Was soll ich tun? Nichts. Absolut nichts. Atlanta wird Eberlys Machtspiel schon früh genug auf die Schliche kommen. Sie müssen etliche Spione in die Population eingeschleust haben.
Holly hatte sich stundenlang den Kopf darüber zerbrochen, ob sie Kris anrufen sollte. Schließlich beschloss sie, es von einem Telefon an der Oberfläche aus zu tun. Sie wollte vermeiden, dass Kananga oder sonst jemand erfuhr, dass die Tunnel ihr als Versteck dienten. So erklomm sie also, kurz bevor die Sonnenfenster des Habitats sich für den ›Sonnenaufgang‹ öffneten, die Leiter, die in den Vorratsraum der Cafeteria führte. Sie hörte, dass Leute in der Küche direkt über ihr zugange waren: Töpfe schepperten und Worte wurden gewechselt. Ein Roboter rollte aus der Küche zu ihr herunter und an ihr vorbei. Er fuhr zu einem Regal und holte mit den Greifarmen einen Karton mit Obstkonserven heraus. Dann vollführte er eine exakte Hundertachtzig-Grad-Wende, rollte wieder an ihr vorbei und durch die Doppeltür in die Küche.
Holly ging auf Zehenspitzen zum Wandtelefon in der Nähe der Küchentür und setzte einen kurzen Anruf an Kris ab. Irgend jemand muss wissen, dass ich am Leben bin und von Kananga gejagt werde, sagte sie sich.
Nachdem sie Kris ihre Botschaft übermittelt hatte, ging sie zur Falltür zurück, stieg die Leiter hinunter und rannte fast einen Kilometern durch den Haupttunnel, bevor sie sich keuchend auf den Boden fallen ließ.
Du hohles Hirn, sagte sie sich. Du warst im Vorratsraum und hast dir nicht einmal etwas zu essen besorgt. Wie kann man nur so blöd sein!
Der Magen pflichtete ihr mit einem Knurren bei.
»Sie hat angerufen?«, fragte Kananga wie elektrisiert. »Wann? Von wo aus?«
Seine Adjutantin, die das schwarze Gewand und die Hose trug, die Kananga seinen Sicherheitsleuten vorgeschrieben hatte, erwiderte: »Aus dem Vorratsraum der Cafeteria, Sir. Etwa vor einer Stunde.«
»Vor einer Stunde?«, knurrte Kananga und erhob sich von seinem Stuhl.
Die Frau warf einen Blick auf ihren Palmtop. »Genau vor zweiundfünfzig Minuten, Sir.«
»Und das sagen sie mir erst jetzt?«
»Wir hatten zu diesem Zeitpunkt nur eine Rumpfbesatzung, Sir. Sie vermochte nicht jedes Telefon im Habitat in Echtzeit zu überwachen. Es ist…«
»Ich will, dass sofort ein automatisiertes Programm implementiert wird. Verwenden Sie ihren Stimmabdruck als Auslöser für einen automatischen Alarm. Unverzüglich!«
»Yessir.«
»Diese Frau ist eine gefährliche Psychopathin. Sie muss ergriffen werden, bevor sie noch jemanden tötet!«
Die Adjutantin hastete aus Kanangas Büro und entzog sich seinem zürnenden Blick.
Er setzte sich wieder hin. Die Cafeteria. Natürlich. Sie muss schließlich etwas essen. Wir werden einfach Teams in der Cafeteria und den Restaurants stationieren. Früher oder später wird sie einen Ort aufsuchen müssen, wo es etwas zu essen gibt. Und wenn sie dort auftaucht, sitzt sie in der Falle.
Gaeta war noch nie in einem Blizzard gewesen und hatte auch noch nie versucht, sich durch Schneeverwehungen zu kämpfen, während ein eisiger Wind ihm entgegenwehte und ihm spitze Eiskörner ins Gesicht prasselten.
Für eine halbe Minute hielt er den schlimmsten Sturm aus, den Fritz' Genie zu entfachen vermochte. Eiskristalle stoben um ihn herum und hüllten ihn in einen gleißenden weißen Wirbel. Dazu wurde er mit Stahlkugeln beschossen, die so laut gegen den gepanzerten Anzug knallten, dass ihm rasch bewusst wurde, das würde er nicht aushalten. Die größte Sorge bereitete ihm indes das Helmvisier. Er wusste zwar, dass es kugelsicher war, aber bis zu welchem Kaliber? Es war, als ob er mit einem Maschinengewehr beharkt wurde, das überschall-schnelle Edelstahlkugeln verschoss.
Aber er hielt es aus. Er hielt sich auf den Füßen und machte sogar ein paar Schritte in Richtung der Quelle, hinein ins blendende Weiß, das gegen ihn anbrandete. Das Donnern der Kugein war aber so laut, dass er Probleme hatte, Fritz' Countdown im Helmlautsprecher zu hören.
Er vermochte nicht mehr zu tun, als dazustehen und es über sich ergehen zu lassen. Und auf die beleuchteten Displays zu schauen, die über die Innenseite des Visiers verteilt waren. Jedes verdammte Licht war grün, und jeder Monitor zeigte ihm, dass der Anzug normal funktionierte. Ups! Ein gelbes Licht ging an. Nichts von Belang, wie er sah; bei einem Kniegelenk hatte die Schmierung ausgesetzt. Die Reserve- Schmierung setzte ein, und das Licht wechselte wieder auf Grün.
Der Lärm war ohrenbetäubend. Als ob ein riesiger Schwarm verrückter Spechte den Anzug attackierte. Wieso, zum Teufel, setze ich mich diesem Mist überhaupt aus, fragte Gaeta sich. Wieso verbringe ich mein Leben damit, mich derart malträtierten zu lassen? Wieso nehme ich nicht das Geld, das ich bei dieser Aktion verdiene, und höre damit auf, solange noch alles an mir dran ist.
Die klassische Antwort ertönte in seinem Kopf: was denn — sich vom Showbiz verabschieden? Er lachte laut.
Und dann war es vorbei. So plötzlich, wie es angefangen hatte, hörte es auch wieder auf. Gaeta stand im Innern des schweren Anzugs; die Ohren klingelten noch vom schweren Beschuss.
»Worüber lachst du denn?«, fragte Fritz.
»Ich lache der Gefahr ins Gesicht, Fritz«, erwiderte Gaeta grinsend. Liest du denn nicht meine Pressemitteilungen? Ich glaube, du hast diese Überschrift selbst verfasst.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, um diesen Abschnitt des Korridors wieder mit Luft zu beaufschlagen, damit Gaeta den Anzug verlassen konnte.
Fritz inspizierte den klobigen Anzug penibel und suchte jeden Quadratzentimeter mit einem Vergrößerungsglas ab.
»Eingedellt, aber nicht perforiert«, lautete Fritz' Befund.
»Dann können wir also weitermachen wie geplant.«
»Ja, das können wir wohl.«
Gaetas Palmtop summte. Er öffnete ihn und sah Nadia Wunderlys Gesicht auf dem winzigen Monitor.
»Falls du dir Sorgen wegen des Tests machst…«
»Nein, gar nicht!«, sagte sie. Sie war vor Aufregung schier aus dem Häuschen. »Ich musst dir unbedingt etwas sagen!«
»Was denn?«
»Es wird ein Einfang-Ereignis eintreten!«, schrie Wunderly beinahe. »Drei Tage, nachdem wir in den Orbit gegangen sind, wird Saturn einen Asteroiden aus dem Kuiper-Gürtel einfangen.«
»Was? Was meinst du? Noch mal von vorn, aber etwas langsamer.«
»Manny, ein kleiner eisbedeckter Gesteinsbrocken nähert sich dem Saturn aus den Tiefen des Kuiper-Gürtels jenseits von Pluto. Er ist bereits im Einzugsbereich des Planeten. Ich habe die Berechnungen angestellt. Er wird mitten im A-Ring in den Orbit um Saturn gehen! Drei Tage, nachdem wir außerhalb der Ringe in eine Umlaufbahn gegangen sind!«
»Drei Tage?«, fragte Fritz und schaute über Gaetas Schulter auf Wunderlys ekstatisches Gesicht.
»Ja! Wenn ihr eure Exkursion um drei Tage verschiebt, könntet ihr direkt am Ort des Geschehens sein!«
DRITTES BUCH
Auch ich… verurteile die Ansicht jener als falsch und verdammungswürdig, die Jupiter, Saturn und dem Mond Bewohner zuschreiben und mit ›Bewohnern‹ Tiere wie unsere und Menschen im Besonderen meinen… Wenn wir auch nur mit geringster Wahrscheinlichkeit glauben könnten, dass es Lebewesen und Pflanzen auf dem Mond oder einem Planeten gäbe, die nicht nur von den irdischen Lebewesen und Pflanzen sich unterscheiden, sondern so andersartig sind, wie wir es uns in den kühnsten Träumen nicht vorstellen könnten, würde ich für meinen Teil dies weder bestätigen noch bestreiten wollen. Jedoch würde ich die Entscheidung weiseren Männern, als ich einer bin, überlassen.