»Alpha kann normal dekontaminiert werden.«
»Ja, aber wenn Sie Nanomaschinen verwenden, müssen Sie das Schiff nicht so hohen Strahlungsdosen aussetzen. Würde man damit nicht die elektronischen Systeme schonen?«
Urbain setzte zu einer Erwiderung an und hielt wieder inne. »Ja. Auf jeden Fall«, sagte er dann.
»Ich wäre in der Lage, das in ein paar Tagen für Sie zu arrangieren. Und wenn wir dann im Saturnorbit sind, werde ich Ihr Raumschiff so gründlich dekontaminieren, dass es wieder so rein ist wie frisch gefallener Schnee.«
»Deshalb bin ich aber trotzdem nicht in der Lage, dem Stuntman eine Genehmigung für das Betreten der Oberfläche zu erteilen. Die IAA hat das untersagt. Mir sind die Hände gebunden.«
Übertreibe es nicht, sagte Cardenas sich. Immerhin hast du schon einen Fuß in der Tür. Lass es fürs Erste dabei bewenden.
Dennoch hörte sie sich sagen: »Es gäbe da noch etwas.«
Urbains Brauen gingen wieder nach oben.
»Es ist eher eine Kleinigkeit…«
»Worum geht's?«
»Eine von Ihren Mitarbeiterinnen, Dr. Wunderly…«
»Wunderly?«
»Sie braucht etwas Zeit an einem Teleskop, um die Ringe zu studieren.«
»Unmöglich. Ich habe ihr schon gesagt…«
»Es ist Ihnen doch sicher möglich, etwas Zeit an den Teleskopen für sie zu erübrigen«, sagte Cardenas. Es klang eher wie eine Feststellung als eine Bitte. »Schließlieh wollen Sie doch in ein paar Wochen mit Ihrem Raumschiff die Titanoberfläche erforschen, nicht wahr?«
Urbain zögerte. »Ja, das stimmt wohl.«
»Und Sie wollen es von Nanomaschinen in Schuss halten lassen.«
Ihm war deutlich anzusehen, dass er Cardenas' implizite Drohung verstand. »Ich verstehe. Ja. Also gut, ich werde versuchen, für Wunderly etwas Zeit an einem der Teleskope freizuschaufeln, damit sie ihre verdammten Ringe studieren kann.«
»Schön«, sagte Cardenas. »Und ich werde versuchen, einen Satz Nanomaschinen zu konstruieren, die Ihr Raumschiff automatisch instand halten, solange es auf Titan ist.«
»Und Alpha zu dekontaminieren«, erinnerte Urbain sie.
Cardenas bestätigte mit einem Kopfnicken und ging zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal um. »Wie läuft übrigens die Wahlkampagne?«
Urbain holte tief Luft, als ob er vom plötzlichen Themenwechsel überrascht wäre. Dann zuckte er die Achseln. »Sie nimmt einfach zu viel Zeit in Anspruch. Ich muss Reden halten und Positionspapiere zu allen möglichen Themen erarbeiten — von der medizinischen Versorgung bis zum Abfallrecycling. Hinz und Kunz meinen, mich mit dummen Fragen nerven und zu allem ihren Senf geben zu müssen.«
»Das nennt man wohl Politik«, sagte Cardenas mit einem leisen Lachen.
»Und ich befürchte, wenn ich erst einmal gewählt worden bin, wird es noch schlimmer werden.«
»Sie rechnen mit einem Sieg?«
»Natürlich. Dies ist schließlich eine wissenschaftliche Mission, nicht wahr? Der Zweck unseres Flugs zum Saturn ist rein wissenschaftlich.«
»Aber die Wissenschaftler machen nur einen kleinen Teil der Population aus«, gab Cardenas zu bedenken.
»Ja, natürlich. Aber die anderen werden trotzdem für mich stimmen. Das ist die einzige logische Wahl, die sie treffen können. Eberly ist der einzige Gegenkandidat, und er hat keinen wissenschaftlichen Hintergrund.«
»Und was ist mit dem Ingenieur, Timoschenko?«
Urbain zog eine Schnute. »Er ist ein Nichts. Ein Popanz. Die Ingenieure und Techniker werden mit überwältigender Mehrheit für mich stimmen.«
Cardenas verkniff sich die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Es bringt nichts, dem Mann seine Illusionen zu rauben, sagte sie sich. Am Wahltag wird er eine herbe Ernüchterung erfahren. Sie wird sein Ego verletzen; doch auf lange Sicht wird er wahrscheinlich froh sein, dass er aus der Politik ausgestiegen ist und sich voll auf diese Kiste namens Alpha konzentrieren kann.
45 Tage bis zur Ankunft
Die drei Frauen trafen sich zum Frühstück in der Cafeteria; sie waren so früh dran, dass der Saal erst zur Hälfte besetzt war. Holly hatte den Eindruck, dass das Lokal an diesem Morgen irgendwie anders wirkte — ruhig und gedämpft, als ob die Leute, die sich an der Essensausgabe anstellten, noch nicht ganz wach wären.
Sie sah Kris und Nadia Wunderly schon an einem Tisch setzen. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und ein fröhliches Grinsen im Gesicht.
Holly stellte ihr Tablett mit Melonenscheiben, Frühstücksflocken, Sojamilch und Malzkaffee ab und setzte sich hin.
Wunderly schaute fröhlich; ihre großen grauen Augen funkelten. »Ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken, dass Sie mir Zeit am Teleskop verschafft haben.
Sie müssten einmal die Dynamik dieser Ringe sehen! Es ist… Es ist…«
Cardenas lachte leise. »Ihnen fehlen die Worte?«
Wunderly schaute etwas verlegen. »Ich würde Ihnen gern die Bilder zeigen, die ich gemacht habe. Ihnen auch, Holly«, sagte Wunderly an sie gewandt.
Holly lächelte sie an. »Sicher. Ich würde sie auch gern sehen.«
»Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie Sie Urbain dazu bewogen haben, mich ans Teleskop zu lassen«, sagte Wunderly zu Cardenas.
»Mit List und Tücke«, sagte Cardenas noch immer grinsend. »Und mit einer Prise Erpressung.«
»Auf jeden Fall scheint es geklappt zu haben«, sagte Holly.
Wunderly steckte den Löffel in ihre Schüssel mit Soja- Joghurt. »Dank Ihnen, Kris, vermag ich Manny nun mit allen Daten zu versorgen, die er benötigt.«
Holly stülpte sich schier der Magen um. »Manny?«
»Er will im Sturzflug durch die Ringe«, erklärte Wunderly. »Doch ohne meine Hilfe wird er es nicht schaffen.«
»Ich habe Manny schon seit Wochen nicht mehr gesehen«, sagte Holly und schaute über den Tisch auf Cardenas. »Wie geht es ihm denn?«
»Blendend«, antwortete Wunderly.
Cardenas wirkte überrascht. »Wo Sie es sagen, ich habe ihn auch schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen — zuletzt beim abschließenden Test der Dekontaminations-Nanos.«
Wunderly ließ den Blick zwischen Holly und Cardenas hin und her schweifen. »Ich sehe ihn fast jeden Tag«, sagte sie. Etwas selbstgefällig, sagte Holly sich.
»Sehen Sie ihn auch nachts?«, fragte Cardenas und führte die Teetasse zum Mund.
»Sicher«, sagte Wunderly. »Manchmal.«
Überaus selbstgefällig, fand Holly.
»Er ist ziemlich gut, nicht wahr?«, sagte Cardenas.
Wunderly nickte erfreut.
Plötzlich wurde Holly heilhörig. »Kris, sind Sie mit Manny bis zum Äußersten gegangen?«, platzte sie heraus.
Cardenas wurde rot. Sie nickte hinter der Teetasse und sagte kleinlaut: »Ein paarmal. Aber Sie sagten doch, dass Sie nichts dagegen hätten. Erinnern Sie sich?«
»Ich habe auch nichts dagegen«, insistierte Holly. Der innere Aufruhr strafte sie jedoch Lügen.
Wunderlys Eulenaugen wurden noch größer als sonst. »Sie meinen, er hat mit Ihnen beiden geschlafen?« Cardenas stellte die Teetasse ab. »Zum Schlafen sind wir eigentlich kaum gekommen.«
Holly brach in Gelächter aus, und der Schmerz im Innern verschwand. »Er ist wirklich ein Hengst.«
Wunderly schien aber verletzt. »Sie beide…«, flüsterte sie. Das war keine Frage mehr.
Cardenas beugte sich über den Tisch und berührte Wunderlys Hand. »Er ist eben ein Mann, Nadia. Es bedeutet ihm gar nichts. Nur Spaß an der Freud'. Entspannung.«
»Aber ich dachte…«
»Nicht denken, Kind. Einfach genießen. Er wird bald zur Erde zurückfliegen. Haben Sie Spaß, solange Sie können.«