusche draußen.

Trotz der Hitze waren alle Fenster geschlossen. Gedämpfter Verkehrslärm der Hauptstraße, vorüberziehende Musik, Schreie eines Wasserverkäufers. Pferdegetrappel. Beim Halt an einer Kreuzung das Stimmengesumm vieler Menschen, dazu besonders kräftig die Hand des Syrers im Nacken.

Irgendwann erkundigte der Syrer sich, wie lange es noch dauern werde, und der Beifahrer nuschelte etwas. Carl sah von unten sein kantiges Kinn und war nun vollkommen überzeugt davon, dass es der Bassist war.

«Ungefähr», sagte der Syrer.

«Etwa eine Stunde, um aus der Stadt zu kommen. Dann noch knapp zwei. Und wenn der Weg vor der Mine aufhört, brauchen wir vielleicht die ganze Nacht.»

«Es ist gleich Zeit für das Maghrib.»

Niemand erwiderte etwas auf diese Feststellung, und der Syrer ergänzte: «Wir müssen dann kurz halten.»

Ein paar Straßenzüge lang fuhren sie schweigend. Dann wieder der Syrer: «Wenn die Sonne untergegangen ist. Dann müssen wir kurz halten.»

«Du hast sie wohl nicht mehr alle.» Der Bassist. «Sieh zu, dass du deinen Job machst.»

«Das geht nicht.»

«Was geht nicht?»

«Dann steige ich aus.»

«Was?»

«Wenn ich nicht beten kann, steige ich aus.»

«Dann bete doch.»

«Ihr müsst anhalten.»

«Bist du irre, Mann? Mitten in der Stadt, mit einer Geisel hintendrin, die nicht mal einen Knebel im Mund hat, nur damit du Vogel beten kannst?»

«Ich kann ihm was reinstopfen.»

«Bete gefälligst im Auto.»

«Das ist nicht statthaft.»

«Natürlich ist das statthaft. Jetzt halt die Klappe.»

«Ah», sagte der Syrer mit deutlich erzwungener Selbstgewissheit. «So ist das also. Ich soll die Klappe halten.» Er kramte mit einer Hand in der Tasche und streckte den Arm nach vorn. «Dann steig ich jetzt aus. Die hundert und die zwanzig. Halt an.»

«Behalt das Scheißgeld, du kannst jetzt nicht hinschmeißen.»

«Und ob ich das kann.»

«Du kannst auf der Rückbank beten. Leier deinen Text runter, buckel da rum und nerv nicht.»

«Das funktioniert nicht. Selbst wenn ich wollte. Siehst du nicht, wo wir hinfahren?»

«Genau dahin, wo wir hinwollen.»

«Wir fahren nach Westen. Mekka ist —»

«Großer Gott, nach Westen! Dann bete halt nach Westen», blaffte der Bassist. «Die Erde ist schließlich rund.»

«Das muss ich mir nicht bieten lassen.» Angestrengte Pause. «Das ist eine Unverschämtheit.»

«Was ist eine Unverschämtheit? Dass die Erde rund ist?»

«Halt an.»

«Fahr weiter.»

Während des Wortwechsels spürte Carl den Druck der Hand in seinem Nacken schwinden. Er hob vorsichtig den Kopf und sah hinaus. Die Häuser der Ville Nouvelle. Schreiend fuhr der Bassist herum und hämmerte mit dem Griff der Waffe auf Carls Kopf.