»He, Gajetta oder wie auch immer du heißt«, unterbrach der Chef der Besatzung ihn. »Ich hole meine Leute rein, um den Sauerstoffvorrat zu ergänzen und schicke dann noch ein paar Gleiter raus, um den Tank abzufangen.«
»Was ist mit Tavalera?«, fragte die Frau unwirsch.
Gaeta driftete um die Wölbung des Tanks und hielt nach dem Verletzten Ausschau. »Ich sehe ihn«, rief er. »Ich werde mich um ihn kümmern.«
Tavalera trieb, von der Leine gehalten, ein paar Meter über der Oberfläche des Tanks. Gaeta sah, dass sein linkes Bein von drei kleinen Brandlöchern perforiert war.
Sonst schien der Hartschalenanzug unbeschädigt; die Sicherheits-Manschette musste das Bein wie vorgesehen abgedichtet haben.
Gaeta löste Tavaleras Leine und hängte sie in seinen Panzeranzug ein. Dann machte er sich mit dem verletzten Astronauten in den Armen auf dem Rückweg zur Luftschleuse des Habitats.
»Hörst du mich, Mann?«, fragte er Tavalera und klopfte ihm auf den Kugelhelm.
Tavalera schlug die Augen auf. »Wer, zum Teufel, bist du?«, fragte er benommen.
Gaeta grinste. »Dein Schutzengel, Mann. Ich bin dein verdammter Schutzengel.«
Holly beobachtete die ganze Aktion auf Fritz' tragbarem Monitor. Sie verfolgte mit den anderen Technikern, wie Gaeta mit dem schlaffen Astronauten in den mächtigen Armen des Panzeranzugs zur Luftschleuse zurückkehrte.
Er hat ihn gerettet, sagte Holly sich mit klopfendem Herzen. Er hat diesem Mann das Leben gerettet.
Während die Techniker die Luftschleuse mit Luft füllten, lief Holly zum Wandtelefon an der Innenluke und rief einen Rettungssanitäter. Selbst auf dem handtellergroßen Display des Telefons war das Erstaunen im Gesicht des Sanitäters deutlich zu erkennen, aber er versprach, in weniger als fünf Minuten ein Team zur Luftschleuse zu schicken.
Die innere Luke öffnete sich mit einem Seufzen, und Gaeta ging hindurch, den verletzten Astronauten im Arm.
»Hast du alles aufgenommen?«, fragte Gaeta, wobei seine Stimme vom Anzug zu einem Dröhnen verstärkt wurde. »Waren die Kameras alle an?«
»Ja, ja«, sagte Fritz. Er klang ungehalten. »Du wirst schon auf allen Nachrichtenkanälen erscheinen, nur keine Sorge.«
Drei Sanitäter in weißen Overalls kamen durch den Gang zur Luftschleuse geeilt, gefolgt von einer selbst fahrenden Trage und einer Art Rettungswagen. Sie zogen dem Verletzten schnell den Helm aus, klatschten ihm eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht, schälten ihn aus dem Anzug und stachen ihm eine Kanüle in den Arm. Dann transportierten sie ihn zur Krankenstation im Dorf ab.
Holly wandte sich an Gaeta, der noch immer im massiven Anzug steckte.
»Du hast ihm das Leben gerettet«, sagte sie und schaute zu ihm auf. Sie vermochte sein Gesicht durchs stark getönte Visier kaum zu erkennen.
»Er hat für eine schöne Publicity gesorgt«, sagte Fritz mit einer gewissen Schärfe in der Stimme.
»Er hat sein Leben riskiert, um einen Menschen in Not zu retten«, entgegnete Holly.
»Ja, er hat sein Leben riskiert«, sagte Fritz mit einem beinahe empörten Schnaufen. »Und er hat auch den Anzug riskiert, der 'zig Millionen wert ist.« Er schaute zu Gaeta auf und fügte hinzu: »Einen Draufgänger finden wir immer wieder; den Anzug zu ersetzen wäre aber nicht so leicht. Oder so billig.«
Gaeta lachte; es klang wie Donner, der von den Metallwänden des Korridors widerhallte. »Komm schon, Fritz, gehen wir in die Werkstatt, damit ich endlich aus dieser Blechbüchse rauskomme.«
Holly ging neben Gaeta her, die Tupperdose mit dem Chili in der Hand. Es war inzwischen eiskalt. Gaeta stapfte durch den Gang wie ein martialischer Roboter in einem schlechten Video, auf der anderen Seite flankiert von Fritz. Die Techniker liefen hinterher.
Schließlich erreichten sie die Werkstatt, und die Techniker öffneten die Luke im Rücken des Anzugs. Gaeta kroch heraus, richtete sich auf und streckte befreit die Arme über den Kopf. Holly hörte Wirbel knacken.
»Verdammt, tut das gut«, sagte er lächelnd.
Sie trat näher an ihn heran und sah, dass seine Kleidung völlig durchgeschwitzt war. Er roch wie alte Käsesocken.
Gaeta sah ihren Gesichtsausdruck. »Ich sollte wohl erst mal duschen, was?«
Fritz grollte ihm noch immer. »Ein Weltraumspaziergang war nicht eingeplant. Du hättest das nicht tun dürfen. Was, wenn die Antriebseinheit versagt hätte? Sie war noch nicht für die Flugzulassung getestet.«
Gaeta grinste ihn an. »Fritz, jetzt ist sie getestet. Es hat alles bestens funktioniert. Sei doch nicht so ein miesepetriger fregado. Außerdem hätte ich den Mann dort draußen doch nicht seinem Schicksal überlassen können.«
»Trotzdem hattest du kein Recht…«
»Lass gut sein, Fritz. Es ist vorbei, und dem wertvollen Anzug ist auch nichts passiert.« Dann sagte er an Holly gewandt: »Warte noch ein paar Minuten, Mädchen. Ich muss erst mal duschen und frische Klamotten anziehen.«
Er ging ins Bad am hinteren Ende der Werkstatt und pfiff dabei — ziemlich falsch — eine Melodie. Holly sah, dass die Techniker sich dem Anzug widmeten, die Systeme überprüften und sie der Reihe nach abschalteten.
Gaeta kam zurück — er trug einen frischen Overall, und das nasse Haar war zurückgekämmt.
»Wo gehen wir essen?«, fragte er. »Ich bin schon am Verhungern.«
Fritz warf einen Blick auf die Armbanduhr. »Die Restaurants haben alle schon geschlossen. Wir werden in unseren Quartieren essen müssen.«
Holly hob die Tupperdose hoch. »Ich habe noch Chili, aber es muss erst wieder aufgewärmt werden.«
»Chili! Lecker!«, sagte Gaeta.
»Es reicht aber nicht für uns alle«, sagte Holly mit einem Blick auf Fritz und die anderen Techniker.
Gaeta fasste sie am Arm und ging mit ihr zur Tür des Labors. »Aber für uns beide reicht es doch, oder? Diese Clowns sollen selbst sehen, wie sie zu ihrem Abendessen kommen.«
Holly ließ sich von ihm auf den Gang hinausführen, ohne sich noch einmal zu den anderen umzudrehen. Das werde ich Malcolm melden müssen!, sagte sie sich.
Charles Nicolas war ein rundlicher, kinnloser, kleiner Mann, der das Talent hatte, selbst in einem legeren Hemd und einer bequemen Hose korrekt gekleidet zu wirken. Als Leiter der Nachtschicht im Kommunikations-Büro hatte er Gaetas Heldentat fasziniert mitverfolgt.
Seine Assistentin, Elinor, war auch seine Frau. Sie war etwas größer als er, viel dünner und beherrschte die Kunst, in C A — Klamotten wie ein Dior-Model zu wirken. Sie verbrachten jeden wachen Augenblick zusammen und schliefen natürlich auch im selben Bett. Wo Charles jedoch von Gaetas Leistung bei der Rettung des Astronauten schwärmte, war Elinor skeptischer.
»Vielleicht haben sie die ganze Sache auch inszeniert«, sagte sie in ihrer piepsigen und dennoch sexy Stimme zu ihrem Mann.
Charles spielte das Video erneut ab. »Inszeniert? Wie hätten sie das denn inszenieren sollen? Es war ein Unfall. Der Junge hätte dabei umkommen können.«
»Sie hätten es schon vor Wochen zu inszenieren vermocht. Als PR-Maßnahme.«
»Es hat aber niemand zugeschaut außer uns und der EVA-Crew.«
»Aber sie haben alles auf einem Speicherchip, nicht wahr? Sie werden es zu den Sendern auf der Erde übertragen.«
Charles schüttelte den Kopf. »Dazu brauchten sie eine Genehmigung. Sie werden Vyborg fragen müssen; er ist für die Pressemitteilungen zuständig.«
»Er wird es genehmigen«, sagte Elinor. »Sie müssen ihn nur fragen. Er liebt die Öffentlichkeit.«
»Professor Wilmot aber nicht.«
»Dann fragen sie Wilmot erst gar nicht. Sie wenden sich an Vyborg, und er wird es genehmigen und Wilmot einfach übergehen.«
»Meinst du?«
»Ich wette einen Fünfer mit dir«, erwiderte Elinor.