Katombo erzählte ihm aufrichtig Alles. Der Kadi machte ein höchst ernsthaftes Gesicht. "Weißt Du, daß ich Dich dem Großherrn ausliefern muß?" "Wirst Du es thun?"
"Du bist hoch gestiegen und tief gestürzt, aber Du wirst dieselbe Höhe wieder erreichen. Der Sultan hat einen Nachfolger, und dieser, das will ich Dir nun gestehen, hat mir besondere Weisungen in Beziehung auf Dich ertheilt. Du sollst frei sein!"
"Du bist mein wahrer Freund. Ja, ich weiß es, daß ich wieder zur Höhe kommen werde, und dann will ich Deiner gedenken wie ein Bruder des andern." "Wo hast Du die Deinen?"
"Sie sind bereits fort. Ich werde sie an einem sicheren Orte treffen." "Und wie willst Du die Khawassen täuschen?" "Ich werde das Haus als Derwisch verlassen."
"Sie werden Verdacht schöpfen, denn sie wissen, daß kein Derwisch hereingekommen ist. Kennen sie Dein Gesicht?" "Das ist nicht leicht zu denken."
"So werde ich Dir die Kleidung eines Läufers besorgen. Ich reite aus, und Du begleitest mich."
"Dann bitte ich Dich, lieber eine Sänfte zu nehmen, damit ich einiges mit fortbringen kann." "Wie Du willst. Deine Wohnung werde ich reinigen und die Leiche fortbringen lassen." "Den Kopf nehme ich mit mir." "Thue, was Dir gefällt!"
Eine halbe Stunde später wurde das Thor geöffnet, und die hinzutretenden Khawassen erblickten vier Sänftenträger und zwei Läufer. Die letzteren Beiden hatten Nilpeitschen in der Hand, um ihrem Herrn nöthigenfalls damit den Weg durch die engen, belebten Gassen zu bahnen.
A Da trat der Kadi-Baschi in den Hof; ein Sklave trug ihm die Pfeife nach. Es war deutlich zu sehen, daß sich noch Niemand in der Sänfte befand. Der Kadi stieg ein, und die Träger griffen zu den Tragstangen. Im raschen Schritte ging es zum Thor hinaus. Die Khawassen waren nicht schnell genug zurückgetreten; die beiden vorantrabenden Läufer warteten sofort ihres Amtes. "Remalek (Rechts)!" rief der Eine und "Schimalek (Links)!" der Andere, indem sie ihre Peitschen erhoben. Die trotz ihres Amtes in dieser Weise bedrohten Polizisten wichen schleunigst zurück, und die Sänfte verschwand im Gewühle der Straße. Katombo war entkommen.
Am andern Tage nahm im vizeköniglichen Palais ein Fellah Zutritt, welcher den Khedive zu sprechen verlangte. Auf die Frage der Palastbeamten, was er vorzubringen habe, gab er an, ein wichtiges Schreiben überbringen zu müssen, welches in keine andere Hände als in diejenigen des Vizekönigs kommen dürfe. Da er nur ein gewöhnlicher Fellah war, wurde er nicht zugelassen; man nahm ihm vielmehr das Schreiben ab, worauf er sich schleunigst entfernte. Der Brief ging aus einer Hand in die andere, bis er endlich an seine hohe richtige Adresse kam.
Der Beherrscher Egyptens empfing das fest versiegelte, aus sehr starkem Papier gefertigte Couvert und öffnete es. Es enthielt einen eng beschriebenen Bogen, dessen Schriftzüge so fein und klein waren, daß er ihn sehr nahe an das Gesicht halten mußte und lange Zeit brauchte, ehe er den Inhalt zu enträthseln vermochte. Dieser lautete folgendermaßen: "An den Tyrannen und Mörder.
Du hast Manu-Remusat und Omar-Bathu gemordet, Du wolltest mich verderben und bist auch Schuld an Sobe<dens Tode. Auge um Auge, Zahn um Zahn: Du wirst desselben Todes sterben, den auch sie gestorben ist. Sie besaß einen Ring ihres hingeschlachteten Gatten, welcher ein feines, sicher wirkendes Gift enthielt. Sie nahm von demselben und starb, um Deiner Umarmung zu entgehen. Ich erhielt von Dir ihre Leiche und den Ring. Ich tränkte dieses Papier mit dem Gifte und schrieb so klein, daß Du es einathmen mußt. Mörder, Deine Tage sind gezählt, denn kein Arzt B oder Zauberer vermag es, Dir Hilfe zu bringen. Du wirst langsam hinsiechen und elend sterben. Denke in Deiner letzten Stunde an Deine Thaten und an mich, der die Seinen zu rächen weiß! Nurwan-Pascha."
Einige Zeit später erhielt der neue Kapudan-Pascha eine Kiste von unbekannter Herkunft zugesandt. Sie enthielt den Kopf des Kapudan und das Etui mit der seidenen Schnur, welche für Katombo bestimmt gewesen war.
Längst vorher schon war dieser nach Rosette entkommen. Mittel standen ihm genug zu Gebote für Alles, was er für sich und die Seinigen gebrauchte. Er brachte sie an einem sicheren Orte unter und begab sich verkleidet nach dem Hafen, in welchem Schiffe aller Nationalitäten vor Anker lagen.
Zwischen zwei schweren hochbordig gebauten Abendländern lag eine schlanke, scharf auf dem Kiele gebaute Feluke wie eine feine gelenkige Bajadere zwischen zwei unbeholfenen Chinesinnen. Eben stieß ein Boot von ihr ab und brachte zwei Männer an das Land, welche sehr aussahen wie vornehme Türken oder Araber. Sie gingen landeinwärts, während der Matrose, welcher sie gerudert hatte, in dem Fahrzeuge sitzen blieb. Katombo schlenderte noch einige Augenblicke herum und trat dann zu ihm. "Sallam aale<kum!"
"Aale<kum!" antwortete der Mann, welcher ganz so aussah, als ob mit ihm nicht gut zu scherzen sei. Er trug kurze weite Hosen, aus welchen die Unterbeine nackt hervor blickten, eine sehr verschossene rothe Jacke und einen alten Fez ohne Trottel, aber das Messer und die beiden Pistolen, welche in seinem beinahe zerfetzten Gürtel staken, waren von so vorzüglicher Arbeit, daß ihr Käufer gewiß keinen gewöhnlichen Preis für sie bezahlt hatte. "Gehörst Du zu diesem Schiffe?" frug Katombo. "Ja."
"Es muß ein ganz vorzüglicher Segler sein." "Meinst Du?"
Diese kurze Frage war von einem beinahe geringschätzenden Blicke begleitet. Dieser Mann schien die Worte Katombos mehr für eine Höflichkeit oder allgemeine Phrase, als für das Ergebniß eines Kennerblickes zu halten.
"Ja, ich meine es. Wo kommt Ihr her?" "Allah weiß es."
A "Wie lange bleibt Ihr hier vor Anker?"
"Allah weiß es."
"Und wo geht Ihr hin?"
"Hast Du nicht gehört, daß es Allah weiß?"
"Mann, Du gefällst mir!"
"Du mir aber nicht."
"Warum?"
"Weil Du nicht weißt, wie schön es ist, wenn die Zunge ruhen darf." "Ich weiß es: Schweigen ist Gold, aber Reden bringt Gold!"
Er griff in die Tasche und hielt ihm ein Goldstück entgegen. Der Matrose griff schnell zu und steckte es ein.
"Ich habe mich geirrt; Du gefällst mir sehr, denn Allah hat Dir Weisheit und Verstand gegeben."
"Also, wo kommt Ihr her?"
"Von Falez."
"Wo geht Ihr hin?"
"Nach Tunis."
"Wie lange bleibt Ihr hier?"
"Bis morgen."
"Auch ich will nach Tunis. Führt Ihr Passagiere?" "Nein."
"Was habt Ihr geladen?" "Uns."
"Ich sehe, daß Allah auch Dir Weisheit und Verstand gegeben hat. Ich werde mit Deinem Kapitän sprechen. Wo ist er?" "An Bord."
"Kannst Du mich hinüber bringen?" "Komm!"
"Wer waren die beiden Männer, welche Du an das Land brachtest?" "Der Steuermann und der Segelmeister."
Katombo nickte leicht mit dem Kopfe; er schien eine leise Vermuthung so ziemlich bestätigt zu finden. Ein Steuermann und ein Segelmeister in so reicher Kleidung. Wozu brauchte überhaupt eine Feluke einen Segelmeister? Das Boot stieß ab und legte an dem Schiffe an.
"Winke mir, wenn ich Dich wieder holen soll," meinte der Ruderer und kehrte an das Land zurück. Jedenfalls hatte er dort die beiden Vorgesetzten zu erwarten.
Katombo stieg das herabgelassenen Fallreep wie ein Mann hinan, welcher sich noch sehr wenig zur See befunden hat. Droben wurde er auf seine Frage nach der Kajüte gewiesen. Ehe er dort eintrat, warf er über das Deck einen forschenden Blick, welcher die erwähnte Vermuthung zur Gewißheit zu erheben schien.
Der Kapitän war ein wohlbeleibter Muselmann, welcher auf seinem Teppiche ruhend die Wasserpfeife rauchte. Es war ihm anzusehen, daß ihm die Störung und der Anblick eines Mannes, der nicht zu der Equipage des Schiffes gehörte, nicht angenehm sei. "Wer bist Du?" frug er barsch.
Katombo schaute sich erst in der Kajüte um und antwortete dann:
"Ein Mann, der Deine Hilfe sucht."
"Wozu?"
"Aus diesem Lande fort zu kommen." "Willst Du fort, oder mußt Du fort?" "Ich muß."