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Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann meinte sie:

"Du sollst ihn haben. Jetzt aber beginne!"

Er blickte träumerisch vor sich hin; dann erhoben sich seine Arme zur Gestikulation, und ohne Pause oder Unterbrechung strömten ihm die Verse von den Lippen:

"Wenn um die Berge von Befour Des Abends erste Schatten wallen, Dann tritt die Mutter der Natur Hervor aus unterird'schen Hallen, Und ihres Diadems Azur Erglänzt von funkelnden Kristallen.

In ihren dunklen Locken blühn Der Erde düftereiche Lieder; Aus ungemess'nen Fernen glühn Des Kreuzes Funken auf sie nieder, Und traumbewegte Wogen sprühn Der Sterne goldne Opfer wieder.

Doch bricht der junge Tag heran, Die Tausendäugige zu finden, Läßt sie ihr leuchtendes Gespann Sich durch purpurne Thore winden, Sein Angesicht zu schaun, und dann Im fernen Westen zu verschwinden."

Das Mädchen war seinen Worten mit der Miene einer Kunstkennerin gefolgt. Sie neigte jetzt langsam den Kopf und meinte:

"Die Christen haben viele Dichter, aber Keiner von ihnen allen besitzt den schnellen, glänzenden Geist, der in Dir wohnt, Katombo." (\80\)A Er lächelte matt.

"Mein Volk rühmt und preist mich als seinen besten Dichter, Zarba, aber ich gebe allen Ruhm und allen Preis hin für einen freundlichen Blick und für ein gutes Wort von Dir. Ich nehme mir jetzt meinen Kuß!"

Er that einen Schritt auf sie zu, sie aber wehrte ihn mit einer schnellen Bewegung ihres Armes ab.

"Warte noch, denn Du bist nicht zu Ende!" "Ich bin fertig!"

"Nein, denn Du hast Bhowannie geschildert blos wie sie erscheint an stillen, milden Abenden. Aber wenn sie ihrem Volke grollt, dann erblickst Du sie ganz anders. Der Himmel bedeckt sich mit Wolken; die Wogen stürzen sich mit -"

"Halt!" gebot er ihr. "Ich will nur Deinen Kuß, nicht aber Deine Unterweisung. Höre mich weiter, dann aber bin ich zu Ende und nehme mir meinen Lohn. Es ist dieselbe Göttin, darum sollen meine Worte auch dasselbe Gewand und denselben Vers besitzen." Er besann sich kaum einige Sekunden lang, ehe er begann:

"Wenn um die Berge von Befour Des Abends dunkle Schatten wallen, Dann tritt die Mutter der Natur Hervor aus unterird'schen Hallen Und läßt auf die versengte Flur Des Thaues stille Perlen fallen.

Des Himmels Seraph flieht, verhüllt Von Wolken, die sich rastlos jagen; Die Erde läßt, von Schmerz erfüllt, Den Blumen bitt're Thränen tragen, Und um verborg'ne Klippen brüllt Die Brandung ihre wilden Klagen.

Da bricht des Morgens glühend Herz, Er läßt den jungen Tag erscheinen; Der küßt den diamant'nen Schmerz Von tropfenden Karfunkelsteinen Und trägt ihn liebend himmelwärts, Im Äther dort sich auszuweinen."

Er hatte geendet und ließ nun sein Auge forschend auf dem Antlitze des Mädchens ruhen. Sie blickte vor sich nieder, und die langen Wimpern verhüllten den Ausdruck dessen, was sie jetzt empfinden und denken mochte. "Zarba!"

"Katombo!" "Meinen Kuß!" "Schenke ihn mir!"

"Sie erhob die Lider, und ihr Blick suchte halb kalt halb mitleidig den seinigen.

"Warum?"

"Was nützt er Dir?"

"Was er mir nützt? Was nützt dem Auge das Licht, dem Munde die Speise, dem Herzen das Blut? Soll das Auge erblinden, der Mund verstummen und das Herz brechen und sterben, weil sie nicht haben dürfen, was ihnen Leben gibt?" "Stirbst Du ohne meinen Kuß?"

Seine Gestalt richtete sich höher auf und sein Auge flammte.

"Zarba, Du hast mich geliebt, mich allein. Wir sind Verlobte, und bald bist Du mein Weib. Du selbst hast es so gewollt, und die Vajdzina hat unsre Hände in einander gelegt. Wie oft hast Du gesagt, daß Du sterben müßtest ohne mich! Dein Herz hat an dem meinen geschlagen, Deine Lippe auf der meinigen geruht; wir haben zusammen gehungert und zusammen geschwelgt; ich habe Leben und Glück aus Deinem Auge getrunken - ja, ich würde sterben, wenn der Tod Dich mir entriß!" "Ich sterbe nicht."

"Ich war noch nicht zu Ende. Ich würde freudig mit Dir sterben; aber wenn ich Dich anders verlieren sollte, als durch den Tod, so - so - so -" "Nun, so - ?"

"So - so würde ich leben bleiben, denn ich hätte die Aufgabe zu erfüllen, welcher jeder Boinjaare kennt, dem ein Anderer sein Weib oder seine Braut entreißt!" "Und die ist?" "Rache!"

Sie blickte beinahe erstaunt zu ihm empor. Dann flog ein ungläubiges Lächeln über ihre Züge. "Rache? Katombo und Rache? Hat der weiche Katombo jemals einen Wurm zertreten? Hat er ein einziges Mal für die (\80\)B Seinigen das gethan, was die Christen Betrug und Diebstahl nennen? Du hast den Geist des Dichtens, aber Du bist kein Mann. Du sprichst von Boinjaarenrache und mußt jeden Mond Haar und Haut Dir dunkler färben. Bist Du ein Gitano?"

"Was gibt mehr Recht, ein Gitano zu sein: die kurze Stunde der Geburt oder die langen Jahre des Lebens? Der Vajda hat mich im Walde gefunden, und Niemand kennt meine Eltern; aber ich bin bei Euch gewesen allezeit, die Vajdzina nennt mich ihren Sohn, und daher darf ich sagen, daß ich ein Gitano bin. Gieb mir meinen Kuß!" "So nimm ihn Dir!"

Sie sprach diese Worte kalt und gleichgiltig, ohne jede einladende Miene oder Bewegung. Seine Stirn verfinsterte sich; er rang mit dem aufwallenden Zorne, und seine Stimme zitterte leise, als er antwortete:

"Behalte ihn; aber vergiß niemals, daß Deine Lippen mir gehören, sonst müßte ich Dir beweisen, daß ich trotz meiner weißen Haut ein ächter Boinjaare bin!"

Seine Worte klangen wie eine Drohung, doch sein Auge glänzte feucht. Sie sah es, sprang empor und schlug die Arme um seinen Hals.

"Vergib mir!" bat sie, ihn küssend. "Ich habe Dich lieb, Katombo, aber -" Sie stockte. Er legte den Arm um sie, drückte sie innig an sich und frug: "Aber -? Sprich weiter, Zarba!" "Ich kann nicht!" antwortete sie. "Warum nicht?"

Sie sah mit einem Blicke zu ihm empor, in welchem es halb wie Scheu und halb wie Bitte um Vergebung glänzte.

"Du wirst es noch erfahren, Katombo; aber selbst dann noch mußt Du glauben, daß ich Dich immer lieb gehabt habe."

"Ich weiß es; aber seit einigen Tagen ist Dein Herz stumm, Dein Angesicht kalt, und dennoch leuchtet zuweilen Dein Auge wie ein Stern, dem eine Sonne neuen Glanz verliehen hat. Zarba, bleibe mein, damit ich nicht mich selbst mit Dir verliere!

Es lag wie eine große Angst in seinen schönen, ehrlichen Zügen, als er sie jetzt so fest an sich nahm, daß er ihr beinahe wehe that. In diesem Augenblick raschelte es in einem nahen Busche, und eine laute Stimme gebot: "Faß, Tiger!"

Ein riesiger Fanghund schoß hinter dem Strauche hervor und warf sich von hinten auf Katombo.

"Nieder!" erscholl ein zweites Kommando.

Der Hund erfaßte den Zigeuner im Genick und riß diesen zu Boden, ehe er nur an Gegenwehr zu denken vermochte.

"Festhalten!"

Mit diesem Worte trat der Herr des Thieres jetzt herbei. Es war ein junger Mann von nicht viel über dem Alter des Zigeuners; er trug eine Jagdkleidung mit Uniformschnitt und ließ auch ohne dies in seiner ganzen Haltung und Erscheinung den Offizier erkennen.

Zarba war von dem Vorgange tief erschrocken, und dennoch ging eine tiefglühende Röthe

über ihr braunes Angesicht. Der Fremde trat zu ihr und faßte ihre Hand.

"Wer ist der Mensch, der es wagt, Dich zu umarmen?" frug er.

"Katombo."

"Katombo -? Das ist sein Name, und mir nicht genug!" "Er ist - mein - - Bruder," antwortete sie stockend.

"Dein Bruder? Nichts weiter?" frug er, den am Boden Liegenden mit finsterem Auge musternd.

"Nichts weiter!"

"Ah! Umarmt und küßt man einen Bruder in dieser Weise?"

Sie schwieg, sichtlich in tiefer Verlegenheit. Er legte den Arm um sie und zog sie trotz ihres Widerstrebens an sich.

"Wenn er wirklich nur Dein Bruder ist, so mag er auch sehen, was ich thue." Er näherte seine Lippen ihrem Munde, kam aber nicht zum Kusse, denn ein lauter Schrei des Hundes ließ ihn hin nach diesem blicken. Trotz der Gefährlichkeit eines solchen Vorhabens hatte Katombo dem über ihm stehenden Thiere mit einer blitzschnellen Bewegung beide Hände um den Hals geschlagen und ihm die Kehle so zusammengedrückt, daß es machtlos zu Boden sank.