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Es war nicht viel, was sie hatte. Doch Holly verfolgte diesen einen Hinweis wie ein Spürhund. Sie hielt es für einen Hinweis. Sie war davon überzeugt, dass Don Diego ermordet worden war.

Aber wieso? Und von wem?

Sie schloss die Augen und ließ die Szene erneut Revue passieren, als sie die Leiche des alten Manns gefunden hatte. Keine Spuren eines Kampfs. Keine Besonderheiten auf der zum Kanal hinunterführenden Böschung außer Fußspuren. Abdrücke von Stiefeln, genauer gesagt.

Professor Wilmot verbrachte die Abende wie immer mit der Betrachtung von Videofilmen. Wenn er sich in seinen Lieblingssessel setzte, mit der Rechten genießerisch das Whiskyglas schwenkte und sich seine Sadomaso-Pornos zu Gemüte führte, vergaß er das Habitat und alle Probleme. Wenn eine Szene besonders abstoßend war, verspürte er manchmal den Anflug eines Schuldgefühls. Aber das verflog bald wieder. Das ist alles nur gestellt, sagte er sich. Man würde solche Videos doch nicht produzieren, wenn es keinen Markt für sie gäbe. Ich bin schließlich nicht der Einzige, der so etwas goutiert.

Er hatte die Kollektion, die er an Bord des Habitats mitgebracht hatte, schon zweimal angesehen und die Lieblings-Videos noch öfter. Wochenlang spielte er mit dem Gedanken, Nachschub von der Erde anzufordern. Es werden doch laufend neue Streifen gedreht, sagte er sich. Neue Gesichter. Neue junge Körper.

Es war allerdings riskant, einen Lieferanten auf der Erde anzurufen und neue Videos zu bestellen. Selbst wenn er die Bestellung über einen Mittelsmann in Selene abwickelte, würde man die Anrufe zum Habitat zurückverfolgen können. Aber es leben hier zehntausend Menschen, sagte er sich. Wie sollte man auf die Idee kommen, dass ausgerechnet ich es bin und nicht irgendein Farmarbeiter? Zumal ich mit Sicherheit nicht der Einzige an Bord bin, der einen ähnlichen Geschmack hat und solche Bestellungen tätigt.

Nachdem er nun wochenlang mit sich gerungen und immer dieselben alten Videos geschaut hatte, schickte er über die aus einem gebündelten Laser bestehende Kommunikations- Verbindung des Habitats eine Order an die Erde ab. Sie war natürlich codiert. Es wird schon niemand etwas merken, sagte Wilmot sich. Wer sollte auch die Kommunikations- Verbindung anzapfen? Es ist ja nicht so, dass ich meinen persönlichen Telefonanschluss benutzt hätte. Es müsste schon jemand sämtliche aus- und eingehenden Nachrichten abfangen, um meine kleine Bestellung zu finden. Wer wäre wohl so fanatisch?

87 Tage bis zur Ankunft

»Es ist wirklich bemerkenswert«, sagte Wilmot zu seinem Computer. »Sie haben eine Verfassung ausgearbeitet und bereiten Wahlen vor. Zu dem Zeitpunkt, wenn wir in eine Umlaufbahn um den Saturn gehen, werden sie bereit sein, die Macht auf die neue Regierung zu übertragen.«

Der Computer verschlüsselte die Worte automatisch für die Übertragung zur Erde: zum Hauptquartier der Neuen Moralität in Atlanta, den heimlichen Sponsoren der Saturn- Mission. Wilmot war der Einzige an Bord des Habitats, der wusste, aus welcher Quelle sein Experiment finanziert wurde, und er hatte auch vor, dieses Geheimnis zu bewahren. Die Berichte für Atlanta waren privat, codiert und wurden über das automatisierte Lasersystern abgestrahlt anstatt über die regulären Kommunikationsverbindungen des Habitats.

»Dieser Eberly hat sich eine Art Hausmacht geschaffen«, fuhr Wilmot fort, »womit ich im Grunde gerechnet hatte. Die Wissenschaftler haben sich zu einer politischen Gegenmacht formiert, die von Dr. Urbain angeführt wird. Offen gesagt scheint Urbain sich mehr für die Befriedigung seiner persönlichen Eitelkeit zu interessieren als für Politik, aber die Technikfritzen scheinen ihn dennoch als Anführer zu akzeptieren.

Sogar die Ingenieure haben eine Art Block gebildet. Ihr Anführer ist ein russischer Exilant namens Timoschenko. Er behauptet zwar, dass er mit Politik nichts am Hut habe. Trotzdem hat er sich von den Ingenieuren als Kandidat für die Position des Verwaltungschefs nominieren lassen. Ich bezweifle aber, ehrlich gesagt, dass er auch nur den Hauch einer Chance hat.

Wohl gibt es hier und da ein paar Reibereien, doch im Großen und Ganzen sind die politischen Kampagnen ohne die üblichen Unflätigkeiten und Streitigkeiten abgelaufen — was außergewöhnlich anmutet, wenn man bedenkt, dass der Großteil unserer Population aus Dissidenten und Freidenkern besteht, die sich auf der Erde in die Bredouille gebracht haben. Meines Erachtens liegt das aber daran, dass der größte Teil der Bevölkerung sich keinen Deut um diese politische Kampagne schert. Die meisten Leute stehen ihrer eigenen Regierung völlig gleichgültig gegenüber. Wie sie überhaupt bestrebt sind, sich jeglicher Verpflichtung zu entziehen.«

Wilmot lehnte sich auf dem gemütlichen Bürostuhl zurück und las sich den Entwurf noch einmal durch, der über den Schreibtisch projiziert wurde. Zufrieden mit seinem Werk fuhr er fort:

»In drei Wochen werden die allgemeinen Wahlen stattfinden, durch die die neue Verfassung in Kraft tritt und in der die Personen gewählt werden, die die neue Regierung stellen sollen. Eberly ist der absolute Favorit. Ich werde ihn als neuen Verwaltungschef einsetzen und mich mit der zeremoniellen Präsidentenrolle begnügen müssen. Ich vermute, dass Eberly Urbain die Position eines ›Frühstücksdirektors‹ zuerkennen wird: vielleicht Vize- Verwaltungschef oder so etwas in der Art. Ich habe aber keine Ahnung, wie er mit dem Ingenieur Timoschenko verfahren wird.

Ein paar Leute aus Eberlys Umgebung lassen es zunehmend am gebührenden Respekt mir gegenüber fehlen. Er hat sich mit Hofschranzen umgeben, die sich für ziemlich wichtig halten, zum Beispiel mit diesem Vyborg, der nun die Kommunikationsabteilung leitet. Ich weiß auch, dass diese Morgenthau eine hohe Charge bei den Heiligen Jüngern ist. Es ist mir aber ein Rätsel, weshalb sie sich freiwillig zu dieser Mission gemeldet hat. Und dann dieser Kananga! Er macht einem richtig Angst.« So gab Wilmot einen ausführlichen Kommentar zu jedem bedeutenden Akteur bei den anstehenden Wahlen im Habitat ab. Bestimmt wäre er viel vorsichtiger mit seinen Äußerungen gewesen, wenn er gewusst hätte, dass jedes seiner Worte von Molekularfilm- Mikrofonen aufgefangen und für Eberly aufgezeichnet wurde.

Am späten Nachmittag war es ruhig in der Cafeteria. Sie war fast leer, nachdem die Leute mit dem Mittagessen fertig waren und der Ansturm zum Abendessen noch nicht eingesetzt hatte. Manuel Gaeta saß mit drei anderen an einem Tisch in der Nähe des Holofensters, aus dem man auf einen stillen See in den Rockies schaute: Ein Bild von der fernen Erde und lang vor den Folgen des Treibhauseffekts aufgenommen, der Millionen Menschen aus den überfluteten Städten vertrieben und sie gezwungen hatte, in solchen Regionen Zuflucht zu suchen.

Von den vier Leuten, die sich über den Resten ihres Mittagessens angelegentlich unterhielten, war Gaeta der Einzige, der halbwegs heiter schaute.

»Wir können es schaffen«, sagte Gaeta mit Nachdruck.

»Es wäre aber verdammt gefährlich, Manny«, sagte Kris Cardenas.

Nadia Wunderly nickte zustimmend. »Es wäre, als ob man an einem aus Maschinengewehren feuernden Erschießungs- Kommando vorbeiginge.«

Gaeta zuckte unbekümmert die Achseln. »Dann muss ich den Kugeln eben ausweichen. Was meinen Sie, Fritz?«, wandte er sich an von Helmholtz.

Von Helmholtz blickte ihn kalt an. »Haben wir denn nicht mit unserem eigentlichen Auftrag schon genug zu tun?«

»Wir werden die Titan-Aktion starten«, sagte Gaeta, »wenn wir die Erlaubnis der Wissenschaftler haben. Aber wieso sollten wir nicht ein paar Pirouetten durch die Ringe drehen, solange wir noch hier draußen sind?«

»Weil Sie dabei umkommen könnten«, sagte von Helmholtz schroff.

Gaeta machte eine Handbewegung, als ob der den Nagel auf den Kopf getroffen hätte. »Genau deshalb schauen die Leute doch zu. Fritz. Sie warten nur darauf, dass es mich erwischt.«