"O hoher Herr, es ist Betrübniß eingezogen bei den Gitani (\87\)A und Sorge bei den Kindern meines Volkes. Habt Ihr nicht gesehen Katombo, meinen Sohn?" "Nein. Was ist mit ihm?"
"Er ist verschwunden, seit er gestern unser Lager verließ, und Niemand hat eine Spur von ihm gefunden. Der Forst hat keine wilden Thiere, die ihn zerreißen konnten, und keinem hat er vertraut, daß er uns freiwillig verlassen wolle. Es ist ihm ganz sicher ein Unglück widerfahren!"
"Was soll ihm widerfahren sein." Karavey trat näher.
"Was ihm widerfahren ist, das wissen wir nicht," meinte er mit finsterem Auge; "aber ich kenne einen Feind von ihm, den einzigen, den er hat, und welchem sein Verschwinden am
Herzen liegen muß. Wehe ihm, wenn er die Hand dabei im Spiele hat!"
"Wen meinst Du, Bursche? Verklage ihn bei mir. Ich bin Euer Freund und werde Euch alle
Hülfe und Unterstützung gewähren, welche Ihr nothwendig haben solltet."
"Gerad Euch brauche ich ihn nicht zu nennen. Aber die Kinder der Boinjaaren haben scharfe
Augen, gewandte Hände und ein Gedächtniß, welches keine gute und keine böse That vergißt.
Entweder ist Katombo heut Abend wieder bei uns oder wir werden uns zur Rache vorbereiten!"
"Thue das, mein Sohn; nur siehe Dir den Mann genau an, gegen den Du Deine Rache richten willst. Übrigens geht mich diese Angelegenheit nicht das Mindeste an; ich komme in einer anderen Sache und habe mit dem Vajda und der Vajdzina zu sprechen." Er winkte den beiden Alten und schritt von dem Lager weg in den Forst hinein. Sie folgten ihm und bemerkten nicht, daß Karavey hinter ihnen gleichfalls den Ort verließ. In einer genügenden Entfernung blieb der Herzog stehen und wandte sich zu den Beiden zurück. "Ich habe Euch einige Fragen vorzulegen. Von der Wahrheit Eurer Antworten hängt Euer Glück oder Unglück ab!"
"Sprecht, Herr!" bat die Alte. "Wir werden Euch Alles sagen, was Ihr begehrt." "Wer ist der Vater und die Mutter dieses Katombo?" "Ich bin der Vater," antwortete der Vajda. "Und ich die Mutter," die Vajdzina.
"Behauptet Ihr wirklich, die richtigen natürlichen Eltern zu sein? Man sieht es ja dem Manne an, daß er kein Zigeuner ist."
Die beiden Alten warfen sich einen Blick des Verständnisses zu; dann antwortete die Vajdzina:
"Er ist ein Zigeuner, Herr, und mein leibhaftiger Sohn." "Wo habt Ihr ihn geboren?"
"Weit im Süden auf einer Insel, welche man Sizilien nennt." (\88\)A "Und wer war sein Vater?" "Dieser hier, mein Mann." "Ihr lügt!"
"Könnt Ihr mir beweisen, daß ich die Unwahrheit sage?"
"Ich kann es und werde Euch zu diesem Zwecke kurz eine Geschichte erzählen. Habt Ihr den Namen Raumburg nicht bereits früher schon einmal gehört?" "Wie sollte ich?"
"So waret Ihr auch noch niemals in diesem Lande?" "Nie."
"So! Es gab einen Herzog von Raumburg, welcher von den Reizen einer jungen Zigeunerin so hingerissen wurde, wie ich von Zarba's Schönheit. Sie verließ ihren Stamm und ging zu ihm, bis sie uneinig wurden und sie zu den Ihrigen zurückkehrte. Der Herzog verheirathete sich; seine Gemahlin schenkte ihm einen Sohn, welcher einst, als er kaum zwölf Monate zählte, spurlos verschwand. Niemals wurde etwas von dem Knaben gehört, doch erfuhr der Herzog, daß gerade zur betreffenden Zeit Gitani in der Nähe gewesen waren, eine der Zigeunerinnen hatte man mit einem Pakete aus dem herzoglichen Garten kommen sehen. Der Mann, welcher dies erzählte, hatte, als sie vorüber war, sogar die unterdrückte Stimme eines Kindes gehört, so daß er annehmen mußte, daß das Weib ein solches bei sich getragen habe. Wißt Ihr, wer diese Frau war?" "Nein."
"Es war die frühere Geliebte des Herzogs, die sich durch den Kinderraub an ihm rächen wollte."
"Zu einer solchen Behauptung müßten Beweise sein, hoher Herr."
"Diese sind da, und zwar so deutlich und bestimmt, daß ich Euch sogar den Namen und jetzigen Aufenthaltsort der Thäterin nennen könnte."
"Man redet den Gitani so viel Böses nach, was nicht wahr, sondern Lüge ist!"
"Ich aber sage die Wahrheit: Ihr waret das Weib, und das geraubte Kind befand sich bis heute bei Euch!"
Er blickte ihr drohend in das Angesicht; sie schien nicht im Mindesten zu erschrecken und antwortete ruhig:
(\88\)B "Wollt Ihr mit zwei armen, alten Leuten einen solchen Spaß treiben, Herr?" "Spaß? Es ist mein Ernst, der Euch an den Hals gehen kann. Der Herzog, von dem ich Euch erzählte, ließ seinem Kinde sein Familienwappen in den Arm tätowiren, wie es seit uralten Zeiten Familiengebrauch gewesen war. An diesem Zeichen wird man den Geraubten erkennen. Vielleicht befindet er sich schon in diesem Augenblicke vor dem Richter, welcher die Angelegenheit zu untersuchen hat. Ihr werdet das Gehege auf keinen Augenblick verlassen und seid Gefangene des Forstpersonals, bis ich ein Weiteres verfüge." Er machte Miene, sich zu entfernen; da ergriff ihn die Alte beim Arme und hielt ihn zurück. "Bleibt, Herr! Ich will Euch sagen, daß Katombo nicht unser natürlicher Sohn ist. Wir fanden ihn halb verschmachtet im Walde und nahmen ihn zu uns, damit er nicht verhungern sollte." "Wo war das?" "Hier."
"Ihr kanntet also den Herzog von Raumburg, meinen hochseligen Vater?"
"Ja," antwortete sie, indem trotz ihres unterwürfigen Tones etwas in ihrem Auge leuchtete, was nicht die mindeste Ähnlichkeit mit Demuth hatte.
"Katombo ist sein Sohn?"
"Wie kann ich das wissen, Herr?"
"Höre Alte, ich will Dir sagen, daß ich hier kein amtliches Verhör anstelle, sondern mir nur die allervertraulichsten Mittheilungen unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit ausbitte. Es kann mir nicht gleichgültig sein, ob ich einen Bruder am Leben habe oder nicht, der mich in meinem Erbe und meinen Rechten schmälern könnte. Ihr seht, ich bin aufrichtig.
Nur Gewißheit will ich haben. Wenn Ihr ein offenes Geständniß ablegt, soll Euch nichts geschehen, vielmehr habt Ihr dann eher eine Belohnung als eine Strafe zu erwarten." Die Beiden blickten sich gegenseitig an, und ihre Augen sagten, daß sie sich verstanden. "Herr, laßt Ihr uns frei ziehen, wenn wir Euch die Wahrheit sagen?" "Ja."
"Wollt Ihr das beschwören?" (\89\)A "Ich beschwöre es."
"Daß Katombo Euer Bruder ist, könne wir nicht sagen und nicht gestehen, aber - - halt, Herr, wißt Ihr, wo er sich befindet?"
"Ja."
"Wo?"
"Bei mir, also in Sicherheit." "Ihr werdet ihm kein Leid thun?" "Nein."
"Wollt Ihr es beschwören?" "Ja."
"Kommt er wieder zu uns?"
"Ja, wenn er will. Will er aber nicht so kann ich ihn nicht halten."
"Dann will ich Euch sagen: Katombo ist Euer erstgeborener Bruder. Es soll auf Euch ankommen, ob es die Leute erfahren oder nicht."
Er griff in die Tasche und zog die Börse hervor, welche er ihr entgegenstreckte. "Hier, nehmt! Es wird Euch Niemand aus dem Gehege treiben; bleibt hier, so lange es Euch beliebt. Vergeßt aber nicht, daß es Euer Verderben ist, wenn ein Mensch erfährt, daß Ihr einen raumburg'schen Prinzen raubtet!"
Zufrieden mit dem Ergebnisse dieses Gespräches, wandte er sich ab. Die beiden Alten kehrten zum Lager zurück, wo die Vajdzina sofort ihrer Tochter Zarba winkte. "Weißt Du, wo Katombo ist?" "Nein."
"Bei dem Herzoge."
"Beim Herzoge? Wie ist er zu ihm gekommen?"
"Ich weiß es nicht; aber ihm droht Gefahr. Ich glaube, der Herzog will ihn verschwinden lassen."
"Weshalb?"
"Weil er Dein Bräutigam ist und weil - doch das ist ein Geheimniß, welches nur der Vajda wissen darf. Du kannst ihn retten."
"Wie?"
"Durch den Herzog. Als dieser Mann zum ersten Male bei uns erschien, habe ich Dir gesagt, daß ich einst seinen Vater liebte, er verstieß mich, und die Liebe des Sohnes zu Dir soll meine Rache sein. Diese Liebe ist auch das Werkzeug, mit welchem Du Katombo retten oder rächen kannst. Du wirst Manches noch nicht verstehen, aber es kommt die Zeit, in welcher Alles klar vor Deinen Augen liegt. Gib Dir den Anschein, als ob Du ihn liebtest!" "Und Katombo, der mein Bräutigam ist?"