Eberly lachte. »Ja, unbedingt. Wir alle zählen auf Sie, dass Sie und die Techniker uns morgen in den Orbit bringen.«
Während Eberlys Anhänger seinen Sieg mit einem spontan anberaumten Picknick am See feierten, war Holly noch immer in Wilmots Apartment und benutzte seinen Computer, um die Personalakten des Habitats zu durchsuchen. Es dauerte zwar ein paar Stunden, doch schließlich hatte sie eine Liste von fünfzig Männern und Frauen zusammengestellt, von denen sie glaubte, dass sie mit ihnen ein Aufgebot bilden könnte.
Als sie die Liste an Eberlys Quartier sandte, fragte sie sich jedoch, ob das wirklich eine so gute Idee war. Ob die Leute, die sie ausgewählt hatte, überhaupt bereit wären, ein Aufgebot zu bilden? Es war schwer, Eigenschaften wie Loyalität und Verantwortungsbewusstsein aus dem schriftlichen Dossier einer Person zu ersehen. Die meisten Leute an Bord des Habitats waren alles andere als Establishment-Typen. Sie waren auch keine Tunichtgute, wie Pancho sie bezeichnet hatte, aber sie waren definitiv Freidenker und Individualisten und nicht bereit, sich Disziplin auferlegen zu lassen.
Ich hoffe nur, dass das funktioniert, sagte Holly sich. Sie wurde sich bewusst, dass ihr Leben davon abhing.
Die Siegesfeier artete aus. Ein paar von Eberlys Anhängern hatten gekühlte Partyfässer mit selbst gebrautem Bier zum Picknick am Seeufer mitgebracht, und nun wurden die Leute immer lauter und begannen schließlich zu randalieren. Sie lachten sich über jeden Schwachsinn scheckig, schütteten sich gegenseitig Bier über den Kopf und wankten in voller Montur in den See, wobei sie angeschickert kicherten.
Normalerweise hätte Eberly sich in der Verehrung seiner Anhänger gesonnt. Er trank keinen Alkohol, und es wagte auch niemand, ihn mit Bier oder sonst etwas zu übergießen. Dennoch hätte Eberly jede Millisekunde des stundenlangen Picknicks genossen — wäre er sich nicht bewusst gewesen, was ihn nach dem Ende der Party erwartete.
Trotz des Lächelns, das er aufgesetzt hatte, wusste er, dass er sich mit Kananga würde auseinander setzen müssen, und das würde alles andere als angenehm werden. Vielleicht sogar gefährlich.
Morgenthau machte indes einen recht fröhlichen Eindruck, trotz der zotigen Scherze der angetrunkenen Menge. Eberly stellte fest, dass selbst die kleine Schlange Vyborg sich angeregt mit ein paar der jungen Frauen unterhielt, die sich um ihn scharten und ihn anhimmelten. Manchen Menschen steigt die Macht zu Kopf; anderen fährt sie in den Schwanz.
Morgenthau bahnte sich mit einer Plastiktasse in der Hand einen Weg durch eine Traube der Gratulanten, die Eberly umlagerte. Sicher etwas Alkoholfreies, sagte Eberly sich. Wahrscheinlich Limonade. Die Menge teilte sich vor ihr. Zollen sie ihr wirklich Respekt, fragte Eberly sich, oder sehen sie nur, dass sie dieses frivole Treiben mit grenzenlosem Abscheu betrachtet.
»Genießen Sie Ihren Triumph?«, fragte sie Eberly leise, nachdem die anderen außer Hörweite waren. Ein wissendes Lächeln hinterließ Grübchen in ihrem breiten Gesicht.
Er nickte nüchtern. Während des ganzen Picknicks hatte er nichts Stärkeres getrunken als Eistee.
»Nun beginnt die eigentliche Arbeit«, sagte sie mit noch leiserer Stimme. »Nun bringen wir diese Leute unter unsere Kontrolle.«
Eberly nickte erneut, diesmal aber weniger begeistert. Er wusste nämlich, worauf sie anspielte: dass auch er unter Kontrolle wäre. Unter ihrer Kontrolle. Ich habe die ganze Arbeit gemacht, und sie glaubt, sie wäre die wahre Machthaberin.
Er fragte sich, ob Wilmot und Holly sich als stark genug erweisen würden, ihm zu helfen.
Am nächsten Morgen drängten fünfzig verwirrte Männer und Frauen sich im größten Konferenzraum des Verwaltungsgebäudes.
Holly verließ in Begleitung von Gaeta und Cardenas Wilmots Quartier und ging vorher noch in ihr Apartment, um zu duschen und sich umzuziehen. Sie sahen, dass Kanangas Sicherheitsleute ihnen in einiger Entfernung folgten. Sie blieben auf Distanz, verfolgten aber jede ihrer Bewegungen und holten über ihre Palmtops Anweisungen von Kananga ein. Holly wurde dabei an Videos erinnert, in denen sie gesehen hatte, wie Hyänen eine Gazellenherde verfolgten und darauf warteten, dass ein schwaches Tier zusammenbrach, damit sie sich darüber hermachen konnten.
Eberly traf sie an der Pforte des Gebäudes, und dann gingen sie zusammen an den Büros der Human-Resources-Abteilung, wo Morgenthau eigentlich hätte sein sollen, vorbei zum Konferenzraum.
Es gab dort nicht genug Stühle für alle Anwesenden, so dass die meisten Leute, die Holly ausgesucht hatte, stehen mussten. Es war heiß und stickig durch die Ausdünstungen der vielen Körper auf engstem Raum. Und die Leute waren offensichtlich ungehalten.
»Worum geht's überhaupt?«, wollte einer der Männer wissen, als Eberly zur Tür hereinkam.
»Ja, weshalb haben Sie uns eigentlich herbestellt?«
»Wir werden doch nicht das Einschwenken in den Orbit verpassen, oder? Es soll in ein paar Stunden stattfinden.«
Eberly machte mit beiden Händen eine beschwichtigende Geste, bahnte sich einen Weg durch die Gruppe und ging zum Kopfende des Tisches. Holly, die noch immer von Gaeta und Cardenas flankiert wurde, wartete an der Tür.
»He, ist das nicht die Flüchtige?«, sagte jemand und wies auf Holly.
»Die Sicherheitsleute suchen sie.«
»Sie muss sich selbst gestellt haben.«
Holly sagte nichts, aber es machte ihr Angst, dass man sie für eine Flüchtige hielt — für eine Kriminelle, die den Behörden übergeben werden musste.
»Was will sie hier?«
»Vielleicht hat Eberly sie dazu überredet, sich zu stellen.«
»Aber wieso sind wir denn hier? Was will er von uns?«
Allmählich richteten aller Blicke sich auf Eberly, der schweigend hinter dem leeren Stuhl am Kopfende des Tisches stand. Er hielt die Stuhllehne gepackt und wartete darauf, dass sie ihre Gespräche beendeten.
»Ich habe Sie hergebeten, weil ich Ihre Hilfe brauche«, sagte er schließlich. »Miss Lane ist fälschlich bezichtigt worden. Oberst Kananga ist derjenige, der festgenommen werden müsste.«
»Kananga?«
»Aber er ist doch der Leiter des Sicherheitsdienstes!«
»Genau aus diesem Grund brauche ich Sie«, sagte Eberly. »Ich möchte, dass Sie ein Komitee bilden, ein Aufgebot. Wir werden in Kanangas Büro gehen und ihn verhaften.«
»Ich?«
»Wir?«
»Den Chef der Sicherheit verhaften?«
»Das ist doch ein Scherz, oder?«
»Und was ist mit dem Rest des Sicherheitsdienstes? Glauben Sie etwa, diese Schläger würden einfach daneben stehen und zulassen, dass wir ihren Boss festnehmen?«
»Fünfzig von Ihnen müssten genug sein, um die Wachen daran zu hindern, sich einzumischen«, sagte Eberly. »Schließlich sind sie nur mit Knüppeln bewaffnet.«
»Ich habe gehört, dass sie alle Kampfsport-Experten sein sollen.«
»Ich wüsste nicht, was ich damit zu tun habe. Sie sind doch jetzt der Verwaltungschef. Dann kümmern Sie sich gefälligst auch darum.«
»In meiner Eigenschaft als Verwaltungschef verpflichte ich Sie…«
»Zum Teufel! Ich lass' mir doch nicht die Fresse polieren, nur weil Sie mit Ihrem Sicherheitschef nicht zurecht kommen. Suchen Sie sich ein paar andere Deppen, die für Sie die Drecksarbeit erledigen!«
»Zumal Sie noch kein Verwaltungschef sind, jedenfalls nicht offiziell«, sagte einer der Frauen. »Nicht, bis Professor Wilmot Sie vereidigt hat.«
»Aber ich brauche Sie, um Kananga festzunehmen«, flehte Eberly sie an. »Das ist Ihre staatsbürgerliche Pflicht!«
»Von wegen staatsbürgerliche Pflicht! Sie wollten doch Anführer dieser Gemeinschaft sein. Dann tun Sie gefälligst Ihre Pflicht. Aber mich lassen Sie da raus.«