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Mein Aufruf kam heute. Man braucht eine meiner Nieren. Die übliche Bitte.

»Sie haben Glück«, sagte jemand beim Mittagessen. »Sie hätten auch eine Lunge verlangen können.«

Kate und ich wandern in den grünen, schimmernden Hügeln, stehen zwischen den blühenden Oleanderbüschen, dem Koriander und Jasmin und was es noch so alles gibt. Wie schön ist es, am Leben zu sein, diesen Duft zu atmen, unsere Körper der grellen Sonne zu zeigen. Ihre Schönheit treibt mir Tränen in die Augen. Ihre Haut ist seidig und glatt. Sie wird nicht davonkommen. Keiner von uns wird davonkommen. Zuerst ich, dann sie, oder ist sie mir voraus? Wo werden sie den Schnitt machen? Hier, an ihrem runden, glatten Rücken? Hier, am flachen, straffen Bauch? Ich sehe den Hohepriester am Altar stehen. Beim ersten Dämmerschein fällt sein Schatten über sie. Das Obsidianmesser in seiner erhobenen Hand glitzert auf furchtbare Weise. Der Chor bietet dem Blutsgott eine dissonante Hymne. Das Messer zuckt herab.

Meine letzte Chance, über die Grenze zu entkommen. Ich bin die ganze Nacht wach gewesen und habe alles abgewogen. Es gibt keine Hoffnung auf Berufung. Die Flucht hinterläßt in meinem Mund einen schlechten Geschmack. Vater, Freunde, sogar Kate, alle sagen, bleib, bleib, bleib, stell dich den Tatsachen. Die Stunde der Entscheidung. Habe ich wirklich die Wahl? Ich habe keine Wahl. Wenn die Zeit kommt, ergebe ich mich friedlich.

Ich melde mich im Transplantations-Amt zur zwangsweisen Spenderchirurgie in drei Stunden.

»Was ist schließlich schon eine Niere?« sagte er kühl. Ich werde ja noch eine zweite haben, nicht wahr? Und wenn die nicht funktioniert, kann ich ja Ersatz bekommen. Ich werde ein Bevorzugter Empfänger sein, Stufe 6 A, soviel das wert sein mag. Aber ich finde mich mit meinem automatischen 6 A nicht ab. Ich weiß, was aus dem Vorrangsystem werden wird; es ist besser, ich schütze mich. Ich gehe in die Politik. Ich steige auf. Ich erlange Aufwärtsbewegung aus aufgeklärtem Eigeninteresse, richtig? Richtig. Ich werde so bedeutend, daß die Gesellschaft mir tausend Verpflanzungen schuldet. Und eines schönen Jahres bekomme ich meine Niere wieder. Drei oder vier Nieren, fünfzig Nieren, soviel ich brauche. Ein, zwei Herzen. Ein paar Lungenflügel. Eine Bauchspeicheldrüse, eine Milz, eine Leber. Sie werden mir nichts verweigern können. Ich werde es ihnen zeigen. Ich werde es ihnen zeigen. Ich werde seniorer sein als die Senioren. Das ist Ihr aktiver Kämpfer für Körperliche Unversehrtheit, wie? Ich werde wohl aus der Liga austreten müssen. Leb wohl, Idealismus. Leb wohl, moralische Überlegenheit. Leb wohl, Niere. Leb wohl, leb wohl, leb wohl.

Es ist geschehen. Ich habe meine Schuld der Gesellschaft gegenüber beglichen. Ich habe den Mächten, die da herrschen, mein Pfund Fleisch geopfert. Wenn ich das Krankenhaus in ein paar Tagen verlasse, werde ich eine Karte besitzen, die meine Einstufung nach 6 A bestätigt.

Erstrangig, mein Leben lang.

Na, ich lebe vielleicht tausend Jahre.

Robert Silverberg

DER NEUTRALE PLANET

Science Fiction-Erzählungen

Wilhelm Goldmann Verlag

München

Made in Germany • I • 1110

© 1974 by Robert Silverberg

Ins Deutsche übertragen von Tony Westermayr.

Alle Rechte, auch die der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Jeder Nachdruck bedarf der Genehmigung des Verlages. Umschlag: Jürgen F. Rogner.

Satz: IBV Lichtsatz KG, Berlin.

Druck: Presse-Druck Augsburg. SF 0240 • bru/pap

ISBN 3-442-23240-6

Der neutrale Planet

Sanfte Kannibalen

Ein Präzedenzfall

Schocktherapie

Schmerzhafte Wiedergeburt

Das Ultimatum

Eine Goldgrube für Zoologen

Fleischfressende Bäume