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Dann wurde sie sich jedoch bewusst, dass Malcolm sie zu diesem Treffen mit Kananga hierher gelotst hatte. Er hatte es überhaupt erst vorgeschlagen. Malcolm wusste, was hier vorging. Er ist ein Teil davon — wovon auch immer —, sagte sie sich.

Ihr war zum Weinen zumute. Malcolm ist in die Ermordung von Don Diego verstrickt. Und er wollte, dass Kananga mich ermordet!

Wem vermochte sie überhaupt noch zu trauen? An wen vermochte sie sich zu wenden? Ich kann auch nicht in mein Apartment zurück — da warten sie vielleicht schon auf mich. Kris! Ich werde Kris anrufen. Oder vielleicht Manny. Sie dachte darüber nach, während sie zwischen den Apfelbäumen am anderen Ende des Gartens hindurchlief. Vor ihr lagen die Reihen der Beerensträucher und dahinter der Abschluss des Habitats.

Nicht Manny, beschloss sie. Ich werde nicht wie ein hilfloses, kleines Mädchen, das den großen, starken Helden um Schutz bittet, zu ihm laufen. Außerdem würde er mir wahrscheinlich nicht glauben. Anders als Kris. Kris wird mir glauben. Aber — soll ich sie überhaupt in diese Sache verwickeln?

Sie ging weiter zum Ende des Habitats und sondierte die Optionen. Dabei stellte sie fest, dass sie nicht viele Optionen hatte. Falls Eberly dazugehört — wozu auch immer —, dann heißt das, dass Morgenthau und diese Schlange Vyborg auch dazugehören.

Im Ulmenhain am Ende des Habitats setzte Holly sich müde ins Gras und versuchte nachzudenken. Wie sie den Blick über die grüne Landschaft schweifen ließ, wirkte das Habitat genauso wie an dem Tag, als sie und Kris Cardenas hier Rast gemacht hatten. Aber es war nichts mehr wie zuvor, sagte Holly sich mit einem plötzlichen Gefühl der Leere. Ihre ganze Welt lag in Scherben. Ich wünschte, Pancho wäre hier, gestand sie sich ein. Pancho wüsste, was zu tun ist.

Holly holte den Palmtop aus der Tasche und betrachtete ihn. Es hat keinen Sinn, Pancho anzurufen; es würde fast eine Stunde dauern, bis die Nachricht sie erreichte. Und was sollte ich ihr überhaupt sagen? Hilfe, jemand versucht mich zu ermorden? Was würde das bringen?

Kris. Ich werde Kris anrufen. »Kris Cardenas«, sagte sie zum Palmtop.

Doch es tat sich nichts. Holly sah, dass der Monitor dunkel blieb. Das Gerät funktionierte nicht.

Sie haben mein Telefon deaktiviert! Wieso, fragte sie sich und gab sich auch gleich selbst die Antwort: Weil sie wollen, dass ich einen Festnetzanschluss benutze, damit sie mich lokalisieren können. Sie sind hinter mir her! Sie wollen mich aufspüren und aus dem Verkehr ziehen.

Zum ersten Mal hatte Holly richtig Angst.

Nanotech-Laboratorium

»Wir werden am darauf folgenden Tag fliegen, nachdem wir in eine Umlaufbahn um den Saturn gegangen sind«, sagte Gaeta.

Kris Cardenas, die in ihrem kleinen Büro am Schreibtisch saß, wirkte alles andere als erfreut. »Wieso denn schon so früh? Wieso warten wir nicht noch etwas und sammeln erst noch ein paar Daten?«

Gaeta lächelte sie an. »Es geht hier nicht um die Wissenschaft, Kris, sondern ums Showgeschäft. Wenn wir sofort loslegen, bekommen wir viel mehr Aufmerksamkeit und ein viel größeres Publikum. Wenn wir warten, bis diese chingado Wissenschaftler alle gewünschten Daten gesammelt haben, sind wir alt und grau, und kein Schwein wird sich mehr dafür interessieren.«

Ihre kornblumenblauen Augen funkelten. »Ich bin auch einer von diesen chingado Wissenschaftlern, Manny.«

Gaeta schürzte die Lippen und antwortete: »Du wärst eine chingada, die weibliche Form. Aber das bist du nicht. Das ist nämlich keine nette Bezeichnung, und du bist doch eine so nette Person.«

Cardenas war nicht amüsiert. »Ist es denn nicht schon gefährlich genug, ohne dass du dich gleich nach unserer Ankunft am Saturn in dieses Abenteuer stürzt?«

»Kris, ich liebe dich, aber ich glaube nicht, dass du mein Geschäft je verstehen wirst. Je gefährlicher, desto besser.«

»Bis du dich irgendwann selbst umbringst.«

»Ich werde mich schon nicht umbringen. Fritz wird das nicht zulassen. Es würde nämlich den verdammten Anzug ruinieren. Er würde mich umbringen, wenn ich das täte.«

Nun musste Cardenas doch lachen.

Raoul Tavalera steckte den Kopf über die Trennwand des Büros. »Ich mache jetzt Feierabend. Okay?«

»In Ordnung, Raoul«, sagte Cardenas.

Ein unsicherer Ausdruck umwölkte Tavaleras langes Gesicht. »Haben Sie heute Nachmittag schon von Holly gehört?«

»Nein.«

»Sie sagte, dass sie mich anrufen würde. Wir wollten zusammen zu Abend essen. Aber ich habe den ganzen Tag noch nichts von ihr gehört. Und sie geht auch nicht ans Telefon.«

»Ich dachte, wir würden heute Abend ins Nemo gehen, Kris«, sagte Gaeta, bevor Cardenas etwas zu erwidern vermochte.

»Soll mir recht sein. Ich habe auch nichts von Holly gehört, Raoul«, wandte sie sich wieder an Tavalera.

»Komisch«, sagte er. »Das sieht ihr gar nicht ähnlich, nicht anzurufen, obwohl sie es zugesagt hat.«

»Das ist wirklich seltsam«, pflichtete Cardenas ihm bei.

»Aber egal«, sagte Tavalera. »Ich mache jetzt Schluss. Der Hauptrechner arbeitet noch an den Assemblern für Dr. Urbain.«

Sie nickte. »Ich weiß. Schalten Sie noch die UV-Lampen an, bevor Sie gehen, in Ordnung?«

»Ja.«

»Also, wo ist sie?«, fragte Eberly.

Kananga setzte sich auf Vyborgs Sofa auf. Er hatte das nasse Handtuch weggelegt, aber die linke Wange war noch immer leicht geschwollen. »Ich habe alle meine Leute auf sie angesetzt. Wir werden sie bald haben.«

Eberly ging an Vyborg vorbei, der auf dem Lehnstuhl an der anderen Seite des Kaffeetischs saß. »Wir müssen sie finden. Und zum Schweigen bringen.«

»Das werden wir«, sagte Kananga.

»Sie kann nicht weit sein«, gab Vyborg zu bedenken. »Das Habitat ist zwar groß, aber so groß nun auch wieder nicht.«

Eberly schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. Seine Gedanken jagten sich. Sie haben mich da hineingezogen. Nun bin ich in ihr Verbrechen verwickelt. Ob ich will oder nicht. Diese verdammten Idioten; sie schaffen es nicht einmal, auf eine Frau aufzupassen, eine junge Frau, die fast noch ein Kind ist. Er schaute Kananga finster an, während er im Raum umherstiefelte. Oder vielleicht sind sie doch schlauer, als ich dachte. Vielleicht haben sie das alles genau so geplant, um mich da hineinzuziehen. Den Mord an dem alten Mann kann ich jedenfalls nicht mehr wie ein Damoklesschwert über ihnen schweben lassen.

Er blieb abrupt stehen und wies mit dem Finger auf Kananga. »Ich will, dass sie zu mir gebracht wird, sobald ihr sie gefunden habt. Haben Sie das verstanden? Keine Gewalt mehr. Ich werde mich um sie kümmern.«

Kananga zog die Brauen zusammen, so dass sie einen Strich bildeten. »Was haben Sie denn vor?«

»Das ist meine Sache. Ich regle das auf meine Art.«

»Sie kann mich aber des Mordes bezichtigen«, sagte Kananga.

»Und der Körperverletzung, vielleicht sogar eines Mordversuchs«, sagte Vyborg. »Auf jeden Fall aber der versuchten Vergewaltigung.«

»Sie« — Eberly wies auf Vyborg — »lassen jedes Telefon im Habitat überwachen. Ich will wissen, von wo aus sie anruft, wen sie anruft und was sie sagt.«

Vyborg nickte und erhob sich vom Stuhl.

Eberly ging zur Tür.

»Wohin gehen Sie?«, fragte Kananga.

»Zu Wilmot. Wenn wir diese Frau erwischen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass er uns nicht in die Quere kommt.«

Holly schlüpfte durch die Luke und stieg die Metallleiter zum Versorgungstunnel hinunter, der sich durch die gesamte Länge des Habitats zog. Vielleicht werden sie hier unten nicht nach mir suchen, sagte sie sich. Und selbst wenn sie es tun, kann ich mich tagelang in diesem Labyrinth verstecken. Solang es sein muss. Wie Jean Valjean in der Kanalisation. Während sie im stillen, schwach beleuchteten Tunnel entlangging, versuchte sie sich daran zu erinnern, wann sie Lt's Miserables gelesen hatte. Pancho hatte ihr jede Menge alten Kram zu lesen gegeben, nachdem sie aus dem Kryonik-Tank wieder auferstanden war. Panch nannte das Literatur. Das meiste davon war ziemlich langweilig. Jedoch erinnerte Holly sich lebendig an die Szene in der Kanalisation, die unter den Straßen von Paris verlief. Habe ich es vielleicht als Video gesehen, fragte sie sich. Vielleicht bevor ich gestorben bin? Sie schüttelte verwirrt den Kopf und sagte sich dankbar, dass die Tunnels des Habitats trocken waren und es keine Ratten gab. Holly sog prüfend die Luft ein und roch nichts. Vielleicht etwas Staub und ein leichter Hauch von Maschinenöl oder etwas in der Art. Wasser gluckerte in manchen Röhren. Sie hörte das allgegenwärtige Summen elektrischer Ausrüstung.