"Aber wenn ich Dich bitte?"
"Dann werde ich Euch Auskunft geben."
"Nun?"
"Zarba wußte, daß Ihr nach ihr fragen würdet, und gebot mir, Euch zu sagen, daß ihr Geist stets neben Euch wandelt, ihr Auge alles sieht, was Ihr thut und ihrem Ohre kein Laut Eures Mundes entgeht. Sie muß verborgen bleiben noch eine kleine Weile; ist aber die Zeit gekommen, so wird sie erscheinen, auch ohne daß Ihr sie ruft." "Ist sie weit von hier?" "Ich sagte, daß mein Mund schweigen und mein Fuß eilen (\76\)B muß. Ich habe den Mann zu verfolgen, welcher mit Euch draußen am Thore sprach." "Wer ist er?"
"Eine Viper, welche Euch sticht, sobald Ihr sie berührt. Seid gegrüßt von Zarba, der Königin ihres Volkes, und lebt wohl!"
Einen nahe an der Mauer stehenden Baum benutzend, kletterte er auf dieselbe empor und war in der nächsten Minute auf der andern Seite verschwunden.
Arthur hielt das kleine, zusammengefaltete und mit einem höchst eigenthümlichen Siegel versehene Billet in der Hand. Jetzt hatte er Gelegenheit gehabt, den Wunsch des Vaters zu befolgen und sich über Zarba vollständige Gewißheit zu verschaffen, doch war ihm der Bote mit der Glattheit eines Aals entschlüpft. Aber er mußte ja wiederkommen, um sich die Antwort zu holen, und dann gab es vielleicht Gelegenheit, die jetzt erfolglose Erkundigung mit besserer Wirkung zu erneuern.
Er schritt langsam wieder dem Schlosse zu, da hörte er leichte Schritte, welche ihm entgegenkamen, und blieb halten. Es war Almah. Der Weg hier war schmal und wurde zu beiden Seiten von Buschwerk begrenzt. Er machte Miene, sich in das Letztere einzudrücken, um den Weg freizugeben, sie aber hielt ihn mit einer Bewegung ihrer Hand davon ab. "Bill - nicht wahr, so heißest Du -?" "Ja."
"Papa hat Dir wehe gethan. Sei ihm nicht gram dafür!"
Er blickte ihr in die Augen, und dann mußte er die seinigen schließen, denn er fühlte, welche Gluth seinem Herzen entstieg, um sich in den Blick zu drängen. "Almah - nicht wahr, so heißen Sie?" "Ja."
"Und wissen Sie, was dieses Wort bedeutet?" "Nein."
"Almah heißt Seele, und - ohne Seele gibt es kein Leben, gibt es nur Tod. Erhalten Sie dem das Leben, welcher ohne Sie sterben müßte!"
Er theilte das Gebüsch mit den Armen und zwängte sich hindurch. Er fühlte, daß er zuviel gesagt habe, aber bei dem Anblick dieses herrlichen Geschöpfes hatte sich die Liebe in ihm aufgebäumt, so daß ihm die Worte wider Willen und gegen alle Absicht entfahren waren. Er suchte den verlassenen Pfad wieder zu gewinnen und war dann auf demselben noch nicht weit fortgeschritten, so vernahm er abermals ein nahendes Geräusch. Er bog um eine Ecke und wäre fast mit Prinz Hugo zusammengestoßen. Dieser erkannte ihn sofort und blieb überrascht stehen. Er trug Generalsuniform und schien im Begriffe zu stehen, Jemand zu suchen.
"Halt! Treffe ich Dich hier, Bursche?" meinte er mit einem stechenden, verächtlichen Blicke. "Hast Du den "Jungen" an der Schloßwache vergessen? Hier, nimm ein Souvenir daran!" Er holte aus, um Arthur einen Schlag in das Gesicht zu versetzen, dieser aber erhob einfach den Fuß und versetzte ihm einen solchen Tritt in die Gegend des Magens, daß er nach hinten zwischen die Sträucher stürzte.
"Behalte mit dem "Jungen" auch das Souvenir. Nur ein Schurke nimmt etwas von Dir an!" Mit diesen Worten wandte er sich ruhig vorwärts. Er erwartete, daß der Gegner ihm sofort folgen werde, da er aber nicht das geringste Zeichen davon bemerkte, so blieb er nach kurzer Zeit stehen.
"Er ist mit dem Pascha fertig und hat bemerkt, daß Almah in den Garten ging. Jetzt folgt er ihr und wird es vorziehen, sie statt meiner aufzusuchen. Soll ich ihm folgen? Ja, denn in seiner Nähe vermag sie nur ein starker, schlagfertiger Arm vor Beleidigungen zu schützen!" Er schritt noch eine kurze Strecke vorwärts und bog in einen zweiten Weg ein, welcher ebenfalls nach der Gegend des Gartens führte, in welcher die beiden zu vermuthen waren. Lange blieb er ohne das geringste Zeichen, daß sie sich getroffen hatten und noch anwesend seien, endlich aber vernahm er zwei Stimmen und schritt leise der Gegend zu, in welcher dieselben ertönten.
Gerade an dem Orte, an welchem er mit dem Zigeuner gesprochen hatte, stand Almah und vor ihr der tolle Prinz, welcher vor der Begegnung mit ihr, jedenfalls die Spuren entfernt hatte, welche seine Uniform von der Begegnung mit Arthur davongetragen hatte. Man sah es dem Mädchen an, daß sie sich ihm gegenüber in Verlegenheit befand. Ihre Wangen waren geröthet, und ihr Blick irrte suchend über die Umgebung, als ob sie nach einer Gelegenheit spähe, dem ihr lästigen Gespräche zu entgehen.
"Ich wiederhole, daß Ihr Vater der schönste Mann ist, welcher (\77\)A meinem Blicke begegnete. Und Ihre Mutter, Fräulein, muß alle Reize in sich vereinigt haben, welche dem Weibe gegeben sind, um sich den Mann unterthänig zu machen." "Ich kenne nur Papa. Mutter starb, als ich noch ein Kind war," antwortete sie verlegen. "Kein Wunder," fuhr der Prinz fort, ohne auf ihre Worte zu achten, "daß ich in Ihnen die herrlichste aller Frauen vor mir sehe. Fräulein, sie haben keine Ahnung von der Gewalt, mit welcher Ihr Anblick Jeden packt, welcher in Ihre Nähe kommt - - -" Er erfaßte ihre Hand, die sie ihm aber zu entziehen suchte.
"O, lassen Sie mir dieses kleine süße Händchen! Ich muß es küssen; ich muß meinen Arm um diese unvergleichliche Taille legen, muß dieses bezaubernde Köpfchen an mein Herz ziehen, um diese Lippen - - -" "Prinz," rief sie, "lassen Sie mich!"
"Dich lassen?" antwortete er, die sich mit aller Macht Sträubende fest an sich ziehend. "Das wäre das unverzeihlichste Verbrechen gegen die Göttlichkeit des Schönen. Nein, festhalten werde ich Dich, Du Entzückende, um von Deinen Lippen Wonne und Seligkeit zu trinken!" Sie wandte alle ihr zu Gebot stehende Kraft an, sich aus seiner Umarmung zu befreien, vergebens.
"Lassen Sie mich, Prinz, sonst rufe ich um Hülfe!"
"Rufe, mein Herz,; es wird Dich hier Niemand hören!" antwortete er, sich mit seinem Munde ihren Lippen nahend.
"Sie braucht nicht zu rufen, denn sie ist bereits gehört worden," ertönte eine feste, ruhige Stimme, und der Matrose stand vor ihm. "Lassen Sie meine Herrin los, Prinz!" "Ah, Du bist es?" erklang es knirschend. "Schön, ich werde sogleich mit Dir abrechnen, vorher aber muß ich diese Lippen - - -"
Er kam nicht zum Kusse, denn Arthur packte ihn, so daß er die Arme von Almah lassen mußte, und schleuderte ihn mit solcher Wucht an die Mauer, daß er zusammenknickte. Dennoch aber raffte sich der Prinz schnell wieder empor und zog den Degen. "Hund, das wagst Du! So stirb!"
Arthur faßte ihn bei der Faust und entriß ihm den Degen.
"Sterben, nicht wahr, wie gestern Karl Goldschmidt, Dein Opfer? Du bist ein ehrloser Schurke, und ich werde Dich als solchen kennzeichnen, damit fortan die Unschuld vor Dir sicher sei!"
Er entriß ihm den Degen, zertrat denselben mit dem Fuße und schleuderte ihm das Gefäß mit solcher Kraft in das Gesicht, daß ein rother Blutstrahl aufspritzte. Vor Wuth und Schmerz laut heulend, stürzte sich der Getroffene auf ihn, fühlte sich aber sofort mit unwiderstehlicher Kraft gepackt und zu Boden geworfen. Dann riß der starke Seemann eine Ruthe vom nächsten Busche und zog ihm dieselbe wiederholt über das Angesicht.
"So, an diesem Zeichen soll man Dich erkennen, und der gestrige Tag soll der letzte sein, an dem es Dir gelingt, ein Mädchen zu bethören!"
Ein mächtiger Faustschlag vollendete den Sieg; der Prinz lag entehrt und besinnungslos am Boden. Als sich Arthur erhob war Almah entflohen.
Zehntes Kapitel. Vor Jahren.
Früher stieg der dichte Wald viel weiter von den Bergen herab als jetzt, und erstreckte einen seiner Ausläufer sogar bis auf einige Meilen von der Hauptstadt hernieder. Eine weit in diese Forstzunge eindringende Umfriedung schloß ein Wildgehege ab, in welches einzudringen Jedermann außer dem Forstpersonale verboten war. Dennoch befanden sich eines Tages (\78\)B innerhalb der Umzäunung Personen, deren Habitus man sehr leicht ansehen konnte, daß sie weder zu diesem Personale noch zu sonst irgend welchen Berechtigten zählten. Zwischen zwei hohen Eichen, die wohl an die tausend Jahre zählen mochten und ihre stammesdicken Äste weit in die Luft hinausstreckten, stand ein altersschwacher vierrädriger Karren. Der Gaul, welcher ihn gezogen haben mochte, weidete im hohen Grase, dessen saftige Stengel zwischen Moos und allerlei Grün hervorragten. Am Stamme des einen Baumes loderte ein helles Feuer, an welchem, (\79\)A über zwei Astgabeln gelegt, ein Rehrücken briet, den ein kaum zehnjähriger Junge mit einer Miene drehte, die ebensoviel Kennerschaft wie inneres Behagen ausdrückte.