In diesem Augenblicke vernahm man nahende Schritte. Max frug, den Schritt erkennend:
"Baldrian?"
"Das ist am Den."
"Tritt her."
Gleich darauf kamen auch Thomas und Heinrich, und dann setzten sich die sechs Männer der Ruine zu in Bewegung. Am Fuße des Berges angekommen, schlugen sie nicht den nach der Spitze desselben führenden Fahrweg ein, sondern Max glimmte, den Andern voran, den schmalen Steig empor, den er bereits bei früherer Gelegenheit eingeschlagen hatte. Dies war für den König eine Anstrengung, welche zur Folge hatte, daß sie die Ruine nur höchst langsam erreichten. Dennoch aber befand sich noch Niemand oben, wie sich Max durch eine sehr sorgfältige Rekognition überzeugte.
"Kommt Ihr mit mir!" gebot er, als er von derselben zurückgekehrt war, den Gesellen. Er führte sie außerhalb der Ruinen hinter eine Mauer, deren eingefallene Theile eine Art von Höhle bildeten, welche sich sehr gut zu einem Verstecke eignete.
"Hier verbergt Ihr Euch und wartet. Passirt nichts, so hole ich Euch ab; brauchen wir aber Eure Hilfe, so ahme ich den Ruf einer Teichunke nach. Wenn Ihr diesen hört, so kommt Ihr schleunigst dahin, von wo Ihr ihn hörtet. Das Übrige wird sich dann finden." B "Zu Pefehl, Herr Doktor!" meinte Thomas, und kroch in das Loch. Die beiden Andern folgten ihm. Er kehrte zu dem König zurück. "Wohin wirst Du uns postiren?" frug dieser.
"Zunächst hierher an den Aufgang, wo auch ich bleiben werde. Den Herrn Major aber werde ich so plaziren, daß er beobachten kann, ob sie Alle in den Brunnen steigen." Dies geschah. Der Major legte sich hinter denselben Mauervorsprung, welcher Max einmal als Versteck gedient hatte, und dieser letztere nahm mit dem Könige zwischen den Sträuchern Platz, neben denen der Fahrweg auf das Plateau des Berges mündete. Sie sprachen kein Wort mit einander, denn der geringste Laut hätte ihre Anwesenheit verrathen können. Aber gerade diese Lautlosigkeit war ganz geeignet, allerlei Gedanken und Gefühlen Audienz zu geben, welche die Herzen der beiden Männer in noch nähere Verbindung brachten, als sie bereits bis zu dieser Stunde stattgefunden hatte.
Da erklangen Schritte. Das war nicht eine, sondern das waren zwei Personen. Sie blieben hart neben den Lauschern stehen.
"Noch Niemand hier," meinte der Kleinere von den Beiden. "Das ist Penentrier!" flüsterte Max dem Könige zu. "Weißt Du dies genau, Bruder?"
"Ja; sonst müßte der Posten bereits hier stehen. Er ist der Erste, der einzutreffen hat." "So sollte er bereits hier sein!" "Wir kommen zu früh." "Kann sich nicht zufälliger Weise ein Fremder hier befinden?"
"Glaube das nicht. Wer hat um diese Stunde hier oben etwas zu suchen? Und überdies ist dieser Ort in der ganzen Umgebung verrufen. Bei Tage besucht man ihn seiner Romantik wegen; des Nachts aber wagt es kein Mensch ihn zu betreten, denn es geht die Sage, daß die Seelen der Mönche hier umgehen und Jedem, der ihnen zu nahe kommt, Tod und Verderben bringen."
"Diesen Aberglauben habt Ihr natürlich bedeutend unterstützt?"
"Versteht sich!" lachte der kleine Rentier. Er kommt uns ja ganz außerordentlich zu statten. Übrigens sind wir heut vielleicht zum letzten Male hier." "Ah! Wie so?"
"Es sind Umstände eingetreten, welche uns zwingen, unser Werk außerordentlich zu beschleunigen."
"Welche Umstände könnten dies sein?"
"Du wirst nachher von ihnen hören. Ich habe sie natürlich der ganzen Versammlung vorzutragen."
"Der Herzog kommt auch?"
"Es war so bestimmt. Aber die erwähnten Umstände machen es ihm unmöglich. Ich werde ihn von unsern Beschlüssen benachrichtigen." "Noch heute?"
"Sofort wenn wir beschlossen haben." "In seiner Wohnung?"
"Ja. Es wird nur einer seiner vertrautesten Diener munter sein, so daß mein Kommen völlig unbeachtet bleibt. Doch horch; da kommt wer!"
"Allerdings kam jetzt Jemand langsam und leise den Weg daher.
"Woher?" frug Penentrier mit halblauter Stimme.
"Aus dem Kampfe," ertönte die ebenso gegebene Antwort.
"Wohin?"
"Zum Siege."
"Wodurch?"
"Durch die Lehre Loyola's."
"Der Bruder mag seinen Posten antreten. Wir gehen weiter."
Die beiden Ersten entfernten sich nach dem Brunnen zu, der zuletzt Gekommene aber blieb stehen, um die Wache zu übernehmen. Von Zeit zu Zeit kam ein Neuer dazu, der sich durch die Parole legitimirte und passiren durfte. Max und der König zählten über zwanzig Gestalten, während es damals, als der erstere sie allein beobachtete, nur vierzehn gewesen waren. Jetzt schien die Reihe geschlossen zu sein; denn der Posten entfernte sich auf einige Schritte und legte sich in das Gras.
"Was werden wir thun?" frug der König flüsternd. "Bestimmen Ew. Majestät."
"Den Posten überwältigen, so daß er keinen Laut zu geben vermag, und dann die Andern im Brunnen gefangen halten, bis wir Sukkurs haben sie abzuführen." "Darf ich mir eine andere Meinung gestatten?" "Sprich, Max!"
"Wäre der Herzog bei ihnen, und hätten wir die Überzeugung, daß sie alle ihre Skripturen mitgebracht haben, so wäre Ew. A Majestät Plan ganz vortrefflich, denn wir bekämen sämmtliche Leiter der Bewegung in unsere Hände und hätten jede nothwendige Unterlage, sie ihrer verbrecherischen Pläne vollständig zu überführen. Diese beiden Voraussetzungen sind aber nicht eingetroffen. Wenn wir diese Leute, die wir unmöglich belauschen können, arretiren, wissen wir nicht, ob wir ihnen jemals etwas beweisen können. Es ist sehr wahrscheinlich, daß keiner von ihnen ein Geständniß ablegen wird, und der Herzog als Hauptperson entgeht uns ganz und gar."
"Du hast Recht; doch, was schlägst Du vor?"
"Wir haben gehört, daß dieser Penentrier den Herzog sofort nach Schluß der geheimen Session besuchen wird. Sie dann zu belauschen ist kein Ding der Unmöglichkeit, und dann - -
"Dann," fiel der König eifrig ein, "nehme ich sie sofort Beide gefangen!" "Entschuldigung, Majestät, das wäre gefährlich." "Wie so?"
"Durch den geheimen Gang können sich höchstens zwei Personen, also nur wir Beide, in die Bibliothek des Herzogs wagen. So stehen also zwei gegen zwei, und wenn wir ihnen auch überlegen wären, so würde doch ein Ruf des Herzogs genügen, uns in seine Hände zu bringen. Er ist nur von treuen Kreaturen umgeben, und wenn wir spurlos verschwinden, wer will ihm beweisen, daß dies gerade bei ihm geschehen ist?"
"Dein Vater, welcher ja in seinem Garten Wache steht und auf unsere Rückkehr warten wird." "Wenn Ew. Majestät verschwunden sind, fehlt ihm dem Herzog gegenüber alle hierzu nöthige Macht. Und wer weiß, wie weit der Einfluß dieser Menschen schon Platz gegriffen hat, so daß die Bemühungen aller Redlichen nicht allein vergeblich, sondern auch mit großer Gefahr für sie verbunden wären."
"Du siehst sehr schwarz. Sollten die Bemühungen eines Regenten, der nur an das Wohl seines Volkes denkt, so sehr verkannt werden und einen solchen Undank finden?" "Majestät, ich möchte hier ein schweres Wort sprechen, aber ich darf es nicht." "Du darfst!"
"Dem Manne, aber nicht der Majestät gegenüber." "Die Majestät befiehlt Dir, es zu sprechen!"
"Majestät sprechen von einem Regenten. Wer ist und wer war dieser Regent? Ich weiß, diese Frage kann mir und den Meinen das Wohlwollen unseres geliebten Königs entziehen, kann mich verderben, aber ich wage sie dennoch. Warum ist die Schaar der Unzufriedenen in dieser Weise gewachsen? Gälte in Norland der Wille des Königs, so würde das ganze Land seinen Herrscher segnen. Majestät haben in letzter Zeit einen kleinen Blick in die Art und Weise thun dürfen, in welcher der Herzog das ihm geschenkte königliche Vertrauen mißbraucht. Ich bin der Sohn eines Schmiedes, ich liebe die Redlichkeit, die Offenheit, ich bin die ehrliche Kraft gewohnt. Den Hammer in die Hand, weg mit der Schlange, und drauf auf alles Gewürm, welches den besten Willen zu vergiften weiß!"
Er schwieg. Auch der König schwieg. Es war richtig, die Worte des jungen Mannes waren ein ungewöhnliches Wagniß, aber er hatte auf das Herz seines königlichen Freundes gebaut und -sich nicht verrechnet. Nach einigen Minuten fühlte er seine Hand von der des Königs ergriffen. "Habe Dank!"