Mit einem Stirnrunzeln kontrollierte Eberly die Vordertür. Sie war gut verschlossen. Und doch war Kananga gekommen und gegangen, als ob sie weit offen gestanden hätte.
425 Tage nach dem Start
Holly wachte langsam aus etwas auf, das ein Traum gewesen zu sein schien.
Manny war natürlich weg. Er war gegangen, nachdem sie es hier in ihrem Bett miteinander getrieben hatten. Er hatte sie im Liebestaumel benommen und erschöpft zurückgelassen; sie spürte noch die Wärme durch die Berührungen seiner Hände, der Küsse und seines Körpers, der sich an sie geschmiegt hatte.
Sie schaute lächelnd zur Decke empor. Dann kicherte sie. Ich muss Don Diego unbedingt sagen, was für ein tolles Chili er da gekocht hat. Ein richtiges Aphrodisiakum.
Ein Blick auf die Digitaluhr auf dem Nachttisch sagte ihr, dass sie eigentlich aufstehen, duschen, sich ankleiden und ins Büro gehen müsse. Trotzdem blieb sie in Gedanken versunken auf den zerknitterten, verschwitzten Laken liegen.
Doch dann schoss ihr etwas durch den Kopf und riss sie aus ihren Nachbetrachtungen. Malcolm! Was, wenn er es herausfindet? Ich wollte ihn doch nur eifersüchtig machen und seine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Nun wird er mich hassen!
Das Telefon summte.
»Kein Bild«, sagte Holly scharf. »Antworten.«
Malcolms Gesicht erschien in der Luft überm Fußende des Bettes. Sie stieß einen stummen Schrei aus. Er weiß Bescheid!
Er hat es herausgefunden! Holly setzte sich ruckartig auf und krallte die Finger in die Laken, obwohl sie wusste, dass Eberly sie nicht sehen konnte. Schuldgefühle schlugen in Wellen über ihr zusammen und löschten alle anderen Empfindungen aus.
»Holly, sind Sie da?«, fragte Eberly und schielte leicht, als ob dadurch ihr Bild in seinem Apartment sich manifestieren würde.
»Ja, Malcolm«, sagte sie bemüht ruhig. »Ich… bin heute Morgen etwas spät dran.«
»Noch mal zu diesem Mann, den Gaeta gestern Abend an Bord des Habitats gebracht hat«, sagte Eberly und ignorierte das Zittern in ihrer Stimme. »Er wird so lange im Habitat bleiben, bis jemand sich bereit erklärt, ein Schiff zu schicken und ihn abzuholen.«
Er weiß es nicht!, sagte sie sich; sie war so erleichtert, dass sie fast wieder in die Kissen gesunken wäre. Mit Mühe und Not vermochte sie Eberlys Projektion mit einem »Ja?« zu antworten.
»Ich möchte, dass Sie ihn befragen, sobald die Sanitäter die Quarantäne aufgehoben haben. Wir brauchen ein vollständiges Dossier über ihn.«
Er weiß es nicht, sagte sie sich erneut. Es ist alles in Ordnung. Er weiß nichts davon. »Ich verstehe. Natürlich.«
»Gut. Veranlassen Sie gleich alles.«
Hollys Verstand begann wieder zu arbeiten. »Haben Sie Morgenthau schon Bescheid gesagt?«, fragte sie.
Seine Brauen zogen sich etwas zusammen. »Sagen Sie ihr Bescheid.«
Sie nickte. »Alles klar. Gut. Ich werde sie informieren. Sie will nämlich über alles informiert werden, müssen Sie wissen.«
»Sie werden sich darum kümmern«, sagte er beinahe schroff.
»Geht klar.«
Nun schien er doch die Zurückhaltung in ihrer Stimme zu bemerken. »Holly, wäre es Ihnen lieber, wenn ich mit Morgenthau spreche?«
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Ach, Malcolm, ich will Sie damit doch nicht behelligen.« Innerlich war sie jedoch schier aus dem Häuschen. Ihm liegt etwas an mir! Ihm liegt wirklich etwas an mir!
»Ich werde sie anrufen«, sagte er und lächelte sie an. »Wenn Sie dann im Büro sind, wird sie schon Bescheid wissen.«
»Danke, Malcolm!«
»Keine Ursache«, sagte er. Dann brach er die Verbindung ab, und der Bildschirm wurde dunkel.
Holly blieb im Bett sitzen. Sie fühlte sich plötzlich elend, weil sie mit einem anderen Mann geschlafen hatte, und hatte schreckliche Angst, dass Malcolm es herausfinden könnte.
Als Ruth Morgenthau an jenem Morgen im Büro erschien, saß sie Sammi Vyborg schon vor ihrem Schreibtisch sitzen und auf sie warten.
»Ich dachte, Sie würden den Vorbeiflug am Jupiter beobachten«, sagte sie, ging um den Schreibtisch herum und sank schwer auf den gepolsterten Stuhl.
Vyborg beugte sich nach vorn. »Durch die Heldentat dieses Stuntmans ist der Vorbeiflug vergleichsweise zu einer Bagatelle geworden. Jeder Sender bringt das Video.«
»Ja?«, fragte Morgenthau. »Wieso sind Sie dann hier? Wenn es um den Flüchtling geht«, sagte sie hochnäsig, »darüber habe ich schon mit Eberly gesprochen. Er will, dass Holly…«
»Es geht nicht um den Flüchtling«, sagte Vyborg kühl.
Sie musterte ihn eingehend. Sein schmales Totenkopf-Gesicht wirkte durch den unterdrückten Zorn noch grimmiger als sonst.
»Worum geht es dann?«
»Eberly hat mir versprochen, mich zum Leiter der Kommunikations-Abteilung zu machen. Aber er unternimmt nichts in dieser Richtung.«
»Solche Dinge brauchen Zeit, Sammi«, beschwichtigte Morgenthau ihn. »Das wissen Sie doch. Sie müssen Geduld haben.«
»Er hat bisher noch keinen Finger gerührt«, insistierte Vyborg.
»Geduld, Sammi. Geduld.«
Seltsamerweise lächelte Vyborg. Morgenthau mutete es wie das Lächeln einer Klapperschlange an, die auf ihr Opfer zuglitt.
»Ich habe einmal einen Zeichentrickfilm gesehen«, sagte er, »wo zwei Geier im Geäst eines Baums saßen. ›Nur Geduld, du Arsch, ich werde jemanden killen‹, sagte der eine zum andern.«
Morgenthau spürte, wie sie bei Vyborgs rüder Diktion rote Wangen bekam. »Und wen würden Sie gern killen?«
»Natürlich die beiden Leute, die zwischen mir und der Leitung der Kommunikationsabteilung stehen.«
»Ich würde davon abraten…«
»Keiner von beiden ist ein Gläubiger. Der Abteilungsleiter ist ein Jude — nicht dass er die Gebote seiner Religion befolgen würde. Der andere ist ein alter Knacker von einem Mexikaner, der mehr Zeit mit Gärtnern als im Büro verbringt. Ihn loszuwerden dürfte kein Problem sein.«
»Sie dürfen aber nichts unternehmen, ohne zuvor Eberlys Genehmigung einzuholen.«
»Spielen Sie keine Spielchen mit mir. Wir beide wissen doch, dass Eberly nichts anderes als eine Schießbudenfigur ist. Sie sind hier die eigentliche Autorität.«
»Unterschätzen Sie Eberly nicht. Er vermag gut mit Menschen umzugehen. Er ist ein charismatischer Charakter. Ich will nicht, dass Sie überstürzt handeln.«
»Ja, ja. Aber ich glaube an den alten Spruch ›hilf dir selbst, dann hilft dir Gott‹. Ich habe das Warten satt. Es wird Zeit, zur Tat zu schreiten.«
Morgenthau schürzte missbilligend die Lippen. Aber sie sagte nichts.
Holly duschte, frisierte sich und kleidete sich an. Und bevor sie das Apartment verließ, rief sie noch Morgenthau an.
»Dr. Eberly möchte, dass ich den Neuankömmling befrage«, sagte sie zur Projektion Morgenthaus. »Ich habe mich in der Medizinischen Abteilung erkundigt; die Quarantäne wird heute Morgen aufgehoben. Ich werde also gleich dorthin gehen und nicht erst ins Büro.«
Holly formulierte den Satz wie eine Absichtserklärung — weder als Frage noch als Bitte um Erlaubnis. Eberlys Name an sich war schon die Genehmigung.
Morgenthau schien das genauso zu sehen. »Eberly hat mich vorhin schon angerufen und mir Bescheid gesagt. Ich danke Ihnen trotzdem, dass Sie mich informiert haben, Holly. Ich sehe Sie im Büro, wenn Sie vom Krankenhaus zurückkommen.«
Raoul Tavalera saß im winzigen Solarium des Hospitals, unter einer Glaskuppel auf dem Dach des Gebäudes. Obwohl es schon Vormittag war und Licht durch die Sonnenfenster des Habitats strömte, kam Holly es so vor, als ob es ein etwas trüber Tag sei. Das Sonnenlicht wirkte schwach, als ob es durch eine dünne Wolkenschicht gefiltert würde. Wir sind fünfmal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, sagte sie sich. Natürlich ist das Sonnenlicht schwächer.