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Sie war mit einem Köfferchen im Labor erschienen, das sie neben der Tür auf den Boden gestellt hatte, als Gaeta zu ihrer Begrüßung erschienen war. Die Techniker hielten sich davon fern.

Nun schauten sie und Gaeta zum Anzug auf, dessen Kopf- und Schulterpartie sie überragte. Sie glänzte im Licht der Deckenbeleuchtung.

»Was für ein Ungetüm«, murmelte Cardenas. Mit dem Helm und den Gelenk-Armen erinnerte der Anzug sie an eine mittelalterliche Ritterrüstung.

»Er muss so groß sein«, sagte Gaeta, während sie langsam um den Anzug herumgingen. »Steckt nämlich viel Ausrüstung drin.«

»Vielleicht auch noch Platz für eine Bar«, witzelte sie.

»Nee«, erwiderte Gaeta mit einem verschmitzten Grinsen. »Es ist nur so viel Platz, dass ich mich reinquetschen kann. Der Rest ist ausgefüllt mit Sensoren, Kameras, VR-Transmittern, Servomotoren für die Bewegung der Arme und Beine, Strahlenschutz, Lebenserhaltungs-Systemen…«

»Systeme? Plural?«

»Aber sicher. Redundante Systeme müssen sein. Wenn eins ausfällt, springt das nächste ein.«

Cardenas schaute aufs glänzende Finish des Anzugs. »Ist das Cermet?«

»Zum Teil«, sagte Gaeta. »Er besteht außerdem aus vielen Organometallen. Und er hat Halbleiter-Oberflächen, die von Borosilikaten und Buckminsterfulleren geschützt werden.«

»Und wie zieht man ihn an?«

Er führte sie zur Rückseite des Anzugs. »Man steigt durch die Luke ein.«

»Wie der Eingriff in eine altmodische lange Unterhose!«, sagte Cardenas lachend.

Gaeta neigte den Kopf auf die Seite. »So habe ich das zwar noch nie gesehen, aber wo Sie es nun sagen — ja, sie haben Recht. So in der Art.«

»Würden Sie mir zeigen, wie man dort einsteigt?«, fragte Cardenas wieder sachlicher.

»Sicher. Sie möchten hinein? In Ordnung, ich werde Ihnen dabei helfen.«

Cardenas schüttelte den Kopf. »Nein. Sie steigen ein.« Mit einem Kopfnicken wies sie in Richtung des Köfferchens, das sie an der Tür zurückgelassen hatte. »Dann werde ich nämlich Proben von den Rückständen nehmen, die Sie an der Außenseite hinterlassen haben.«

»Proben?«

»Wenn Sie Nanomaschinen haben wollen, die spezifisch auf die Beseitigung Ihrer Rückstände programmiert sind, muss ich genau wissen, woraus sie bestehen — bis hinunter auf die molekulare Ebene.«

Gaeta nickte verstehend. »In Ordnung. He, Fritz, ich muss in den Anzug!«, rief er von Helmholtz zu.

Von Helmholtz und die vier Techniker gingen zum Anzug. Der Cheftechniker hielt inne und fragte: »Dr. Cardenas, brauchen Sie vielleicht Ihren Koffer?«

»Ja, den werde ich brauchen. Danke.«

Er brachte Cardenas das Köfferchen, während zwei der Techniker die Luke des Anzugs öffneten und die anderen zwei die Kontroll-Computer hochfuhren, die an der anderen Seite des Labors standen.

»Sie wollen aussteigen, wenn wir Jupiter passieren?«, fragte Cardenas Gaeta, während von Helmholtz ihr den Koffer gab.

»Ja. Ein paar Millionen VR-Zuschauer werden das Erlebnis des Vorbeiflugs am Jupiter mit uns teilen. Das wird vielleicht ein Spaß.«

»Den Jupiter-Swingby auf einem Weltraumspaziergang beobachten. Das würde ich selbst gern erleben«, sagte Cardenas.

Die Techniker entriegelten die Luke an der Rückseite des Anzugs, und Gaeta ging zu ihnen hinüber. »Sicher, wieso nicht?«, sagte er über die Schulter zu Cardenas. »Fritz, du bist doch fähig, eine VR-Ausrüstung zu improvisieren, nicht wahr?«

»Es wäre mir eine Ehre«, sagte von Helmholtz. Cardenas vermochte indes nicht zu sagen, ob das nun sein Ernst oder Sarkasmus war.

Sie schaute zu, wie Gaeta ein Bein über den Rand der Luke hob, sich an beiden Seiten festhielt und das andere Bein nachzog. Sein Kopf verschwand in der Dunkelheit im Innern des Anzugs.

Sie hörte einen dumpfen Schlag, gefolgt von einer Serie gedämpfter spanischer Flüche.

»Ist ziemlich eng da drin«, sagte einer der Techniker und grinste sie an.

»Ok, ich bin drin«, rief Gaeta. Die Techniker schlossen die Luke und verriegelten sie.

Cardenas ging zur Vorderseite des Anzugs und musste den Kopf in den Nacken legen, um Gaetas Gesicht durchs stark getönte Helmvisier zu sehen.

Der rechte Arm des Anzugs setzte sich mit dem Summen und Surren der Servomotoren in Bewegung.

»Hallo, Chris«, ertönte Gaetas verstärkte Stimme, und er winkte ihr zu. »Wollen wir ein Tänzchen wagen?«

Aber sie hatte sich schon auf den Boden gekniet und öffnete den Koffer, der ihre Analyse-Werkzeuge enthielt. Von wegen Tänzchen.

Zwei Tage vor dem Jupiter-Standby

Die Cafeteria war vom Lärm klirrenden Bestecks und vieler Unterhaltungen erfüllt. Ilja Timoschenko verzichtete darauf, sich an den langen Schlangen vor den verschiedenen Theken anzustellen und komponierte sich lieber ein Menü aus den Verkaufsautomaten. Er hatte ein ›Mampfburger‹-Sandwich und eine Schüssel mit dampfender Suppe auf dem Tablett; damit stand er nun vorm Getränkeautomaten.

»Die Qual der Wahl, was?«

Timoschenko drehte den Kopf und sah, dass Jaansen, einer der Top-Ingenieure, neben ihm stand — groß, schlank und so blass wie die Mitternachtssonne.

Ohne ein Wort schob Timoschenko den Plastikbecher unter die Cola-Düse und drückte auf die Taste. Dann ging er weg und suchte nach einem Tisch, an dem noch niemand saß. Als er das Tablett abstellte, kam jedoch auch schon Jaansen mit einem Salat und einem Glas Milch zu seinem Tisch.

»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, fragte Jaansen und stellte schon das spartanische Mittagessen auf den Tisch. »Ich muss mit Ihnen sprechen.«

»Worüber?«, fragte Timoschenko. Jaansen war einer der Chefs und stand ein paar Sprossen über ihm auf der Leiter.

»Politik«, sagte Jaansen, zog einen Stuhl unterm Tisch hervor und setzte sich.

Mit einem Mal war Timoschenko der Appetit vergangen. »Ich interessiere mich überhaupt nicht für Politik«, sagte er.

»Früher hatten Sie sich aber dafür interessiert. Sie waren sogar ein engagierter Aktivist.«

»Sie sehen ja, wohin mich das gebracht hat.«

Jaansen machte eine vage Handbewegung. »Aber hier ist es doch gar nicht so schlimm, oder? Wenn Sie schon ins Exil gehen müssen, dann ist dieser Ort besser als die meisten anderen.«

»Sind Sie auch ins Exil geschickt worden?«, fragte Timoschenko spontan.

»Nein, ich bin freiwillig hierher gekommen. Für mich ist das eine Gelegenheit, eine große Engineering-Operation zu leiten.«

»Den Chef zu markieren, meinen Sie wohl.«

»Sie könnten auch ein Chef sein«, sagte Jaansen. »Sogar der oberste Chef von allen.«

Timoschenko schaute ihn finster an.

»Ich meine das wirklich so, Ilja. Sie könnten sich für das Amt des Verwaltungschefs bewerben, sobald die neue Verfassung in Kraft getreten ist.«

»Sie machen wohl Witze.«

»Das ist mein voller Ernst. Sie könnten kandidieren, und Sie hätten gute Aussichten auf den Sieg. Alle Ingenieure und Techniker würden für Sie stimmen. Das ist ein großer Stimmenblock.«

»Und weshalb sollten sie wohl für mich stimmen?«

»Weil Sie einer von uns sind. Alle kennen und respektieren Sie.«

Timoschenko grunzte verächtlich. »Ich habe kaum Freunde. Es kennt mich auch kaum jemand, und diejenigen, die mich kennen, mögen mich nicht besonders. Und ich kann es ihnen nicht einmal verdenken.«

Jaansen ließ aber nicht locker. Er zog den Palmtop aus der Tasche seiner Kutte und gab Zahlen ein, während er sprach.

»Politik ist im Grunde nichts anderes als Arithmetik«, sagte er und tippte fleißig Zahlen ein. »Sie werden von Ihren Kollegen viel mehr respektiert, als Sie glauben. Sie werden eher für sie als für Urbain stimmen, und…«