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Die automatische Beleuchtung des Tunnels schaltete sich bei ihrer Annäherung an und erlosch wieder, nachdem sie den jeweiligen Abschnitt passiert hat. Dann sah sie ein Wandtelefon.

Ich könnte Kris anrufen, sagte sie sich. Oder Manny. Er würde mir helfen. Er würde Kananga windelweich prügeln.

Doch sie verharrte vorm Telefon. Kananga ist der Chef der Sicherheitsabteilung. Er hat die ganze verdammte Sicherheitstruppe unter seinem Kommando. Und Malcolm macht gemeinsame Sache mit ihm. Wenn man sich bei ihnen nach mir erkundigt, könnten sie alles Mögliche erzählen: dass ich im Gefängnis wäre oder etwas in der Art. Meine Güte! Sie könnten sogar behaupten, dass ich Don Diego ermordet hätte!

Und wenn ich Kris oder sonst jemanden anrufe, würde ich sie auch gefährden. Holly spürte Panik in sich aufsteigen. Was soll ich nur tun? Was kann ich überhaupt tun?

Sie lehnte sich gegen die Metallwand des Tunnels und rutschte an ihr auf den Boden. Am besten tust du erstmal gar nichts, sagte sie sich. Du bist hier in Sicherheit, jedenfalls fürs Erste. Niemand weiß, wo du bist. Du kannst hier unten bleiben, bis du weißt, wie es weiter gehen soll.

Oder bis du verhungert bist. Sie ließ in beiden Richtungen den Blick durch den Tunnel schweifen. Er war dunkel. Gut. Falls jemand sie verfolgte, würde sie Licht sehen.

Ich brauche etwas zu essen. Ich hatte für heute Abend eine Verabredung mit Raoul. Er wird glauben, dass ich ihn versetzt hätte.

Sie stand wieder auf. Tut mir Leid, Raoul, entschuldigte sie sich stumm. Dann grinste sie. Wo gibt's was zu essen. Holly schloss kurz die Augen und rief das Tunnel-System vorm geistigen Auge auf. Die Lebensmittelfabriken befanden sich in der Nähe dieses Tunnels. Wenn ich aber die Abkürzung nehme und in Richtung Athen zurückgehe, gelange ich unter die Vorratsräume der Cafeteria. Dort gibt es jede Menge zu essen.

Also brach sie in diese Richtung auf.

18 Tage und sechs Stunden bis zur Ankunft

»Was ist denn so wichtig, dass Sie mich beim Essen stören müssen?«, fragte Wilmot gereizt.

Eberly lächelte. Die letzten zwei Stunden hatte er damit verbracht, Morgenthaus Aufzeichnungen von Wilmots abendlichen Aktivitäten zu sichten. Morgenthau hatte die Art der Unterhaltung, die der Professor bevorzugte, abstoßend gefunden, doch Eberly war von der Mischung aus Erotik und Gewalt fasziniert, die in den Videos gezeigt wurde. Nun stand er in Wilmots Wohnzimmer und schaute den Professor an, der missbilligend die Stirn gerunzelt hatte.

»Wir haben ein ernstes Problem, Professor, mit dem wir uns befassen müssen«, sagte Eberly.

»Und das wäre?«

»Eine Mitarbeiterin der Abteilung Human Resources ist verschwunden. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie ein psychisches Problem hat.«

»Was?« Wilmot schien entsetzt. »Um wen handelt es sich?«

»Holly Lane. Sie haben sie bereits kennen gelernt.«

»Habe ich das?«

Eberly registrierte in aller Deutlichkeit, dass Wilmot ihm noch immer keinen Stuhl angeboten hatte. Die beiden Männer standen sich kaum einen Meter im Eingangsbereich von Wilmots Apartment gegenüber. Innerlich freute Eberly sich. Er wusste nämlich, dass er den Professor von seiner allabendlichen Unterhaltung abhielt.

»Ich befürchte, dass es zum Teil auch meine Schuld ist«, sagte Eberly und versucht zerknirscht zu klingen. »Ich hatte sie die ganze Zeit geschützt. Nun ist sie aber doch zusammengebrochen.«

Wilmot schaute verwirrt und mehr als nur ein wenig verärgert.

Eberly fischte seinen Palmtop-Computer aus der Kutte und projizierte Hollys Dossier an die Wand über Wilmots Sofa.

Der Professor erkannte Hollys Gesicht. »Mit ihr sind Sie doch vor einiger Zeit hierher gekommen.«

»Ja.« Eberly schüttelte betrübt den Kopf. »Wie Sie sehen, hat sie seit längerer Zeit psychische Probleme.« Er hatte Stunden darauf verwandt, Hollys Dossier gründlich zu frisieren. »Solang sie ihre Medikamente einnimmt, wirkt sie völlig normal. Wenn sie sie jedoch absetzt…«

Wilmot studierte das Dossier kurz und fragte: »Wieso sollte sie ihre Medikamente absetzen?«

»Es hat mit diesem Diego Romero zu tun. Holly war vom Tod des alten Mannes wie besessen. Sie redete sich ein, dass man ihn ermordet hätte.«

»Ermordet?«

»Das ist natürlich Unsinn. Heute Nachmittag hat sie aber Oberst Kananga angegriffen. Sie versuchte ihn zu töten, und zwar genau an derselben Stelle, wo der alte Mann zu Tode kam.«

»Großer Gott! Und wo ist sie nun?«

»Verschwunden — wie ich Ihnen bereits sagte. Kananga hat eine Suchaktion nach ihr gestartet.«

Wilmot nickte zufrieden. »Sehr gut. Es sieht so aus, dass Kananga zur Abwechslung mal das Richtige tut. Aber wieso behelligen Sie mich damit?«

»Weil ich möchte, dass Sie mich zum stellvertretenden Leiter des Habitats ernennen.«

»Zum Stellvertreter? Ich brauche keinen Stellvertreter.«

»Ich glaube doch. Sie werden mich zum stellvertretenden Leiter ernennen und dann von der Leitung des Habitats zurücktreten.«

»Ich soll zurücktreten? Und meinen Posten an Sie abtreten? Das ist ja lächerlich!«

»Das ist mitnichten lächerlich«, sagte Eberly leise. »Sie werden zurücktreten, und ich werde Ihre Amtsgeschäfte fortführen.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage!«

»Nach Ihrem Rücktritt«, fuhr Eberly fort, »können Sie dann den ganzen Tag Ihre schmutzigen Videos anschauen und nicht nur abends.«

Wilmot wankte einen Schritt zurück. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht.

»Dieses Habitat braucht eine starke Führung«, sagte Eberly. »Vor allem angesichts der bevorstehenden Wahlen und der Ankunft am Saturn. Sie haben Ihre Arbeit ganz gut gemacht, Professor. Nun ist es an der Zeit, dass sie einem anderen Platz machen.«

»Und Ihnen alles übergeben? Niemals!«

Eberly zuckte die Achseln. »In diesem Fall werden wir Ihre speziellen Vorlieben der gesamten Population des Habitats bekannt machen müssen.«

»Wir? Wen meinen Sie damit?«

»Wir wollen Sie nicht kompromittieren, Professor. Treten Sie einfach zurück und übergeben Sie mir die Kontrolle, und niemand wird je von Ihrer kleinen perversen Neigung erfahren.«

Wilmot ließ sich sprachlos auf den nächsten Stuhl sinken.

Kris Cardenas lag im Bett und ging der Frage nach, ob sie wieder einmal ihr Leben verpfuschte. Wofür werde ich mich diesmal entscheiden, fragte sie sich: für ein hartherziges Weib oder eine romantische Idiotin?

Ihre Beziehung mit Gaeta hatte als leidenschaftliche Affäre begonnen. Nachdem Holly sich zurückgezogen hatte, hatte sie sich von Manny ins Bett ziehen lassen; sie hatte seit Jahrzehnten nicht mehr so viel Spaß gehabt. Doch dann hatte sie die Sache mit Nadia herausgefunden. Es war nicht etwa so, dass Gaeta ihr untreu geworden wäre; sie hatten sich gegenseitig nichts versprochen außer purer Lust. Aber der Gedanke, dass Manny die Frauen auf diese Art benutzte — dass er mit einer Frau schlief, deren Hilfe er brauchte, und dann zur nächsten ging, das ärgerte sie. Und dann kam seine plötzliche Liebeserklärung. Wahre Liebe! Cardenas hätte fast laut gelacht bei der Vorstellung. Aber was auch immer es war, sie war überglücklich. In meinem Alter, sagte sie sich und unterdrückte ein Kichern. Ein Hoch auf die Nanotechnik!