»Drei Minuten«, ertönte Fritz' monotone Stimme. Er klang gelangweilt.
Gaeta grinste. Ich hab' genug Saft im Antriebstank, um bis zu diesem Abflussrohr zu fliegen, sagte er sich. Spätestens dann wäre Fritz wohl nicht mehr gelangweilt!
»Worüber lachst du denn?«
Gaeta wurde sich bewusst, dass er vernehmlich gelacht haben musste, und Fritz hatte es empfangen. »Lachen? Wer, ich?«
»Nein, der Mann im Mond«, erwiderte Fritz. »Worüber hast du gelacht?«
»Über gar nichts«, sagte Gaeta und sagte sich zugleich, was für ein Spaß es wäre, aus der Schleuse zu springen und einen Rundflug ums Habitat zu machen.
»Und?«, fragte der Skipper gereizter als je zuvor.
Tavalera schaltete den Laser aus und schaute auf die Klinke. Der Strahl hatte sie zur Hälfte durchtrennt.
»Gib mir noch ein paar Minuten«, sagte er.
»Mach schon voran. Das Fenster schließt sich in weniger als zehn Minuten.«
Tavalera nickte im Kugelhelm und schaltete wieder den Laser ein. Gleißende Funken stoben.
»Wieso die Verzögerung?«, ertönte eine Männerstimme im Lautsprecher.
Wahrscheinlich der Boss der Habitats-Besatzung, der auf den dritten Brennstofftank wartet, sagte Tavalera sich.
»Wir haben ein Problem mit dem Entriegelungsmechanismus des Tanks«, antwortete der Skipper. »Wir arbeiten dran. Wir werden ihn in ein paar Minuten zu euch schicken.«
Ihre Stimme war honigsüß im Vergleich zu dem Ton, den sie ihm gegenüber anschlug, sagte er sich.
»Der Befestigungspunkt dreht sich aus der Position«, sagte die Stimme gereizt. »Und meiner Besatzung läuft die Zeit davon. Einen so langen Kontakt hatten wir nicht eingeplant.«
»Ich werde den Anflugwinkel anpassen«, sagte der Skipper angespannt. »Das sollte kein Problem sein.«
»Die Zeit drängt.«
»Ja, ja, nur mit der Ruhe. Wir arbeiten dran.«
Wir, sagte Tavalera sich missmutig.
»Tavalera«, schrie der Skipper ihn so laut an, dass er zusammenzuckte. »Erledige das endlich!«
»Ich bin fast durch«, sagte er und drehte sich, damit sie sah, dass die Klinke fast schon durchschnitten war.
Dann ging der Laser aus.
»Was ist denn jetzt wieder los?«, keifte sie.
»Weiß nicht«, murmelte Tavalera und schüttelte das nutzlose kleine Werkzeug. »Ich glaube, der Kondensator muss wieder aufgeladen werden.«
»Brich sie durch!«
»Hä?«
»Die Klinke, du Volltrottel! Sie ist doch fast schon durchtrennt. Brich sie ab! Sofort!«
Ohne weitere Überlegung ließ Tavalera den Laser los und packte die Metallklinke mit beiden behandschuhten Händen. Sie gab aber keinen Millimeter nach.
»Brich sie ab!«, schrie der Skipper ihn an. »Mach schon!«
Verzweifelt packte Tavalera den Laser mit einer Hand, während er mit der anderen die Klinke gepackt hielt. Vielleicht hat der Kondensator doch noch etwas Power, sagte er sich und betätigte den Abzug.
Es geschah alles so plötzlich, dass er keine Chance hatte, es zu verhindern. Der Laser feuerte eine Salve von Pikosekunden-Pulsen. Dann hatte Tavalera die Klinke in der Hand und verlor das Gleichgewicht. Er taumelte und ließ den Laser los. Der wirbelte zum Ende der Leine, wurde abrupt abgebremst und schnellte wieder zu Tavalera zurück.
Dabei wurde noch eine Salve von Pulsen abgefeuert, die ihn ins Bein trafen.
Er schrie schmerzerfüllt auf. Der Brennstofftank riss sich von der Graham los und driftete ab in den Raum.
»Verdammt! Er entfernt sich von uns!«, rief der Boss der Habitat-Besatzung.
»Ich kann ihn nicht stoppen«, schrie der Skipper zurück.
Tavalera war das egal. Der Schmerz, der ihm durchs Bein schoss, war so stark, dass er fast die Besinnung verlor. Er wusste, dass er sterben würde — die Frage war nur, ob er eher verbluten oder ersticken würde, während die Luft aus dem Anzug entwich.
Rettung
Gaeta hatte nichts anderes zu tun, als in der Luftschleuse zu stehen und darauf zu warten, dass Fritz ihn übers Ende des Tests informierte. Also tippte er auf die Tastatur am Ärmel des Anzugs, um den Gesprächen der Crew zu lauschen, die die Brennstofftanks am Habitat anflanschte.
Offenbar gab es Probleme mit dem dritten Tank — er war noch immer draußen beim Transportschiff, und jemand machte sich mit einem Laser-Schweißbrenner daran zu schaffen.
»…verdammter Idiot«, hörte er die keifende Stimme einer Frau, »…wie, zum Teufel, hast du nur den Anzug beschädigt?«
»Ich brauche Hilfe!« ertönte eine ängstliche Stimme. »Ich blute.«
Bluten?, fragte Gaeta sich. Beschädigter Anzug?
Dann sagte eine dritte — männliche — Stimme ebenso verärgert wie besorgt: »Der Tank ist vom Kurs abgekommen! Wir kommen nicht an ihn ran!«
»Ich kann auch nichts machen«, jammerte die Frau. »Er hat es vermasselt.«
»Helft mir«, rief die Stimme des Verwundeten.
»Wir können dich nicht erreichen, verdammt!«, belferte der Mann. »Du driftest in Gegenrichtung ab und bist fast schon außerhalb unserer Reichweite.«
»Ich sterbe…«
»Das hast du deiner eigenen Dummheit zu verdanken«, kreischte die Frau.
Gaeta schaltete wieder auf die Interkom-Frequenz um und sprach ins Helmmikrofon: »Schalte alle Kameras an, Fritz.«
»Was? Was hast du denn vor?«
»Schalte die Kameras an,, verdammt!«, blaffte Gaeta und stürzte sich aus der Luftschleuse. Das ist ein Job für Superman, sagte er sich.
Die Triebwerke des Anzugs zündeten schon beim ersten Versuch, und Gaeta sah, dass er in der Grabesstille des leeren Raumes auf den vagabundierenden Brennstofftank zuflog. Doch im Helmlautsprecher herrschte alles andere als Stille.
»Komm zurück!«, schrie Fritz. »Du kannst…«
Gaeta wechselte einfach von der Interkom-Frequenz zur hektischen Kommunikation der anderen.
»…können, verdammt noch mal, nichts machen«, sagte der Chef der Besatzung.
»Er wird dort draußen umkommen!«, sagte die verzweifelte Frau.
Der Verwundete selbst meldete sich nicht mehr.
»Dranbleiben«, sagte Gaeta ins Mikrofon. »Ich werde ihn zurückholen.«
»Wer, zum Teufel, ist das denn?«
»Manuel Gaeta«, stellte er sich vor. »Ich bin zu dem Verletzten unterwegs. Seht ihr mich?«
»Ja!«, sagten der Besatzungs-Chef und die Frau im Chor.
Der Brennstofftank wurde größer. Mein Gott, was für ein Brocken, sagte Gaeta sich. Trotz allem musste er lachen. Huevos tremendos.
»Wie ist sein Name?«, fragte Gaeta, während er auf den Brennstofftank zuflog.
»Was?«
»Wer hat das gefragt?«
»Der Name der verletzten Person. Wie ist ihr Name?«
»Tavalera«, erwiderte die Frau. »Raoul Tavalera.«
Ein Chicano, sagte Gaeta sich. »He, Raoul, habla Espanol?«, rief er.
Keine Antwort.
»Raoul!«, schrie Gaeta. »Raoul Tavalera! Wo bist du? Bist du in Ordnung?«
»Ich bin… hier.« Die Stimme klang sehr schwach. »Aber nicht mehr lange.«
»Halte durch, Mann«, sagte Gaeta. Der Brennstofftank füllte bereits den größten Teil des Blickfelds aus und raste wie eine riesige runde Metall-Welt auf ihn zu. »Dein Anzug hat sich wahrscheinlich selbst abgedichtet und auch die Blutung gestillt.«
Nichts.
»Wo bist du verletzt, Mann?«, fragte Gaeta, während er den Anflug verzögerte und sich für die Landung auf der riesigen Kugel vorbereitete.
»Am Bein…«
»Ach, das ist nicht so schlimm. Du kommst schon wieder in Ordnung.«