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Und dennoch…

»Dreißig Sekunden bis zum Einschwenken in den Orbit«, sagte die Computerstimme.

Das weiß ich auch, erwiderte Nicholson stumm. Ich kann die Uhr selbst ablesen, du Blecheimer.

»Die Abriebrate steigt«, rief Timoschenko.

Der Captain sah, dass der Wert noch immer im zulässigen Bereich lag. Trotzdem war es Besorgnis erregend, auch wenn sie das Gegenteil behauptet hatte.

»Zehn Sekunden«, sagte der Computer. »Neun… acht…«

Nicholson schaute von den Monitoren auf. Die drei Männer waren über ihre Konsolen gebeugt und wirkten genauso angespannt wie sie.

Was, wenn eine Panne auftritt, fragte sie sich. Was soll ich dann tun? Könnte man dann überhaupt noch etwas tun?

»Drei… zwei… eins. Einschwenken in den Orbit.«

Der Navigator schaute von der Konsole auf; das besorgte Stirnrunzeln wich einem breiten Grinsen. »Das war's. Wir sind im Orbit. Mit einer kleinen Abweichung.«

»Die Abriebrate nimmt schnell ab«, rief Timoschenko.

Nicholson gestattete sich ein verkniffenes Lächeln. »Glückwunsch, meine Herren. Wir sind nun Saturnmond Nummer einundvierzig.«

Dann erhob sie sich von ihrem Sitz, wobei sie bemerkte, dass die durchgeschwitzte Bluse ihr am Rücken klebte. Sie warf die Arme in die Luft und stieß ein wildes, schrilles ›JUHUU!‹ aus.

Wie die meisten anderen Bewohner des Habitats verfolgte Manuel Gaeta das letzte Orbitalmanöver auf Video. Mit Kris Cardenas neben sich.

»Es ist wirklich ein großartiger Anblick, nicht wahr?«, murmelte sie und schaute aufs Bild des Saturns mit den vielen farbigen Bändern, die um den Planeten wirbelten. Die über dem Äquator aufgehängten Ringe leuchteten hell im Licht der fernen Sonne und warfen einen tiefen Schatten aufs Antlitz des Planeten.

Die Ringe neigten sich vor ihren Augen, fast als ob sie dem sich nähernden Habitat entgegenkommen wollten — mit jeder Sekunde wurden sie schmaler und verkürzten sich perspektivisch, bis sie nur noch eine Messerklinge waren, die in den gewölbten Körper des Saturns schnitt.

Über der Abbildung des Planeten wurde ein Schriftzug eingeblendet: STABILER ORBIT ERREICHT. »Das war's«, sagte Gaeta. Er drehte sich um und gab Cardenas einen Schmatz auf den Mund.

»Das sollten wir feiern«, sagte Cardenas. Übermäßig begeistert schien sie aber nicht.

»Gleich nach Eberlys Amtseinführung wird es eine Riesen- Fete geben«, sagte Gaeta ebenso trübsinnig.

»Ich bin nicht in der Stimmung, auszugehen.«

»Ich weiß. Diese Sicherheits-Affen sind genauso angenehm wie Hämorrhoiden. Ich schütte mir ein paar Biere rein und verpasse den beiden eins.«

»Nein, das wirst du nicht«, sagte Cardenas bestimmt. »Kein Alkohol für dich. Morgen werden wir zu den Ringen fliegen.«

»Ja. Morgen.«

Keiner von ihnen sprach es aus. Aber sie wussten beide, dass Gaeta nach dem Stunt ins Ringsystem des Saturns das Habitat verlassen und zur Erde zurückkehren würde.

Amtseinführung

»Sie muss eliminiert werden«, sagte Morgenthau bestimmt. »Und diese Cardenas auch.«

Eberly führte neben ihr die Prozession an, die sich über den zentralen Weg von Athen zum Seeufer hinunterzog, wo die Zeremonie zur Amtseinführung stattfinden würde. Hinter ihnen gingen in gebührendem Abstand von ein paar Schritten Kananga und Vyborg, der neben dem großen, schlanken langgliedrigen Ruander wie Quasimodo anmutete. Und hinter ihnen marschierten wiederum ein paar hundert ihrer Anhänger. Obwohl alle Angehörigen des Sicherheitsdiensts und der Kommunikations- und Personal-Abteilung aufgefordert worden waren, der Amtseinführung beizuwohnen, hatte gerade mal die Hälfte der Belegschaft sich bequemt, zu erscheinen.

»Eliminieren?«, sagte Eberly schroff und versuchte die Furcht zu verbergen, vor der er innerlich zitterte. »Sie können jemanden von Cardenas' Format doch nicht einfach so eliminieren. Dann werden Ermittler von der Erde mit Ionentriebwerks-Schiffen herfliegen und der Sache auf den Grund gehen.«

Morgenthau schaute ihn von der Seite an. »Dann eben neutralisieren. Ich will jedenfalls nicht, dass sie hier an diesen fluchwürdigen Nano-Maschinen arbeitet.«

»Sie wollen?«, sagte Eberly, ohne den Schritt zu verlangsamen. »Seit wann geben Sie denn hier die Befehle?«

»Von Anfang an. Und dass Sie das nur nicht vergessen.«

»Ich bin derjenige, der ins Amt eingeführt wird«, sagte Eberly mit einer Verve, die eigentlich gar nicht echt war. »Ich werde als Anführer dieser Gemeinschaft eingesetzt.«

»Sie tun trotzdem, was ich Ihnen sage«, sagte Morgenthau mit leidenschaftsloser und harter Stimme. »Wir wissen, dass Sie versucht haben, uns zu hintergehen. Sie und Ihr Aufgebot.« Sie lachte sarkastisch.

»Das war ein notwendiges taktisches Manöver. Ich hatte doch nie die Absicht…«

»Fügen Sie Ihrem Sündenregister nicht noch eine weitere Lüge hinzu. Ich müsste nur einen Anruf nach Amsterdam tätigen, um Sie aus diesem Habitat entfernen und wieder in Ihre Gefängniszelle in Wien verfrachten zu lassen.«

Eberly verkniff sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Sie hatten nun das Naherholungsgebiet am Seeufer erreicht, wo hunderte Stühle in ordentlichen Reihen vor der Orchestermuschel aufgestellt worden waren. Einige Dutzend Leute hatten bereits Platz genommen. Professor Wilmot saß allein oben auf der Bühne und machte einen müden bis gelangweilten Eindruck. Die Musiker, die sich an einer Seite der Bühne versammelt hatten, nahmen ihre Instrumente und formierten sich zu einem mehr oder weniger ordentlichen Haufen.

Eberly blieb hinter der letzten Reihe der überwiegend leeren Stühle stehen. Alles lief genau nach Plan. Dies war der Moment, auf den er seit jenem Gespräch im Gefängnis Schönbrunn hingearbeitet hatte. Er hatte diese Amtseinführungs-Zeremonie bis ins kleinste Detail geplant. Das Einzige, worauf er keinen Einfluss hatte, war die erschreckende Gleichgültigkeit der Habitat-Bevölkerung. Das und Morgenthaus zunehmend feindselige Haltung ihm gegenüber. Es stimmt alles bis ins Detail, sagte Eberly sich, aber der Tag ist trotzdem im Eimer.

»Sie müssen drei Schritte hinter mir gehen«, wandte er sich an Morgenthau.

»Natürlich«, sagte sie mit einem wissenden Lächeln. »Ich verstehe es sehr wohl, die Rolle des gehorsamen Frauchens zu spielen.«

Eberly holte tief Luft. So wird das endlos weiter gehen, wurde er sich bewusst. Sie wird mir das Leben zur Hölle machen.

Dennoch setzte er ein Lächeln auf und richte sich zu seiner ganzen Größe auf. Er blieb hinter der letzten Reihe der Stühle stehen, bis er Blickkontakt mit dem Bandleader herstellte. Eberly nickte und ging den breiten Gang zwischen den leeren Stühlen entlang. Zwischen dem zweiten und dritten Schritt stimmte die Band eine halbherzige Interpretation von ›Hail to the Chief‹ an.

Holly verfolgte die Amtseinführungs-Zeremonie von ihrem Apartment aus; sie war zutiefst verunsichert, was die Zukunft wohl für sie bereithalten würde. Malcolm hatte versucht, Kananga an die Wand zu spielen und hatte nichts erreicht. Was wird er tun, nachdem er offiziell ins Amt eingeführt wurde?

Was wird Kananga tun?

Holly kam zu dem Schluss, dass sie nicht warten durfte, bis andere über ihr Schicksal entschieden. Sie schnappte sich ein paar Kleidungsstücke, stopfte sie in eine Sporttasche und ging zur Apartmenttür. Ich sollte mich lieber an einem sicheren Ort verstecken, sagte sie sich, bis ich genau weiß, was sie vorhaben.

Das Telefon summte. Sie stellte die Tasche ab und holte den Palmtop heraus.

Raoul Tavaleras Gesicht erschien auf dem winzigen Monitor. Er wirkte erschöpft und derangiert.