»Ich werde es für mich behalten«, versprach Holly.
»Schön.« Eberly lehnte sich zufrieden auf dem Stuhl zurück. Dann schaute er sie prüfend an und sagte: »Ich habe festgestellt, dass Sie mich ein paarmal angerufen haben. Worüber wollten Sie denn mit mir sprechen?«
Holly blinzelte, als ob sie plötzlich aus einem Traum gerissen worden wäre. »Sie sprechen? Ach so. Es ist eigentlich nichts Besonderes. Nur ein paar Kleinigkeiten, keine große Sache.«
Eberly beugte sich leicht nach vorn und sagte sich, dass ihre ständigen Anrufe ein mühsam kaschierter Versuch waren, sich mit ihm zu treffen. Er legte die Arme auf den Schreibtisch. »Worum geht es dann?«
Holly zog besorgt die Augenbrauen hoch und sagte: »Nun… ich hatte Routineüberprüfungen der Lebensläufe der letzten Personal-Tranche laufen lassen, die an Bord gekommen war. Und in ein paar Fällen bin ich auf Unstimmigkeiten gestoßen.«
» Unstimmigkeiten? «
Sie nickte heftig. »Referenzen, die nicht bestätigt werden. Oder unvollständige Angaben.«
»Etwas Gravierendes?«, fragte er.
»Ruth Morgenthau, zum Beispiel. Sie hat in der Rubrik ›Berufserfahrung‹ ihrer Bewerbung nur eine Position eingetragen.«
»Wirklich?«
»Und noch dazu eine verdammt gute«, gestand Holly. »Leiterin des Verwaltungsdiensts für das Amsterdamer Büro der Heiligen Jünger.«
Eberly lächelte verhalten. »Das ist recht eindrucksvoll, meinen Sie nicht?«
»Ja schon, aber es ist nur eine Angabe, und auf dem Formular werden mindestens drei verlangt.«
»Ich würde mir deswegen keine Sorgen machen.«
Sie nickte. »OK, kein Problem. Aber es gibt da noch jemanden — er führt Referenzen von ein paar Universitäten an, nur dass ich in den Archiven keinerlei Hinweise auf ihn finde.«
»Falsche Referenzen?« Nun verspürte Eberly doch einen Anflug von Besorgnis. »Um wen handelt es sich?«
Holly zog einen Palmtop aus der Tasche ihres Gewands und richtete ihn auf die Wand, die derjenigen gegenüberlag, die den Grundriss des Habitats zeigte. Sie schaute um Erlaubnis heischend auf Eberly. Er nickte knapp.
Ein Human-Resources-Dossier erschien an der Wand. Eberly runzelte die Stirn, als er den Namen und das dazugehörige Bild sah: Sammi Vyborg.
Holly ging zum Abschnitt ›Referenzen‹ des Lebenslaufs und markierte die Namen von fünf Universitätsprofessoren.
»Nach allem, was ich in Erfahrung gebracht habe, war er nie an einer dieser Universitäten eingeschrieben«, sagte sie.
Eberly lehnte sich auf dem Stuhl zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. Er versuchte, sein großes Unbehagen zu kaschieren und dachte angestrengt nach. »Haben Sie schon einen dieser Professoren kontaktiert?«
»Noch nicht. Ich wollte erst einmal mit Ihnen sprechen, bevor ich weitere Schritte unternehme.«
»Gut. Danke, dass Sie mir das zur Kenntnis gebracht haben.«
»Ich könnte alle Professoren befragen. Aber was sollen wir mit Vyborg machen, wenn sie seine Angaben nicht bestätigen?«
Eberly spreizte die Hände. »Dann dürfen wir den Mann natürlich nicht auf dem Posten belassen, der ihm zugewiesen worden ist. Falls er seine Referenzen wirklich gefälscht hat.«
»Wir könnten ihn zur Erde zurückschicken, wenn wir beim Jupiter auftanken«, sagte Holly nachdenklich. »Aber was sollen wir bis dahin mit ihm machen? Ihn zur Arbeit auf den Farmen einsetzen oder etwas in der Art?«
»Oder etwas in der Art«, sagte Eberly vage.
»Okay. Ich werde dann die…«
»Nein«, sagte er scharf. »Ich werde mich mit diesen Professoren in Verbindung setzen. Mit jedem einzelnen von ihnen. Ich werde es selbst tun.«
»Aber Sie haben doch schon so viel zu tun.«
»Das liegt aber in meiner Verantwortung, Holly. Außerdem werden sie wahrscheinlich viel eher bereit sein, auf eine Anfrage des Leiters der Human Resources zu reagieren als auf eine von seinen Assistenten.«
Ihre Miene verdüsterte sich kurz, doch dann hellte sie sich schnell wieder auf. »Ja, da ist etwas dran.«
»Außerdem werden Sie vollauf damit beschäftigt sein, die Wettbewerbe zu arrangieren.«
Da musste sie grinsen.
»Ich werde mich also selbst darum kümmern«, wiederholte Eberly.
»Es ist trotzdem nicht fair«, murmelte sie. »Es tut mir Leid, dass ich es Ihnen überhaupt gesagt habe. Ich hätte mich darum kümmern sollen, ohne Sie damit zu behelligen.«
»Nein, Holly. Dies ist etwas, über das Sie mich auf jeden Fall hätten informieren müssen. Sie haben genau richtig gehandelt.«
»Ok«, sagte sie und erhob sich langsam. »Wenn Sie meinen. Trotzdem…«
»Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben«, sagte Eberly. »Sie haben gute Arbeit geleistet.«
»Danke!«, sagte sie strahlend.
»Ich bin sicher, dass es sich nur um einen Fehler oder ein Missverständnis handelt, das sich irgendwo auf dem Dienstweg eingeschlichen hat. Ich kenne Vyborg persönlich. Er ist ein guter Mann.«
»Ach! Ich wusste nicht…«
»Umso mehr Grund, diese Sache gründlich aufzuklären«, sagte Eberly ernst. »Es darf hier keine Günstlingswirtschaft einreißen.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Ich danke Ihnen, Holly«, sagte er noch einmal.
Sie ging langsam zur Tür, als ob sie den Abschied von ihm noch etwas hinauszögern wollte. Er lächelte sie an, und dann verließ sie schließlich sein Büro und schloss leise die Tür.
Eberly starrte aufs Dossier auf dem Wandbildschirm; die falschen Referenzen waren noch immer markiert.
Idiot, fluchte er stumm, Vyborg hatte doch überhaupt keine Veranlassung gehabt, seinen Lebenslauf zu frisieren. Sein Ego war indes stärker gewesen als der Verstand.
Allerdings, sagte Eberly sich, spielt er mir durch einen solchen Fehler auch in die Hände. Dadurch wird er nämlich erpressbar. Soll mir nur recht sein.
Dann werde ich die Akte mal korrigieren. Und Eberly diktierte die exzellenten Beurteilungen von jedem der Universitätsprofessoren, die unter der Rubrik ›Lebenslauf ‹ erscheinen würden, in den Computer.
28 Tage nach dem Start
»Kommen Sie«, sagte Manuel Gaeta, »es muss doch einen Weg geben. Es gibt immer einen Weg, Fritz.«
Friedrich Johann von Helmholtz erhob sich von den Knien und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Trotz des eindrucksvollen Namens war er ein kleiner und schlanker, fast zerbrechlich wirkender Mann. Und der beste Techniker im Sonnensystem, jedenfalls was Gaeta betraf. Im Moment ›knirschte es jedoch im Getriebe‹ was das Einvernehmen zwischen ihnen betraf.
Fritz' Kopf mit dem Bürstenhaarschnitt reichte Gaeta kaum bis zu den Schultern. Wie er neben dem muskulösen Stuntman stand, mutete der Techniker fast wie ein dürres Kind an. Und beide wirkten wiederum klein gegenüber dem wuchtigen, cermetbeschichteten Raumanzug, der leer in der Mitte der Ausrüstungsbucht stand.
»Natürlich gibt es einen Weg«, sagte Fritz in präzise artikuliertem Englisch. »Sie steigen in den Anzug. Wir versiegeln ihn. Dann durchlaufen wir die Sterilisierungs- Prozedur, auf der Professor Wilmot und Urbain bestehen — einschließlich der Röntgenstrahlen-Dusche. Und dann sind Sie tot.«
Gaeta räusperte sich vernehmlich.
Fritz stand neben dem leeren Anzug; die Arme hatte er resolut vor der schmächtigen Brust verschränkt.
»Mein Gott, Fritz«, murmelte Gaeta, »diese Astro-Corp-Bonzen haben mir eine halbe Milliarde dafür gezahlt, dass ich als erster Mensch den Fuß auf den Titan setze. Wissen Sie, was sie mit mir anstellen werden, wenn ich es nicht tue? Wenn ich es nicht mal versuche, weil ein paar ängstliche Wissenschaftler sich übertriebene Sorgen wegen ein paar Bakterien machen?«